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Rotdiinas „007“

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Der große Führer schenkte im Oktober 1968 den revolutionären Arbeitern der Pekinger Allgemeiner Strickwarenfabrik eine einzige Mangofrucht. Sie wurde natürlich nicht verzehrt, sondern als „Reliquie“ in einer Kristallschale konserviert. Doch ein volkschinesischer Ex-diplomat wurde im März 1969 zu einer außenpolitischen Zitrone, die buchstäblich bis zum letzten Tropfen gepreßt wird. Das amerikanische State Department erklärte am 7. März, daß das Gesuch Liao Ho-schus, des abgesprungenen ehemaligen geschäftsführenden Botschafters der Volksrepublik China in Den Haag, um politisches Asyl im Land der Freiheitsstatue, wo er sich schon seit 4. Februar befindet, noch immer „in Erwägung gezogen wird“ — eineinhalb Monate nach seiner Fahnenflucht am 25. Jänner! Was steckt dahinter?

McCloskey, der Sprecher des State Department, deutete bei einer Pressekonferenz am 7. März unmißverständlich an, daß er nicht wisse, wann Exgenosse Liao sein Asylrecht in Anspruch nehmen können werde. Das Schicksal Liaos steht nun auf dem Spiel. Es war vorauszusehen, denn der Zeitpunkt seiner „Wahl für die Freiheit“ war nicht sehr günstig gewählt; in einer Zeit, da das Weiße Haus die Kontrahenten in der Verbotenen Stadt interessanter findet als jene des Kremls.

Washington wünscht, besonders nach dem Ussuri-Duell, die Liao-Affäre nicht hochzuspielen und sie irgendwie in aller Ruhe beizulegen, damit die Volksrepublik China nicht weiterhin „Provo und Störenfried spie-, Jen kann“, so versicherten die Yankees. Man muß nun Peking, diesen künftigen Bundesgenossen bei der Einkreisung des Polarbären (früher war von der Einkreisung des gelben •Drachens die Rede — was für ein Spitzbub ist doch die Geschichte!), der gerade bei einer Atempause nach den kuiturrevolutionären Exzessen seufzt, doch ein bißchen schonen. Ob und wann diese Liao-Zitrone in Hinkunft in dieser oder jener Zitronenpresse erledigt wird, ist an sich unwichtig. Die eine Seite verlangt die Repatriierung des Verräters als Gegenleistung für eine Wiederannäherung, während die andere Seite den

■ Exspionagechef offensichtlich eben■ falls als ein wertvolles Tauschobjekt i betrachtet. Die Gewinnsucht kommt ! der Geschäftsmoral ja immer zuvor, i Deshalb wird diese außenpolitische

■ Limone, wenn auch ihre geheimnistragenden Säfte bereits völlig ausgequetscht wurden, nicht einfach als Abfall auf einem Misthaufen eines : amerikanischen Hinterhofes verschwinden. Man braucht sie noch, um die Beziehungen der beiden Geschäftspartner zu verbessern.

Sehr interessant, daß ausgerechnet im „diplomatischen Kreis“ Westberlins vertrauliche Gossips im Umlauf waren, daß die Desertion Liaos gar nicht wegen der parteipolitischen Ursachen geschah, wie man anfangs vermutet hatte. Sein Diplomaten-rang und die Parteiqualifikation sind noch nicht genug gewesen, um direkte Kontakte mit den Chruschtschows Chinas aufzunehmen. Liao war nur ein mittelklassiger Funktionär der Fraktion Tschu En-lais, daher brauchte er eigentlich gar nicht zu befürchten, als Laufhund der Revisionisten gebrandmarkt zu werden, als er nach Hause beordert wurde.

Sein Absprung erfolgte durch seine Beziehungen zu Hsu Tze-tsai, einem Delegierten Chinas, der im Juli 1966 nach Holland zu einer internationalen Konferenz kam. Hsu, ein angeblicher Experte (er wurde von der westlichen Presse mit verschiedenen Berufen bedacht — Raketen-, Schiffbau- oder Schweißexperte usw., wovon keiner zutreffen dürfte), wollte vielleicht überlaufen und wurde ton den Agenten der chinesischen Botschaft in Holland kaltgemacht.

Hinter diesem Mord 'steckt eine Spionageaffäre, die von den Zeitungen, sowohl des Ostens als auch des Westens, nicht erwähnt wurde. Man verschwieg es einfach; denn Peking hatte diese peinliche Misere als ein Resultat der gemeinsamen Anstrengung der CIA, Kuomintang und KGB bezeichnet.

Als der „Raketenexperte“ eines Tages noch lebendig und frei auf der Straße in Den Haag spazierenging, begegnete er — geplant oder zufällig — einem Freund aus der guten alten Zeit in China vor vielen Jahren. Die jetzige Beschäftigung dieses

mysteriösen chinesischen Freundes steht angeblich mit einem Intei-ligence Service „eines Staates“ im Zusammenhang.

Beim Treffen gab ihm Hsu eine wertvolle Liste, die alle Namen der diplomatischen und quasi pseudodiplomatischen Organisationen und Personen der Volksrepublik China im Ausland enthielt. Die Liste stammte von Liao Ho-schu. Nachdem Hsu von den chinesischen Botschaftsgeheimpolizisten gekidnappt und im Botschaftsgebäude inhaftiert wurde, blieb er hartnäckig und gab nicht an, von wem er die Liste erhalten hatte. So konnte Liao eine Zeitlang unbehelligt seinen Posten als interimistischer Geschäftsträger eines Botschafters innehaben, anstatt Li En-tschiu, der nach dem Tod Husus als Persona non grata des Tulpenlandes verwiesen wurde. Erst Anfang 1969 haben die Geheimdienstler Rotchinas in Europa den Verrat ihres 007 entdeckt. Man wollte ihn nach Hause bringen, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. So ging Liao nach Bonn... Nationalchina behauptete, „jener Staat“, der das Leben jenes Experten kostete, könnten drei NATO-Länder sein (eines davon ist bereits aus dem Bündnis ausgetreten). Es ist ein nachrichtendienstlliches Rätsel und journalistisches Tabu. Sie sollen weiterhin im Dunkel bleiben. Was mit Liao Ho-schu nun geschehen wird, ist ungewiß.

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