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LEOPOLD FIGL/NIEDERÖSTERREICH RUFT

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Über den Riederberg, auf der Bundesstraße Nr. 1, fuhren bis vor kurzem tausende, Millionen Wagen dem Westen zu. Und ließen das Tullnerfeld rechts seitab liegen. Nicht weit von der Bundesstraße Nr. 1 liegt der kleine Ort Rust. Nicht Rust am Neusiedler See, sondern dieses Rust, das zum ersten Male wohl für die Weltöffentlichkeit Photographien wurde, als hier Chruschtschow in den Bauernhof der Fi'g/s einkehrte.

Leopold Figl ist heute unbestritten wohl eine der angesehensten Persönlichkeiten Österreichs. Es wäre in dieser kritischen Stunde Österreichs, in der er statt des repräsentativen Postens des Nationalratspräsidenten als Landeshauptmann von Niederösterreich eine der wichtigsten Führungsstellen unseres Bundesstaates übernimmt, nicht uninteressant, Figls Figur im Zerrbild der „nationalen“ Propaganda in den Jahren 1945 bis 1959 zu beobachten. Die Giftmischerei funktionierte, wie manchen auch ungelernten Österreichern noch erinnerlich ist, vorzüglich: da wurde der Welt zuerst ein „Weinbeißer“ vorgestellt, ein ganz ungebildeter Bauernschädcl, dazu ein • Deutschenfeind und ein Analphabet. Kurzum, „man“ konnte nur lachen über diesen Menschen. Eben dieser Mann ging gerade seinen Weg, ohne sich von links oder rechts einschüchtern zu lassen. Mit dem Spürsinn eines Bauern, jawohl, eines niederösterreichischen Bauern, mit dem politischen Instinkt eines „alten Hasen“, der in den Saal schlachten für Doktor Hemala, den christlichsozialen Politiker in Wien (seinen späteren Schwiegervater), als junger Student sich seine ersten Sporen verdiente.

Dieser Verbindung wollen wir uns gerade heute erinnern: der junge Figl kennt, von seinen ersten politischen Anfängen her, die große Stadt, Wien, und er kennt das Land ringsum, Niederösterreich. Noch war dies damals, 1927, als er in das Sekretariat des Niederösterreichischen Bauernbundes aufgenommen wurde, nicht vorauszusehen, konnte noch nicht Wirklichkeit werden: das Bündnis der Massen des Volkes von Wien mit den Bauern von Niederösterreich. Von „Roten“ und „Schwarzen“, von spezifischen Wiener Roten und spezifischen niederösterreichischen Schwarzen. Wir wollen hier keine politische Mythologie betreiben. Wohl aber wollen wir offen feststellen, dies gereicht keinem anderen Bundesland zu Schaden: daß Österreich, Gesamtösterreich, nicht nach 1945 zerteilt, daß es eine Reihe gefährlicher Krisen überwinden konnte, verdankt es nicht zuletzt diesem Zusammenstehen dieser beiden große, schwierigen Partner: „Wien“ und Niederösterreich. Und damit gerade auch Figl. Figl, nach 68 Monaten KZ-Zeit in Dachau, Flossenbürg und Mauthausen ungebrochen, kurz vor Kriegsende hätte ihn fast noch das Fallbeil ereilt, wurde nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches am 17. April 1945 Landeshauptmann von Niederösterreich und dann erster von einem frei gewählten Parlament bestätigter Bundeskanzler der Zweiten Republik. Über die sieben Kanzlerjahre Figls, über sein Geschick, mit den Russen zu verhandeln, ist viel in Österreich und um Österreich gesprochen und geschrieben worden. Beute ist es an der Zeit, an eine wichtige Perspektive seiner Ära als Außenminister 1953 bis 1959 zu erinnern: Figl hatte ohne viel Aufhebens und Lärm begonnen, mit den Italienern in positive Verhandlungen über Südtirol zu treten. Seine Unternehmung wurde zuerst in Italien, dann in Österreich sabotiert und zu Fall gebracht. Die Schere der Reaktionäre hüben und drüben funktionierte: zwischen ihren stählernen Schneiden wurde der Mensch, der Mensch in Südtirol, getroffen.

Damit stehen wir bereits in der Gegenwart. Die Parole lautet: Österreicher an die Front! Dieser Staat und dieses Volk werden sich in den schwierigen bevorstehenden Verhandlungen und in den Krisen der nahen Zukunft nur behaupten können, wenn auf den wichtigsten Kommandostellen Männer stehen, die wissen, woher sie kommen, und wissen,, wohin sie gehen. Klarheit und Wahrheit, und ein echter, durch keinerlei Schlagworte und demagogische Parolen verwirrter Wirklichkeitssinn tun da not. Da wird es nicht zuletzt auf die Führung von Österreichs Bauernschaft ankommen: auf deren positive politische Aktivierung, im Sinne des Gesamtstaates, in Zusammenarbeit mit allen Kräften, die für Österreich eintreten wollen.

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