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„Tüchtig—aber nicht kommod“

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Als Franz Josef Rudigier, der Vorarlberger Bauernsohn, 1811 zu Par- thenen im Montafon geboren wird, sind erst 21 Jahre seit dem Tod Kaiser Josephs II. vergangen; als junger Priester erlebt er in Wien die Revolution des Jahres 1848. Als Bischof ist er mitten hineingestellt in die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus. Rudigier ist aber auch fast ein Zeitgenosse von Karl Marx, der ein Jahr vor dem Linzer Bischof stirbt; sieben Jahre nach Rudigiers Tod erscheint schließlich die Enzyklika „Rerum novarum" Leos XIII.

In diese Zeit des Überganges ist Franz Josef Rudigier, der mit 42 Jahren Bischof von Linz wird und in den 31 Jahren seiner Regierungszeit nicht nur seine Diözese entscheidend formt, sondern gleichzeitig einer der profiliertesten ' Vertreter des österreichischen Katholizismus im Zeitalter des Liberalismus ist, hineingestellt. Die Situation der Diözese Linz trägt weiter wesentlich dazu bei, seiner Arbeit und seinem Wirken Profil zu geben: Der junge Bischof kommt nicht ohne Vorurteile nach Linz; wir spüren sie bereits in seiner Ansprache anläßlich der Inthronisation: „… Ich bin mit der festen Überzeugung nach Linz gekommen, daß ich ein schweres Werk übernehme, daß ich viel leiden werde …“ Aber schon wenige Tage später kann er seinem Freund Feßler, dem nachmaligen Bischof von Sankt Pölten, etwas erleichtert von seinen ersten Eindrücken berichten. Die unter Kaiser Joseph gegründete Diözese Linz, deren fünfter Bischof Rudigier wurde, hatte in Gregorius Thomas Ziegler, Rudigiers Vorgänger, einen Oberhirten, der erfüllt war von den Reformideen eines Clemens Maria Hofbauer, aus dessen Kreis er gekommen war und der in Linz schon 25 Jahre spürbar gewirkt hatte. Trotzdem muß Rudigier dtm'Hdiligen Vatbrt -PiilS IX.J noch immer berichten, ,;Schwie«ig- keiten gibt es viele und große, wohin immer meine Augen wandern mögen". Er hat aber nicht viel Zeit, sich ausschließlich den nicht unbedeutenden Resten der Josephinischen Zeit widmen zu können; der Ansturm des Liberalismus beansprucht seine ganzen Kräfte — bis zu seinem Tod.

Der aufkommende Nationalismus, die große Sorge der Monarchie und zahlreicher ihrer Diözesen und Bischöfe in jenen Jahrzehnten, berührt die Diözese Linz kaum, auch wenn sich Rudigier schon in seinem Hirtenschreiben vom 25. Jänner 1864 mit dem „unechten Nationalitätensinn“ und dem .Nationalitätenwahnsinn“ („den die Kirche verdammen muß … der heidnisch und revolutionär ist“) befaßt. Auch die Arbeiterfrage und die soziale Frage betrifft die bis ans Ende des ersten Weltkrieges fast völlig landwirtschaftliche Diözese kaum. Trotzdem finden wir schon 1866 bei

Rudigier den Hinweis; Ich habe keine prophetische Gabe … aber man braucht bloß die Dinge anzusehen, wie sie sind, so findet man die Voraussagung wahrscheinlich, daß die nächste Revolution in der Welt nicht eine politische, sondern eine soziale sein wird … alle Dinge sind darnach angetan, uns fürchten zu machen.“

Doch all diese Hinweise finden wir bei Rudigier nur am Rande. In dem Menschenalter seines bischöflichen

Wirkens steht vor ihm fast ausschließlich die Gefahr und die Bedrohung durch den antikirchlichen Liberalismus, vor allem aber durch den von liberalen Politikern beherrschten Staat. Das ist seine Frontrichtung; nur dem Liberalismus gegenüber baut er seine Verteidigungsstellungen auf; hier erzielt er den entscheidenden Durchbruch.

Die Schwierigkeit, Rudigiers Gedanken, Bestrebungen und Aktionen heute in ihrer ganzen Bedeutung zu erkennen, ist vor allem dadurch bedingt, daß sie uns heute wohl modern, aber kaum außergewöhnlich, ja fast selbstverständlich erscheinen; daß wir das Revolutionäre, das Neue und Außerordentliche dieser Worte und seiner Haltung vor dem Hintergrund der von Josephinismus und Liberalis-

mus weithin geformten Zeit nicht mehr ermessen können. „Der Staat muß seine Rechte haben und die Kirche muß auch ihre Rechte haben", erklärt Rudigier über das Verhältnis von Staat und Kirche und die Notwendigkeit des Konkordats im oberösterreichischen Landtag. „Die Grenzlinie zu bestimmen zwischen den Rechten des Staates und der Kirche, ist eine sehr delikate Sache. Was wäre da angezeigter als ein Konkordat. Und gerade in Österreich insbesondere war ein Konkordat durch und durch notwendig, nachdem gerade in Österreich seit der Josephinischen Zeit der Konflikte zwischen geistlicher und weltlicher Macht gar zu viele gewesen sind. Nicht anders als auf dem Wege eines Vertrages waren diese Konflikte zu vermeiden. Daher: Wer den Frieden liebt, muß auch das Konkordat lieben!“

Auf Schritt und Tritt sehen wir bei der Lektüre der 48 Hirtenschreiben, der zahlreichen Reden und Predigten des Bischofs, daß die Schwierigkeiten und Probleme, mit denen sich Rudigier auseinanderzusetzen hat, mit nur unwesentlicher Abwandlung aktuell geblieben sind.

