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Lebenslnglich fur Asoziale?

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Wir sterben heute, wie fast jeder nun mit Sorge weiß, vor allem an Krebs und an Herz- und Gefäßschäden, Vor 40, 50 Jahren war es noch die Tuberkulose. Nicht, daß es sie nicht auch heute noch gäbe — eine nicht geringe Zahl von Menschen auch in Österreich hat sie — oder hat sie gehabt, ohne es oft selber zu wissen. An die 10.000 Menschen in Österreich leiden sogar an offener oder jedenfalls ansteckender Tuberkulose. Nur — und das ist der Unterschied zwischen heute und früher — sie sterben nicht mehr daran, wenigstens nicht mehr so sicher und schnell wie früher.

All dies enthält viel mehr an Problematik, als hier dargelegt werden kann. Darüber gibt es zahllose Expertisen und Arbeiten von Sozialmedizinern und Sozial Juristen, die schon seit langem bemüht sind, all die nötigen gesellschaftlichen Maßnahmen und Verhaltungsregeln für Tbc-Kranke in einem eigenen Tbc-Schutzgesetz auszudrücken und zusammenzufassen. Da gibt es rein finanzielle Probleme. Und da gibt es auch das folgende Problem, um des-sentwillen dieser Artikel geschrieben wurde: Wie kann man den nicht mehr oder noch nicht in Spitalsbehandlung befindlichen Tbc-Kranken veranlassen, all die nötigen und vom Arzt verordneten und angeratenen Behandlungs- und Verhaltungsweisen zu befolgen und nicht seine Mitmenschen aus unberechtigtem Optimismus über den eigenen Zustand oder aus Gleichgültigkeit, Fahrlässigkeit, Mangel an sozialer Moral oder einfach aus Dummheit zu gefährden?

Rechtskundige werden daran erinnern, daß wir ein Epidemiegesetz besitzen, welches die zwangsmäßige Absonderung der von einer Seuche Erfaßten vorsieht. Leider läßt sich die in diesem Gesetz enthaltene Bestimmung nicht auf eine Krankheit von so chronischem Charakter, wie es die Tbc ist, anwenden. Sie ist eben eine ganz andere Krankheit als etwa Cholera oder Pocken, bei denen Absonderungsmaßnahmen gegenüber Erkrankten infolge des jähen und akuten Charakters und der verhältnismäßig kurzen Dauer der Krankheit kein Problem darstellen. Wie kann man aber einen Tbc-Kranken, dessen Zustand als Aneteckungsherd oft Jahrzehnte lang anhält, so lange zwangsweise in einer Anstalt internieren? Es sei hier gleich gesagt, daß die überwiegende Mehrheit der Kranken sich freiwillig dieser Absonderung unterwirft.

Was soll aber mit den sogenannten „Uneinsichtigen“ geschehen, welche die ärztlichen und sozialhygienischen Anweisungen mißachten? Es gibt solche Leute. Meistens sind es Menschen, die auch sozial am Rand der Gesellschaft stehen: Prostituierte, Verwahrloste, habituelle Bewohner von Obdachlosenheimen, schwere Trinker usw., oft aber doch auch zum Beispiel Eltern kinderreicher Familien.

Ein Gesetzentwurf des Sozialministeriums (einer aus einer Reihe anderer, die in den letzten Jahren verfaßt wurden, jedoch niemals die letzte Hürde zu den Gesetzgebern im Parlament bewältigten) liegt nun neuerdings zahlreichen zuständigen Stellen zur Begutachtung vor. Er sieht unter anderem auch die zwangsmäßige Einweisung und Internierung „uneinsichtiger“ asozialer Tbc-Kranker in eine Sonderheilanstalt vor. Die Dauer des verfügten Zwangsaufenthaltes soll sechs Monate nicht übersteigen, heißt es in dem Entwurf. Da jedoch von Ärzten erklärt wird, daß sechs Monate wahrscheinlich zuwenig sind, wurde in dem Entwurf die Möglichkeit einer Verlängerung der Anhaltung um weitere sechs Monate vorgesehen. Na also, wird mancher sagen, das ist doch die Lösung. Leider ist sie es nicht, sondern enthält menschenrechtlich geradezu Dynamit. Der Entwurf beugt nämlich durch nichts vor, daß der Zwangsaufenthalt nicht immer wieder aufs neue verlängert und der Betroffene somit viele Jahre lang, möglicherweise lebenslänglich in der Sonderheilanstalt festgehalten werden kann. Es bedarf hierzu nur eines Antrags der Bezirksverwaltungsbehörde an das zuständige Gericht und dessen Bewilligung. Damit wird aber dem Gutdünken jener Behörde und des jeweiligen Richters zuviel Macht eingeräumt. Wie ist es mit dem Betroffenen selbst? Welche Chance hat er, wenn noch während seines von ihm sicherlich nicht sehr goutierten und oft daher auch nicht sehr gutwillig ertragenen Zwangsaufenthaltes geprüft und festgestellt wird, ob er sich nun „draußen“ sozialer verhalten wird oder nicht? Sowohl psychologisch wie sozial kann ihm eine solche Chance nur gegeben werden, wenn die Probe aufs Exempel gemacht wird: wenn er nach aller-längstens einem Jahr aus dem Zwangsaufenthalt entlassen und wenn nach einem bestimmten Zeitablauf festgestellt wird, ob sein Verhalten in Freiheit das gleiche asoziale wie früher oder ab er nun „einsichtig“ ist.

Es kann und darf nicht sein, daß ein Mensch zwar befristet in einen Zwangsaufenthalt eingewiesen wird, daß aber dieser Aufenthalt nach Gutdünken immer wieder verlängert werden kann. Damit wird die ursprüngliche Befristung von vornherein unglaubwürdig und kommt einer Nichtbefristung gleich. Und eine solche gibt es nur bei Menschen, die wirklich nicht Herr ihres Verhaltens sein können, nämlich bei Geisteskranken; die werden, wie es in Großbritannien heißt, auf die Dauer „of His Majestys pleasure“ interniert. Selbst der ärgste Schwerverbrecher hat ein Recht darauf, die Länge seiner Strafe zu kennen, und selbst die Strafe „Lebenslänglich“ stellt in diesem Sinne eine Befristung dar. Selbst die autoritäre Regierung Schuschnigg sah sich trotz der außergewöhnlichen Umstände des Jahres 1935 nach einem spektakulären Hungerstreik gezwungen, den politischen Gefangenen im Lager Wollersdorf die Termine ihrer Anhaltung bekanntzugeben.

Die Zahl der von einem solchen Gesetz Betroffenen mag vielleicht so gering und der Einwand, „es handelt sich doch nur um Asoziale“, scheinbar so passend sein, daß manche nichts Besonderes daran finden mögen. Nim wissen wir aber aus leidvoller Erfahrung, daß der Bruch wesentlicher Rechtsgrundsätze fast immer bei einer anscheinend unwesentlichen und unsympathischen Minderheit beginnt. Auf die Weise könnten jedoch nach den asozialen Tbc-Kranken irgendeinmal die asozialen Alkoholiker drankommen, und nach diesen etwa die asozialen Gammler, und von da ist der Weg nicht mehr weit zu Leuten mit einer „mißliebigen“ politischen Philosophie. Und dann? Was dann kommt, das haben wir alle vor etlichen Jahrzehnten erlitten.

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