6753836-1967_38_08.jpg
Digital In Arbeit

Gespräch mit Paul VI.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Papst

„Wie könnte man nicht aufrichtige Dankbarkeit empfinden gegenüber Herrn Cullmann, diesem so vornehmen Gelehrten? Ich habe ihn während des Konzils mehrmals gesehen. Bei der ersten Session war ich erbaut von der Aufmerksamkeit, mit der er unseren Beratungen folgte, und noch mehr von seiner Sammlung während der Gebete. Er war zu Recht anwesend, denn er ist uns ein vorbildlicher ökumenischer Gesprächspartner, seine Studie über Petrus hat, glaube ich, die für uns so wichtige Frage nach der Persönlichkeit und dem Amt des heiligen Petrus und nach seinem Verhältnis zu Christus und zur werdenden Kirche von neuem av.fgerollt. Natürlich wäre es uns lieber, wenn seine Schlußfolgerungen mit dem, was die Kirche Roms annimmt und glaubt, übereinstimmten. Doch der Wunsch nach dieser Übereinstimmung wäre gleichbedeutend mit dem Wunsch, daß die Wiedervereinigung sich bereits heute vollzöge. Man soll Gott nicht versuchen. Er ist geduldig. Wir können und müssen den .Vater der Lichter' flehentlich, inständig und mit der Hoffnung und der Ungeduld der Liebe darum bitten. Bis zur Stunde, die Er in seiner Macht geheimnisvoll festgesetzt hat, sind Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich. Doch darüber will ich' nicht weiter reden. Übrigens, wenn ich mich recht entsinne, haben Sie in Ihrem Buch ,Die Kirche und das Evangelium' darauf hingewiesen.“

Ich

„In meinen Augen besteht der grundlegende Unterschied zwischen mir und meinen Kollegen in der Auffassung von der Zeitlichkeit der Kirche. Für ihn gilt: Wenn der Herr .Petrus' sagt, dann meint Er Petrus, punktum. Was nach .Petrus“ gegeschieht, kümmert Jesus nicht. Für uns gilt: Wenn Jesus .Petrus sagt, sieht Er in Petrus die gesammelte Reihe der Päpste. Und wenn Er Petrus den ausdrücklichen Auftrag gibt, die Kirche aufzurichten, so meint Er die ganze Kirche bis ans Ende der Zeiten und alle Nachfolger Petri.“

Der Papst

..Ich glaube, daß Sie Cullmanns Auffassung richtig wiedergeben. Aber unser Dialog setzt voraus, daß wir das, was uns noch trennt, ausklammern. Ich habe mir eine Stelle aus seinem schönen Buch über Petrus herausgeschrieben, die will ich Ihnen vorlesen. Das Buch schließt mit ihr: ,Der Felsen, das Fundament aller Kirchen, aller Zeiten, bleibt der historische Petrus, der Mann, den Jesus aus den Zwölfen ausdrücklich erwählt und ausgezeichnet hat: als Zeugen Seines Lebens und Seines Sterbens, als ersten Zeugen Seiner Auferstehung. Christus, der Eckstein, wird unablässig auf Petrus Seine Kirche bauen, solange sie Bestand hat auf Erden.'“

Ich

„Ja, das ist der abschließende Orgelpunkt. Aber wenn Cullmann Petrus auch als den tragenden Felsen bezeichnet, so lehnt er doch jede Nachfolgeregel ab, die Petrus an einen bestimmten Bischofssitz bindet. Petrus ist ein überzeitlicher und überräumlicher Fels, jenseits aller historischen Bedingtheit, und das ist der Schlußstein der Kirchen.“

Der Papst

„Ich behaupte nicht, daß die Auffassung Cullmanns die unsrige ist, aber es ist schön, ermutigend und ehrenvoll für die kritische Forschung, wenn ein Gelehrter, der nicht der katholischen Welt angehört, den Text der Heiligen Schrift

liest und die historischen Tatsachen der ersten Anfänge so unbestechlich und ehrfürchtig beobachtet — im Gegensatz zu manchen Exegeten seiner Kirche, die daran festhalten, daß die Stellen, die im Evangelium

zu sehr für Petrus sprechen, später interpoliert worden seien. Ich wiederhole, es gereicht dem menschlichen Geist zur Ehre und spricht für die gegenseitige Hochschätzung und für den ökumenischen Dialog der Zukunft, wenn ein kritischer Gelehrter wie Cullmann ohne jede Beeinflussung unsererseits — auch nicht aus dem Wunsch heraus, uns zu gefallen —, Petrus die Rolle des Felsens, des ersten Glaubenszeugen zuschreibt. Sie wenden ein, daß das Amt Petri für ihn mit Petrus sterbe.

