Werbung
Werbung
Werbung

Sie sind zwei "ganz normale" Ärztinnen, und das bedeutet: Sechzig Wochenstunden Arbeitszeit, Fortbildungen, und nebenher noch Familie mit Kindern. Beide arbeiten an den Grenzen des Lebens: Gabriele Dinhof als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe im Wilhelminenspital, Annette Henry als Palliativmedizinerin im Hospiz Rennweg. Am Beginn und am Ende des Lebens gehört die Bewältigung ethischer Konflikte sozusagen zum Tagesgeschäft. Heute ist Ethik Teil des medizinischen Curriculums. Die Ausbildung von Dinhof und Henry, beide um die vierzig Jahre alt, hat das Fach Ethik jedoch nicht beinhaltet. Beide bedauern das. "Von ethischer Theorie habe ich keine Ahnung", sagt Dinhof offen. "Ich treffe in dieser Hinsicht meine Entscheidungen aus dem Bauch und wende dabei meinen Hausverstand und vor allem meine Erfahrung an. Und meine Erfahrung hat mich gelehrt: Je ehrlicher man ist, umso besser." Manchmal gibt es Situationen, wo ein langes Gespräch notwendig ist: Dinhof informiert Frauen über die verschiedenen Testmethoden der Pränataldiagnostik, begleitet sie bei der schwierigen Entscheidung für oder gegen ein Kind mit Fehlbildung und bereitet sie auf eine Frühgeburt vor. "Manchmal möchte man da selbst davonlaufen", gibt sie zu. "Eine Anleitung aus der Ethik, wie man solche Gespräche führt, wäre sicher sehr hilfreich. Ich bemühe mich jedenfalls, meine Patientinnen gut zu informieren und ihnen dann die Entscheidung selbst zu überlassen. Wenn sie mich aber fragen, was ich tun würde, antworte ich auch."

Gute "graue" Theorie

Gelebte Ethik im medizinischen Alltag ist also praktizierbar - auch ohne theoretische Ausbildung. Dennoch ist die philosophische Disziplin Ethik mit ihren teilweise sehr abstrakten Inhalten für Mediziner keineswegs überflüssig. Die Allgemeinmedizinerin Annette Henry hat spät, aber doch im Rahmen ihrer Palliativausbildung ethische Fachtermini wie Güterabwägung oder die inhaltliche Bedeutung von Prinzipien wie Autonomie und Care (Fürsorge) kennen gelernt. Überraschenderweise empfand sie die graue Theorie als durchaus hilfreich, weil sie - wie Henry selbst sagt - "Ordnung und Klarheit" im Kopf schafft.

Natürlich stößt sie bei ihren ethischen Überlegungen aber auch immer wieder an Grenzen: Am Lebensende gibt es Situationen, die bis zuletzt schwer voraussagbar bleiben wie der Einsatz von Blutkonserven oder auch künstliche Ernährung. "Wir sollen ja als Ärzte nur medizinisch sinnvolle Maßnahmen anbieten. Aber drei Ärzte, drei Meinungen, das ist das Problem", ist sich Henry bewusst. Abgesehen von solchen Schwierigkeiten weiß sie gut um ihre ganz persönlichen Grenzen: "Wenn ein Patient verfügen würde, dass er keine Schmerztherapie will, und sich dann vor mir windet, wäre das für mich schwer auszuhalten." In der Praxis muss Henry jeden Patienten nach seinem Willen befragen - ein Grundkonsens im Palliativbereich, doch gleichzeitig auch eine ethische Herausforderung in Sachen Fingerspitzengefühl: "Ich muss nicht jede einzelne Situation im Voraus besprechen, die vielleicht auftreten könnte. Gerade bei sehr alten Menschen ist es unbarmherzig, sie komplett in die Thematik einzuweihen. Aber ich muss über die grundsätzliche Haltung meiner Patienten Bescheid wissen."