Zum Vorwurf, daß auf den Kanzeln Politik betrieben werde, stellt der Bischof fest: „Wenn wir geistliche Prediger des Glaubens sein sollen und Hüter des Glaubens in unseren Gemeinden, was sollen wir tun? Sollen wir den Gefahren des Glaubens nicht entgegentreten; sollen wir die Wahrheiten des Glaubens nicht hervorheben; sollen wir nicht darauf dringen, daß Gesetze abgeändert werden, welche eine Verletzung des Glaubens enthalten? Was wären wir dann? Man sagt eben, es soll auf der Kanzel nicht Politik betrieben werden. Möge in der weltlichen Gesetzgebung nicht Theologie getrieben werden, dann werden wir auf der Kanzel nicht Politik predigen…"

Die Ansätze der Problematik unseres allzuständigen Sozialstaates sind auch vor hundert Jahren — damals bei der Liquidierung der Pfarrarmeninstitute — sichtbar. Die sich abzeichnenden Gefahren sieht der Bischof deutlich, wenn er erklärt: „Es wäre ein großer Schritt zum .Staat ohne Gott‘, wenn der Kirche die Cura personarum miserabilium abgenommen würde, welche von den Apostelzeiten an als hauptsächlich ihr zustehend angesehen worden ist.“

Bemerkenswert klar setzt sich der Bischof mit den Vorurteilen und den Schlagworten seiner Zeit auseinander: „Benennungen, wie ,ultramontan‘ und dergleichen, haben so etwas von Schlagworten, wobei nicht auf den Verstand, sondern bloß auf das Gefühl, auf das dunkle Gefühl, hingewirkt werden soll. Ich glaube, dergleichen Ausdrucksweisen sollten wir vermeiden.“ Immer und immer wieder stößt er zu den Grundsätzen, zum Entscheidenden und Wichtigsten vor, wobei er sich weit mehr als nur an sein Kirchenvolk wendet, etwa bei der Zurückweisung des Schlagwortes „Das Gesetz ist das Gewissen“. — „Nun“, sagt Rudigier, „es ist das ein Ausspruch, der nicht nur mit dem christlichen Glauben, sondern auch mit der natürlichen Freiheit des Menschen geradezu unvereinbar ist."

Rudigiers Bedeutung liegt aber keineswegs nur in der überlegenen Art, in der er den Gegnern der Kirche entgegentritt. (Am wirkungsvollsten schildert dies der Dichter Hermann Bahr, dessen Vater zu den prominentesten Gegnern des Bischofs auf Linzer Boden zählt.) Mutig und voller Selbstüberwindung läßt er Zeitungsangriffe und Schmähschriften, die Beschlagnahme eines Hirtenschreibens, Gerichtsverfahren und Verhaftung über sich ergehen. Er ist ein ganzer Mann in den Stürmen seiner Zeit. Seine größte Bedeutung aber liegt wohl darin, breiteste Massen der Bevölkerung aufgerufen, für die großen Anliegen der Kirche interessiert und aktiviert zu haben.

Er weiß gewiß um die große Aufgabe der direkten Seelsorgearbeit, und „sein“ Linzer Dom, der gewaltigste Kirchenbau Österreichs im 19. Jahrhundert, zeugt von dieser seiner Auffassung. Durch Jahre ist aber auch Rudigier mit der ihm als Bischof zustehenden Virilstimme der einzige, der letzte Rufer katholischer Anliegen im Landtag, im öffentlichen Raum. Er sieht die Gefahren, erkennt aber auch die Möglichkeiten und Chancen der katholischen Bevölkerung in der im Ausbau befindlichen Demokratie, er sät systematisch und gründlich seine Saat. Eine straffe Organisation der Katholiken zeigt Fernwirkungen noch ein halbes Jahrhundert nach des Bischofs Tod; er gibt die Initiative für den Ausbau einer modernen Presse und setzt damit auch heute nicht zu übersehende Marksteine seines Wirkens.

Längst hat die Stadt Linz, deren Bürgermeister ihn einst verhaften ließ, eine Straße nach ihm benannt; viele tausende Menschen wandern jährlich zum Grab des „Ehrwürdigen Dieners Gottes“ in der Linzer Domgruft; lebendig geblieben ist Rudigiers Gestalt und Wirken unter den Katholiken seiner Diözese, die ihn ganz so in Erinnerung hat, wie Kaiser Franz Joseph ihn nach seinem Tod charakterisierte: „Er war ein tüchtiger Bischof, aber kein kommoder."

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