Nun? Ich weiß es nicht. Man müßte ihn genauer darüber befragen, um festzustellen, an welchem Punkt seine Untersuchungen und Forschungen im Augenblick stehen. Aber er öffnet Wege und Perspektiven. Und

jene Schlußstelle, die ich Ihnen soeben zitierte, läßt bestimmte Hoffnungen und Erwartungen, Möglichkeiten und Folgerungen zu (gewiß verschieden von denjenigen des Konzils, ich weiß, aber vielleicht noch bedeutsamer!). Durch die Macht der Ereignisse könnte sich nämlich ein Nachfolger des ,Felsens' gezwungen sehen, das Amt und die Würde des Ecksteins, des Schlußsteins zu übernehmen. Denn der .Felsen' ist nach Cullmanns Worten ydas Fundament der Kirchen, und zwar aller Kirchen aller Zeiten'. Doch wie

immer dem sei, ich bewundere die Methode, die Absicht, die subtile Diskretion und Zurückhaltung in den Streitfragen. Ich bewundere die sorgfältige Umsicht dieses weisen und klugen Gelehrten, wenn er in seinen Behauptungen verschiedene Grade der Gewißheit unterscheidet. Wenn ich mich recht erinnere, sagt er manchmal: ,Ich bin fast sicher.' Und dann wieder: ,Das wird wohl nie ganz geklärt werden.' Manchmal auch etwas humorvoll, denn er hat Witz: ,Das ist eine private Ansicht des Exegeten, die nur für ihn Geltung hat.' Ich liebe diese Ehrfurcht vor dem Dämmerschein, in dem sich unser Verstand sehr oft befindet.

Am Ende des Konzils hatte ich an einem Sonntagvormittag im Dezember etwas freie Zeit. Ich bat Herrn Cullmann, mir seine Ansichten über die Grabungen in Sankt Peter, über die Echtheit der Reliquien des Apostels, über seinen Tod und sein Begräbnis darzulegen. Natürlich erwarten Sie keine Entscheidung von mir: das ist eine völlig freie Angelegenheit, wo die Autorität einzig auf der wissenschaftlichen Kompetenz beruht. Möglicherweise wird man die Zone der Wahrscheinlichkeiten niemals überschreiten, so daß ein Raum der Freiheit übrigbleibt. Wenn es irgendwo einen natürlichen Raum für die Freiheit gibt, ein Gebiet, wo diese Freiheit vollständig ist und nicht begrenzt wird (wie überall sonst) außer durch die Wahrheit, in diesem Fall durch die Wahrheit der Erfahrung und der historischen und archäologischen Tatsachen, dann ist das hier der Fall. Papst Pius XII. wußte das sehr wohl, als er die kühne Initiative zu diesen Untersuchungen gab, als er ihre Ergebnisse publizierte und sie der gelehrten Kritik vorlegte. Niemand sollte die Wahrheit fürchten: Wir suchen sie allein, in den großen und in den kleinen Dingen. Niemand bestreitet, daß die römischen Bischöfe die Nachfolger Petri sind und daß sie von Anfang an für die Nachfolger Petri gehalten wurden. Hier stimmen Geschichte und Glaube überein. Vielleicht wird die Wissenschaft eines Tages endgültig beweisen, daß Petrus hier gestorben ist und wir sein Skelett und seine Überreste besitzen. Aber das ist nicht so wesentlich. Ich wiederhole, die Forschung und die Schlußfolgerungen daraus bleiben völlig frei. Diese Öffnung zum Geist der Forschung, zur Freiheit der Forschung in dieser unserer Basilika und in einem Punkt, der uns so sehr am Herzen liegt, wo wir aber trotzdem volle Gedankenfreiheit haben, das ist wie ein Unterpfand des Wohlwollens und der Hochachtung, die die Päpste der Wissenschaft entgegenbringen. Das hat Herr Cullmann wohl verstanden. Ich bin überzeugt, daß er, wie er es stets getan hat, das Für und Wider, das Ungewisse und das Wahrscheinliche abwägen wird. Wir blicken seinen wissenschaftlichen Beiträgen immer mit größtem Interesse entgegen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung