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ILJA EHRENBURG/ANPASSUNG UND WIDERSTAND

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Was war er eigentlich — Schriftsteller oder Journalist, Kommunist oder Bohemien, Großrusse oder Jude oder Kosmopolit, Opponent und Aufwiegler der Jugend oder Konformist, Opportunist und getreuer Diener der Regierung? Er ist alles zusammen gewesen, manchmal zur gleichen Zeit und manchmal abwechselnd.

Geboren 1891 in Kiew aus jüdisch-bürgerlicher Familie

stand der junge Ehrenburg „selbstverständlich“ mit einer Gruppe der illegalen bolschewistischen Fraktion der russischen Sozialdemokratie in Verbindung. Ebenso selbstverständlich wurde er deshalb in der sechsten Klasse aus dem Gymnasium ausgestoßen — kaum mit Schmach und Schande, weil dergleichen damals vielfach eher als Ehre galt. Zumindest wurde er von der bolschewistischen Emigration als vollzugehörig aufgenommen, als er Ende 1908 in Paris auftauchte. Dennoch wurde niernals aus ihm ein Berufsrevolutionär oder Berufspolitiker. In Frankreich galt sein Hauptinteresse der Literatur der französischen Avantgarde. Er übersetzte die Lyrik Blaise Cend-rars und Apollinaires ins Russische und war ein getreuer Anhänger und Propagator Picassos, Modiglianis, Ligers und anderer, deren Bilder er in seiner Moskauer Wohnung selbst in den vierziger und fünfziger Jahren des ärgsten sozialistischen Realismus hängen hatte — wozu damals, wenn auch aus einigem Snobismus gespeister, so doch verzweiflungsvoller Mut gehörte. Nach der Revolution im Jahre 1917 kehrte Ehrenburg nach Rußland zurück. Die politische Revolution war in ihren ersten Jahren

von einer veritablen Kulturrevolution begleitet, von sozialistischem Realismus war damals noch keine Rede. Es war die Stunde der Futuristen, Symbolisten, Expressionisten, Konstruk-tivisten und all der anderen. Ehrenburg schrieb in jenen Jahren seine vielleicht einzigen literarisch nennenswerten Bücher: vor allem den anarcho-kommuni-stischen „Julio Jurenito“ und die großartige jüdische Eulenspie-geliade „Lazik Roitschwantz“. Auf einem ganz anderen Niveau stehen seine als historische oder soziologische Reportagen anzusehenden Werke, die er insbesondere während längerer Aufenthalte im Ausland schrieb: „Die Traumfabrik“, „Die Verschwörung der Gleichen“ und andere, mit denen er, zusammen mit dem weit humorvolleren E. E. Kisch, zum Schöpfer dieser Kategorie wurde. Seine politischen Romane, wie die „Neunte Woge“ und der „Fall von Paris“, sind literarisch wertlos und reine Parteipropaganda.

Propagandistischer Agent der Sowjetregierung war Ehrenburg vor allem in der Zeit ab 1936 bis zum posthumen Fall Stalins, auch dort, wo er seine Verbundenheit zur westlichen Kultur (die für ihn, wenn auch mit selbstzensu-

rierten Einschränkungen, Herzenssache war) just für seine propagandistischen Aufgaben benützte. Er segelte dabei oft scharf am Wind und war oft der Erste, der ein Umschlagen der Linie witterte und ausdrückte. So als er bereits 1937 die kömmende sowjetischdeutsche Annäherung und den Rückzug der Sowjetunion vom spanisch-republikanischen Engagement in seinem Iswestija-Arti-keln anzeigte, so aber auch als er seine Novelle „Tauwetter“ veröffentlichte und damit der Epoche der Entstalinisierung zu ihrer Firmenmarke verhalf.

Ehrenburgs zuletzt bleibendes Verdienst bestand darin, daß er die heutige literarische Jugend der Sowjetunion — weniger durch sein persönliches Beispiel als durch seinen ihm eingeborenen und durch die in den letzten zehn Jahren seines Lebens wirksamen politischen Veränderungen wiedererweckten Vorwitz — dazu ermutigt hatte, nicht nur dem Zentralkomitee der KPdSU genehme Dinge, sondern auch aus eigenem auszusagen. Selbst wenn dies noch immer mit Einkerkerung und Deportierung oder, wie zuletzt in der CSSR, mit Ausbürgerung bestraft Wird.

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