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Sozialisierte Gesundheit

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Ein demokratischer Minister dient in seinem Amt der Nation, in seinem Klub der Partei. Mr. Aneurin Bevan hat es sicherlich nicht verstanden, diese beiden Funktionen aufeinander abzustimmen, er hat stets eine solche Unversöhnlichkeit an den Tag gelegt, daß er keinerlei überparteilichen Kredit besitzt.

„Wir nennen ihn den Gesundheitsminister“, sagte Churchill vor einem Jahr. „Aber wäre es nicht besser, ihn des Minister der Krankheit zu nennen?"

Darüber lachte man, aber es war ein unbehagliches Lachen über das ernste Thema der nationalen Gesundheit. Und es liegt etwas Tragik in dem Umstand, daß man gerade Aneurin Bevan, den sicherlich durchschlagskräftigen Walliser, mit einer Aufgabe betraut hat, die von beiden Seiten in einem anderen Geist hätte behandelt werden sollen. Aber wenn ein Minister, wie Bevan es getan hat, sein politischen Gegner „Ungeziefer“ nennt, so darf es nicht wundern, wenn er Ranküne erweckt hat. So bleibt das Bild unklar und verworren, jeder einzelne Punkt des sehr umfassenden Planes zur Neuregelung des Gesundheitswesens heiß umstritten.

Am Anfang sagten beispielweise die Konservativen: „Jetzt werden die Ausländer nach England kommen, um sich kostenlos Brillen anfertigen au lassen.“ Inzwischen hat sich herausgestellt, daß eher Engländer ins Ausland fahren, um ohne monatelanges Warten zu den benötigten Linsen zu kommen. „Seht ihr“, sagen die Konservativen, „so geht es eben nicht." Sie scheinen widerlegt worden zu sein und haben doch mit ihrem Skeptizismus recht behalten.

Aber solche Einwürfe überlagern nur die wichtigeren Fragen. Warum kommen che englischen Optiker nicht mit der Arbeit nach, warum haben die Zahnärzte auf einmal so viel zu tun, und aus welchem Grund brauchen die orthopädischen Schuster mit einem- mal mehr Gehilfen? Wohl weil das Einkommen einer gar nicht so kleinen Schicht für fachärztliche Behandlung nicht ausreichte und man ein frühes Nachlassen der Sehkraft, in schadhaftes Gebiß oder einen schmerzenden Fuß in Kauf nehmen mußte.

Die Einführung des „National Health Service“ hat Mängel aufgezeigt, die größer waren, als selbst die Sozialisten angenommen hatten. Die unvorhergesehenen Mehrausgaben für den Plan, etwa eine Million Pfund Sterling (40 Millionen österr. Schilling) in der Woche, lassen sich daher keinesfalls auf Extravaganzen des dynamischen Kelten, wie Bevan sich gern nennen läßt, zurüdjführen, sie sind im wesentlichen durch die höheren Ausgaben für Zahnbehandlung (21,8 statt den erwarteten 8,15 Millionen Pfund Sterling) durch die große Rechnung der Optiker (der Bedarf war nicht 4 Millionen Brillen, sondern deren 7) und schließlich durch die größer Inanspruchnahme der Apotheken (3 Millionen Rezepte statt der einkalkulierten 2,7) erklärbar. Da aber die zur Verfügung stehenden Mittel nicht unbeschränkt sind, mußte der Versuch gemacht werden, an anderer Stolle einzusparen. Und hier zeigte s sich, wie gefährlich es war, den ganzen Plan auf einmal durchführen zu wollen. Mr. Bevan mußte kürzlich im Unterhaus zugeben, daß stets gegen 50.000 Menschen darauf warten, in eines der Krankenhäuser überstellt zu werden, gleichzeitig aber können 60.000 Betten nicht benützt werden, weil — nebst anderen Gründen — 10 Prozent der vorgesehenen Kosten eingespart werden müssen. Der Konflikt mit den Zahnärzten ist ein anderes Beispiel dafür, wie schwer es war, die Konsequenzen des Gesetzentwurfs richtig einzuschätzen. Vor kurzem las man i verschiedenen Zeitungen, daß die englischen Zahnärzte mit dem Streik gedroht hätten. Man würde also annehmen, daß sie im Gesundheitsdienst keinen gerechten Lohn für ihre Arbeit erhielten. In Wirklichkeit ist der Konflikt daraus entstanden, daß Bevan der Meinung ist, sie bekämen zuviel. Jeder fünfte Zahnarzt verdient heute in Großbritannien über 4800 Pfund Sterling pro Anno, während ein Doktor der gesamten Heilkunde, der in einem Industrieviertel praktiziert, mit einer „vollen Liste“ von 4000 Patienten (Patnschalvergütung pro Person und Jahr 16 Shilling) nur auf 3200 Pfund Sterling kommt. Bei näherem Zusehen verringert sich allerdings diese Diskrepanz, die Zahnärzte haben hohe Kosten und werden wohl kaum dauernd so überbeschäftigt sein wie im Augenblick. Immerhin mag man es begreiflich finden, daß Bevan, der ja einsparen muß, den Versuch machte, das zahnärztliche Budget zu beschneiden. Die Art, in der er jedoch das Einkommen der Zahnärzte, sobald es 400 Pfund Sterling im Monat überstieg, ganz einfach blockierte, verriet recht klar die gönnerhafte Mentalität des „Super Planers", wie Churchill es einmal genannt hat, und es war klar, daß der Wal-

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