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Mehr elastisch bitte!

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Es ist zu hoffen, daß das neue Verkehrsgesetz vielen Bedingungen des modernen Verkehrs gerechter werden wird, als es das nicht nur alte, sondern vor allem v e r altete vermocht hat. Dennoch bleibt noch viel zu tun übrig. Heute wollen wir eine Reihe von Wünschen außerhalb des Verkehrsgesetzes anmelden, Wünsche, die dem Kraftfahrer sehr am Herzen liegen, da sie ihm sein Kraftfahrerleben vergällen.

Der stetig im Wachsen begriffene Verkehr, vor allem im Großstadtgebiet, fordert dringend entsprechenden Parkraum, denn der „fließende Verkehr“, den wir durch das vorerst ungesetzliche, später legalisierte Schienenparkverbot angeblich erreicht haben, kann wohl nicht als eine echte Lösung betrachtet werden. Die Behörden berücksichtigen diesbezüglich viel zuwenig, daß Autos Verkehrsmittel sind, die eine oder mehrere Personen bzw. Transportgut zu befördern haben und am Ziel zwangsläufig einige Zeit halten müssen. Es ist also ebenso wichtig, für den ruhenden Verkehr etwas zu tun wie für den in Bewegung befindlichen. Besonders der Selbstfahrende, der also über keinen Chauffeur verfügt, der für ihn nach dem Aussteigen einen entsprechenden Parkplatz sucht, ist gezwungen, kostbare Zeit mit der ständigen Suche nach einem Parkplatz zu vergeuden, Zeit, die der Wirtschaft absolut verlorengeht, bis er endlich seinen geschäftlichen Erledigungen nachgehen kann. Automobile und alle übrigen Kraftfahrzeuge gleichfalls haben, ja schließlich nur den einen Sinn, einen notwendigen Transport raschest durchzuführen, und dieser Sinn geht nur dann nicht verloren, wenn auch relativ rasch ein Parkplatz gefunden werden kann.

Es ist keineswegs einzusehen, weshalb die sogenannte Blaue Zone, die sich im Wiener Stadtinneren recht gut bewährt, nicht auch auf sämtljehe andere Hauptverkehrsstraßen ausgedehnt wird, die ja meist breit genug hierfür sind. Es liegt uns fern, hier annehmen zu wollen, daß hier eine bequeme Einnahmsquelle für die Behörde gegeben ist, die man durch entsprechend verkehrsgerechte Maßnahmen nicht ohne weiteres zum Versiegen bringen will. Feststeht jedenfalls, daß die Polizei heute weniger Verständnis oder Toleranz denn je zeigt und daß kaum jemals mehr und höhere Strafmandate an Kraftfahrer erteilt wurden als in letzter Zeit. Und das nicht etwa wegen verkehrswidrigen Fahrens, nicht etwa wegen schlechter, alle anderen Verkehrsteilnehmer gefährdender Bereifung, auch nicht wegen schlecht eingestellter Scheinwerfer oder desolaten Zustandes eines Fahrzeuges, nein, ausschließlich deshalb, weil ein Kraftfahrer eine kurze Erledigung in einer Geschäftsstraße durchzuführen hat. Bei Verlassen des Geschäftes nach wenigen Minuten wird er bereits einen roten Zettel in der Windschutzscheibe vorfinden, der für ihn einen Aderlaß von 100 S und mehr bedeutet. Man kann beobachten, mit welchem Eifer, der einer besseren und vor allem wichtigeren Sache wert wäre, die Polizei diese Gelegenheiten wahrnimmt. Dafür vermißt man in zahlreichen Belangen, die dem Verkehr wirklich dienen würden, das wachsame Auge eines Schutzorgans, das den Rowdy, den jede Rücksicht im Verkehr außer acht lassenden Verkehrspiraten, aus der Schar der durch ihn Gefährdeten herausfischt und nicht nur der gerechten, sondern vor allem äußerst notwendigen Bestrafung zuführt.

Dies bezieht sich jedoch nicht auf die Verkehrspolizei. Es sind vielmehr stets Wachebeamte, die außerhalb des effektiven Verkehrsgeschehens stehen. Die Verkehrspolizei — das sei hier anerkennend vermerkt — ist nicht nur äußerst korrekt, sondern zeigt auch ein weit verkehrsgerechteres Denken. Das ist nur verständlich, handelt es sich hier doch um wirkliche Fachleute auf dem Gebiet des Verkehrswesens, die dienstlich selbst meist motorisiert und daher mit den praktischen Gegebenheiten der Straße bestens vertraut sind, so daß hkr Fehlentscheidungen äußerst selten vorkommen, und hier auch wieder nur bei ganz jungen Beamten. Außerdem ist der Verkehrspolizist meist voll ausgelastet, ja in vielen Fällen sogar ausgesprochen überlastet.