Henry und Dinhof haben etwas gemeinsam, was im Spitalsalltag alles andere als selbstverständlich, aber für den verantwortlichen Umgang mit Patienten unentbehrlich ist: Sie haben Zeit für Gespräche oder nehmen sie sich. Am Beginn oder am Ende des Lebens herrscht Bedarf an gelungener Kommunikation, entsprechend hoch sind hier die Anforderungen an das medizinische und pflegerische Personal. Universität, Akademien und Fachhochschulen haben diesen Bedarf zwar erkannt und das Fach Ethik in die Lehrpläne eingebaut, doch sind die wenigen dafür vorgesehenen Stunden nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Kurse nach dem Vorbild amerikanischer Universitäten in "narrative ethics" - einer Schulung der Kommunikationsfähigkeiten von Medizinstudierenden anhand von Beispielen aus der Weltliteratur - existieren hierzulande nicht.

Ratlos und ausgebrannt

Was bei der Ausbildung versäumt wird, setzt sich später fort: Eine Supervision für Ärzte und Pflegende gibt es nur selten. "Wir sind so strukturiert, dass wir die Lasten dann auf uns nehmen und uns halt so durchwursteln", sagt Dinhof. Das Gefühl der Ratlosigkeit und Überforderung führt auch bei Medizinerinnen und Medizinern nicht selten zum Burnout-Syndrom. Auf der Suche nach einem Rezept gegen die innere Leere begegnet so mancher den Religionen wieder - und stößt auf neues Konfliktpotenzial: "Es ärgert mich, wenn im Ramadan schwangere Musliminnen mit Kreislaufproblemen zu uns kommen, weil ihre Männer sie fasten lassen! Mich ärgert aber auch die Haltung der katholischen Kirche zur Verhütung. Da werde ich dann zum Anti-Moral-Apostel", erklärt Dinhof.

Die grundsätzliche Forderung des Christentums nach Nächstenliebe ist für die Altkatholikin ebenfalls nur bedingt hilfreich: "Wir Ärzte haben sowieso alle ein Helfersyndrom", ist sie sich bewusst. Auch Annette Henry, die in der Jesuitenpfarre Lainz aufgewachsen ist, hat an diesem Punkt schon lange herumphilosophiert: "Die Forderung nach Empfindsamkeit für andere ist eine gute Anleitung des Christentums für eine Ärztin. Aber eine Haltung, die betont, man solle wie Jesus sein Kreuz auf sich nehmen, kann das Burnout-Syndrom ja noch fördern. Wo gibt es eine christliche Anleitung, eigene Kraftquellen, aber auch Grenzen kennen zu lernen?" Erst in der Psychologie habe sie das "Verwirkliche dich selbst!" kennen gelernt. Aber das gerate allzu oft in Konflikt mit der christlichen Lehre.

Spirituelle Fragen wie diese werden im Bereich der Medizin freilich immer leise gestellt - und daher meist nicht gehört. Doch wenn Ärzte und Pflegende den ethischen Herausforderungen einer rasant voranschreitenden Medizintechnologie gewachsen sein sollen, müssen Kirchen und Religionen ein Sensorium für diese Nöte entwickeln und Antworten parat haben. Schließlich brauchen nicht nur Patientinnen und Patienten an den Grenzen des Lebens eine Ethik der Fürsorge.

Die Autorin hat an verschiedenen Institutionen medizinische Ethik gelehrt und baut für das Projekt "Geneskin" der Europäischen Kommission ein Ethik-Netzwerk auf.

VERANSTALTUNGSTIPP:

"Werkstatt Ethik" - Grundlagen - Pränataldiagnostik - Euthanasie

Seminar, das interdisziplinäre Diskussionen rund um Beginn und Ende des Lebens aufgreift und auf den Dialog

zwischen Medizin, Pflege und theologischer Ethik setzt.

Leitung: Dr. Angelika Walser/Theologin, Dr. Gabriele Dinhof/ Gynäkologin, Dr. Annette Henry/Palliativmedizinerin

Termin: Freitag, 24. März, 18.30, bis Samstag, 25. März 2006, 12.00 Uhr

Orte: 1010 Wien, Stephansplatz 3/3, CS Pflege-und Sozialzentrum, 1030 Wien. Oberzellergasse 1,

Beitrag: E 30,-

Anmeldung: www.theologischekurse.at

Veranstaltung der Theologischen Kurse in Kooperation mit der furche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung