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Digital In Arbeit

Horx, der Mann mit Visionen

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Der deutsche Trendforscher Matthias Horx über die Zukunft der Politik, des Sozialstaates, der Arbeit und Technologie.

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Der deutsche Trendforscher Matthias Horx über die Zukunft der Politik, des Sozialstaates, der Arbeit und Technologie.

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Es gibt gewisse Reizwörter, die bei vielen Menschen Aufmerksamkeit erregen. Dazu gehören das Trendwort „Globalisierungsfalle” und „Jahrtausendwende”. Beides in einem Vortrag kombiniert, sorgte vergangene Woche für starken Publikumsandrang. Matthias Horx, der Hamburger „Guru” unter den deutschsprachigen Trendforschern besuchte Wien auf Einladung der OVP und sprach in dem überfüllten Saal der Baiffeisen Zentralbank Osterreich über „Die dritte Zivilisation oder jenseits der ,Globalisierungs-falle'. Wie wir unsere Gesellschaft auf das 21. Jahrhundert vorbereiten können.”

Der moderne „Sterndeuter” konnte sich ungeteilter Aufmerksamkeit erfreuen. In seinem Vortrag wandte er sich gegen den allgemeinen Trend, der „Zukunftsparanoia” heißt, die Angst vor Gen-Unfall, Arbeitslosigkeit und Sittenverfall. Der Zukunftsforscher bewies in seinen Ausführungen, „daß man sich mit der Zukunft tatsächlich auch anfreunden kann”.

■ Politik: Für den Trendforscher stellt sich die Frage, ob unsere Parteien tatsächlich noch den gesellschaftlichen Strukturen gerecht werden, und ob etwa „konservativ” noch die richtige Formel für eine Gesellschaft im Wandel ist. „Es geht um eine Politik der Moderne und nicht um eine Politik des rechts oder links.” Die Politik der Jahrtausendwende wird auf zwei Säulen basieren: Ökologie und Wirtschaftskraft, die „schwarz-grüne” Zukunft steht uns bevor. Allerdings jenseits des alten Parteiensystems.

■ Sozialstaat: „Sein Problem besteht nicht in erster Linie darin, daß er zuviel Geld verbraucht, sondern darin, daß er schlichtweg zu wenig Jntelli-genz' für eine Individual-Gesellschaft hat. Ein Sozialstaat der Zukunft muß Armen geben, aber sie auch gleichzeitig nach oben zwingen, umverteilen, aber auch ökonomisch produktiv sein. Er darf Initiativen von unten nicht ruhigstellen, sondern er muß sie herausfordern”, meint der Trendforscher.

Ein neuer Wohlfahrtspluralismus sei gefragt: „Der Wohlstand wird weiter wachsen, aber in anderen Währungen; mehr Freizeit und weniger Geld.”

■ Moral und Ethik: Begriffe wie Pflicht, Leistung und Ordnung sind heute nur mehr bedingt sinnvoll. Die in den achtziger Jahren stattgefundene „Ich”-Orientierung hat ebenfalls den Zenit überschritten. Die Neunziger sind von weichen, individuellen Werten geprägt, etwa Freundschaft, die immer zentraler wird, Spiritualität (individualisierter Glaube), Engagement und Ehrlichkeit. Im Mittelpunkt steht ein „Softindividualis-mus”, die Suche nach einer individualistischen Moral. Sie wird widersprüchlicher, paradoxer aber auch reicher.

„Eine komplexere Gesellschaft benötigt auch eine komplexere Moral”, analysiert Trendforscher Horx und: „Es entstehen Werte, die auf freiwilliger Bindung und Gegenseitigkeit bei voller individueller Freiheit beruhen, und die eine Grundlage für einen neuen Gesellschaftskontrakt bilden könnten.”

■ Arbeit: Die Identität ist durch die Berufsbezeichnung gegeben: Ich bin Fleischhauer, Tischler,... Die Arbeit war bisher definiert als lebenslanger Arbeitsplatz. Doch wir werden, prognostiziert der Trendforscher, vom „Goldenen-Uhr-Prinzip” Abschied nehmen müssen. Die „Festanstellung” wird verschwinden. Unternehmergeist, bei uns stark verkümmert, ist immer mehr gefragt.

Einfache, also unkomplexe Arbeit wandert in die Entwicklungsländer ab oder wird maschinell ersetzt. Jede Arbeit, die man anweisen kann, wird billiger. Gleichzeitig steigt der Wert „komplexer” Arbeit. Das erklärt, so

Horx, die steigenden Unterschiede der Einkommen in der westlichen Welt. Die Lösung: den Komplexitäts-grad unserer Arbeit auf breiter Ebene erhöhen.

■ Technologie: Gentechnik, Biotechnik, Fronttechnologien haben durchaus ihre Berechtigung, jedoch möchte der Trendforscher die Euphorie ein klein wenig relativieren.

Beispiel Computertechnologie: Horx prognostiziert ein Implodieren der Computerbranche. „Wer stellt sich schon gerne einen teuren Computer auf den Tisch, der morgen schon wieder veraltet ist?” Der überkomplexe Markt hat die Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie vernachlässigt. Horx bringt es auf den Punkt: „Informationsgesellschaft heißt vor allem: Wie werde ich die Information wieder los?” Neue Kommunikationstechnologien lösen zunehmend keine Probleme mehr, sondern produzieren Streß.

Schließlich will Horx in seinen Ausführungen auch das Gespenst „Globalisierung” entmystifizieren. „Wer heute von Globalisierungsfalle spricht, irrt in vieler Hinsicht” denn: „In letzter Konsequenz kann man Globalisierung, was immer man damit meint, nur durch konsequenten Nationalismus bekämpfen. Nationale Politik ist in einer offenen Welt aber gottlob eine systematische Unmöglichkeit geworden.” Für den Zukunftsforscher geht es um die Kernfrage, ob wir in einer offenen Gesellschaft leben wollen oder lieber nicht.

In der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wird es weiblicher, östlicher, älter und chaotischer Zugehen. „Sie wird mehr Risiken für den einzelnen bergen, aber auch mehr Selbstverwirklichungsmöglichkeiten - mehr Streß, weniger Frust.

Sie wird widersprüchlicher sein und von mehr Brüchen durchzogen, aber dafür auch reichhaltiger, mobiler und kreativer sein können.” Zum Abschluß versprüht der Zukunftsforscher noch einen Schuß Optimismus: „Wer an die Zukunft glaubt hat buch -stäblich alle Zeit der Welt”.

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