Wie wenig erzieherischen Wert die zahlreichen Strafmandate trotz ihrer Lästigkeit und Höhe haben, geht vielleicht am bestens daraus hervor, daß Österreich eines der verkehrsunfallreichsten Länder der Welt überhaupt ist. Dazu kommt, daß ein stehendes Fahrzeug nur in den allerseltensten Fällen verkehrsgefährdend ist, während das fahrende Kraftfahrzeug einer strengen Kontrolle bei weitem mehr bedürfe. Es ergibt sich also die Situation, daß man seine ganze Aufmerksamkeit auf den, man kann ruhig sagen völlig ungefährlichen stehenden Verkehr konzentriert, obwohl mittlerweile im „fließenden Verkehr“ ohne weiteres ein Blödsinn nach dem anderen begangen werden kann, ohne daß das „Auge des Gesetzes“ einen Blick riskieren würde. Das einzige, das es von seiner Schreibtätigkeit ablenkt, ist der bereits erfolgte Verkehrsunfall mit all seinen Folgen. Wenn es dann so weit ist, bezahlt der an einem solchen Unfall eigentlich Schuldige eine lächerliche Summe, läßt eine Unmenge Unannehmlichkeiten, Spesen und hoffentlich keine Verletzten oder gar Tote zurück.

Dürfen wir in diesem Zusammenhang auf ein konkretes Beispiel hinweisen? Auf einer der größten Wiener Geschäftsstraßen dreht ein Pkw. plötzlich um, so daß das nachfahrende Fahrzeug eine Notbremsung durchführen muß, worauf natürlich der dritte Wagen auf den zweiten auffährt und ein Sachschaden von weit mehr als 10.000 S entsteht. Der den Unfall durch grob verkehrswidriges Verhalten verursachende Pkw. wird mit einem Strafmandat von sage und schreibe 10 S belegt und fährt unbehelligt weiter, die Ordnung all der verursachten Unannehmlichkeiten und Schäden schuldlosen Mitbürgern überlassend. Jener Fahrer aber, der vielleicht auf der gleichen Hauptstraße wenige Minuten hält, weil er eine sehr dringende Angelegenheit, Besorgung und ;*b?wtit& feu“*fl iäig$n'Mt, erhält zur gleichen Zeit eine Verwaltungsstrafe von 100 S.

Hier fragt sich der gesunde Menschenverstand: Nach welchen Gesichtspunkten werden hier Strafmandate eigentlich verteilt?

Zu erwähnen wäre hier aber auch noch, daß Rekurse, wenn auch noch so begründet, absolut nicht dazu angetan erscheinen, den Polizeireferenten auch nur zum Nachdenken darüber anzuregen, ob nicht etwa vielleicht der straffällige Kraftfahrer mitunter auch im Recht sein könnte. Es erhöht sich ausschließlich der Strafbetrag um einige Verwaltungsabgaben.

Wohl möglich, daß hier das neue Verkehrsgesetz einigermaßen Abhilfe schafft; bleiben aber wird der Mangel der Behörden an Elastizität. Hier merkt man kein Wachsen mit der größeren Aufgabe, kein Mitgehen mit dem ständigen Zuwachs an Kraftfahrzeugen, ja man überläßt Organen eine viel zu große Entscheidungsgewalt, die mit der Natur einer Sache bei weitem nicht so vertraut gemacht werden, wie es notwendig wäre, um die erforderliche Erfahrung und damit auch einen entsprechend guten Willen zu gewinnen. Wir leben heute in einer Zeit, da sich auch der relativ Unbegüterte ein Kraftfahrzeug — wenn auch mit Opfern — leisten kann. Es ist nicht nur abzulehnen, daß er bei jedem für die Sicherheit des Verkehrs ganz unwichtigen Anlaß geschröpft wird, sondern auch, daß er Ressentiments erweckt, wie man vielfach den absoluten Eindruck hat.

Man kann nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß die zuständigen Behörden außer der Flut an Strafmandaten der letzten Zeit auch noch entsprechende Maßnahmen treffen werden, die dem Kraftfahrer das Leben nicht nur immer mehr erschweren, sondern mitunter auch etwas erleichtern. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Zuviele Gesetze bewirken, daß sie nicht befolgt werden. — An zu viel Strafen sind eher die Strafenden schuld als die Bestraften.

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