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Internationale Pioniere

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Die Pionierschule der Bundeswehr hatte ihren großen Tag: zum erstenmal konnte sie an der Donau die vielen Möglichkeiten und Mittel vorführen, die heute eine Truppe in die Lage versetzen, Flüsse als Hindernis auszuschalten und den Verbänden des Heeres ein schnelles Vorgehen zu ermöglichen. Alle Soldaten der Schule und der ihr angegliederten „Akademie des Heeres für Ingenieurbau“ nahmen an dieser großen technischen Demonstration teil — ausgenommen jene, die auf den Schulterstücken der Heeresuniform die D ienstgradabzeichen afrikanischer Armeen tragen.

Diese Offiziere sind nämlich nicht zur militärischen Ausbildung an die Pionierschule und „Akademie des Heeres für Ingenieurbau“ in die bayerische Metropole kommandiert; die Offiziere aus Nigeria und Niger erhalten vielmehr eine in Theorie und Praxis so umfassend wie nur möglich gehaltene allgemeine technische Ausbildung in solchen Sparten, die für den zivilen Techniker ebenso wichtig wie für den militärischen sind. Dazu gehören neben dem Straßen-, Brücken- und Dammbau auch die Instandhaltung von Wasser-und anderen Versorgungsanlagen, zu denen heute auch die Eisenbahnen und die Pipelines gerechnet werden.

NATO-Lehrplan

Wer nach dem sechssemestrigen Studium an der Akademie die Anstalt verläßt, ist staatlich anerkannter Ingenieur und weiß in den einschlägigen Tiefbaufächern so gründlich Bescheid, daß er sich auch in einem zivilen Beruf behaupten kann. Das gilt sowohl für die Baustatik als auch für den Massiv- und Stahlbetonbau, den Holzbau wie für den Straßen-, Tunnel- und Stollen-

bau. Der Münchner Absolvent kennt sich in der Baustoff- und Vermessungskunde ebenso aus wie im Slahl-und Erdb'au, er kann die unterschied-! lichsten Brückenkonstruktionen vornehmen und ihren Bau überwachen — ebenso wie Arbeiten für den Eisenbahnbau oder das Anlegen einer Pipeline. Die Examen werden nach der vom Staat erlassenen Prüfungsordnung für Ingenieurschulen vorgenommen. Dadurch ist sichergestellt, daß der Studienplan nicht einseitig auf das rein Militärische ausgerichtet ist, sondern alle Voraussetzungen für eine umfassende fachliche, theoretische wie praktische Ausbildung gewährleistet. Die praktische Ausbildung erstreckt sich daher keineswegs auf informierende Besichtigungen oder Belehrungen: jeder Teilnehmer am Aka-demiestudium muß vielmehr bis zum Ende seiner Studienzeit zwölf praktische Monate nachweisen. Studierende ohne Pionierausbildung werden vor Beginn des auf drei Jahre angelegten Studiums sechs Monate zur Bauindustrie abkommandiert. Alle diese Maßnahmen stellen sicher, daß die Absolventen der „Akademie des Heeres für Ingenieurbau“ unter anderem auch die Probleme eines Bauleiters selbst auf Großbaustellen kennen und mit ihnen fertig werden können.

Zehn Prozent der Studierenden und Lehrgangsteilnehmer der Münchner Schule und der Akademie sind Angehörige der verschiedensten NATO-Armeen. Aber auch andere Soldaten aus „wohlwollend neutralen Staaten“ nehmen 'an den Studien-und Ausbildungslehrgängen teil. Algerische Soldaten, deren heimatlichen Verbände mit deutschen Planierraupen, Baggern, Erdhobeln und anderen Großgeräten ausgestattet wurden, werden in der „Akademie

des Heeres für Ingenieurbau“ so ausgebildet, daß sie zu Hause an diesen Maschinen als Lehrer und Instrukteure tätig sein können.

Damit die ausländischen Studierenden so wenig Sprachschwierigkeiten wie möglich haben, besuchen die Afrikaner zunächst die Spra-chenschule der Bundeswehr in Euskirchen bei Bonn. Die zur Pionder-schule kommandierten französischen und US-amerikanischen Soldaten aus den Stationierungskräften erhalten dagegen ihre Ausbildung in kurzfristigen Kursen, die in der jeweiligen Landessprache abgehalten werden.

Aufwertung der konventionellen Waffen

Auf die Ausbildung der französischen und US-amerikanischen Soldaten in der Münchner Pionierschule legen alle beteiligten Stäbe großen Wert. Im Ernstfall ist die Verteidigung von allen Armeen gemeinsam zu führen. Die Kenntnis der dafür zur Verfügung stehenden Maschinen des Pionierparks und das Wissen um die Einsatzmöglichkeit sowie eine gewisse Erfahrung mit den verschiedensten Maschinen und Waffen müssen deshalb so frühzeitig wie nur möglich gesammelt werden. In München geschieht das. An diesen Ausbildungslehrgängen der Stationierungsstreitkräfte nehmen Soldaten aller Dienstgrade teil. Sie beschäftigen sich vor allem mit dem deutschen Kriegsbrückenbaugerät, dessen Kenntnis und Handhabung auch für die Verbündeten deshalb so wichtig ist, weil im Verteidigungsfalle wohl nicht immer mit der Zuführung oder Bereitstellung der In der jeweiligen Armee eingeführten Geräte zu rechnen ist.

Die vom Lehrbataillon verwendeten amphibischen Brücken wurden ge-

meinsaim von den Vereinigten Staaten, von Frankreich und der Bundesrepublik entwickelt. Es hieß in München, daß Großbritannien diese schweren, fast zwölf Meter langen und über drei Meter hohen amphibischen Fahrzeuge, die sofort nach dem Wassern mit dem Ausfahren der Ausleger zum Brückenbau beginnen, ankauft. Die Niederlande sollen sich ebenfalls sehr interessiert zeigen.

Bei einer Pionierüibung an der dort 100 Meter breiten Donau, die hier edne Strömungsgeschwindigkeit von acht Kilometern pro Stunde hat, pas-

sierten schon 60 Minuten nach Baubeginn mehr als 60 Panzer und andere schwere Fahrzeuge mit einem Gewicht bis zu 54 Tonnen die amphibische Brücke. Schneller noch als der Bau vollzog sich das Auseinanderfahren.

Die jetzt von der Münchner Pionierschule demonstrierte große Beweglichkeit beim Uberwinden eines der strömungsstärksten Flüsse Mitteleuropas zeigte, daß der Versuch des potentiellen Gegners, die atomare Schwelle zu unterlaufen, zu einer Aufwertung der konventionellen Streitkräfte des Verteidigers führte.

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