6650643-1958_51_09.jpg
Digital In Arbeit

Wort und Ton in der Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Die bedeutenden Architekten des Kirchen-baues in Oesterreich haben in Wort und Werk zum Ausdruck gebracht, daß die heutige Gestaltung des Kirchenraumes überwiegend streng und weitgehend frei von Einbauten, Gliederungen und kleinmaßigem Zierat ist. Es entstehen so Räume, die, im Vergleich zu ihrem Volumen, geringe Schallschluckung der Begrenzungen aufweisen. Die dichten Baustoffe Stein und Putz machen ferner optisch wirkungsvolle Raumunterteilungen großen Maßes, wie Unterkirchen, Kapellen, akustisch ganz dem Hauptraumvolumen zugehörig und verlängern den Nachhall.

Es steht außer Frage, daß eine akustische Bearbeitung die Raumgestaltung seitens des Architekten unterstützend begleiten muß, wenn nicht ungünstige Auswirkungen entstehen sollen. Eine Kirche, in der man die Predigt kaum versteht oder in der kein sicherer Chorgesang möglich ist, wird man nicht als gute Lösung bezeichnen können. Es muß hier dem Musikhistoriker die Frage gestellt werden, ob nicht die zu stark hallende Kirche von heute das Erliegen der Kirchenmusik als eine jener Künste bedeuten könnte, die in Oesterreich einmal einen besonders hohen Stand erreicht hatten.

Angesichts der aufgezeigten kulturgeschichtlichen Bedeutung einer Beobachtung akustischer Notwendigkeiten beim Neu- oder Umbau von Kirchen sind nachstehend grundsätzliche Darlegungen über die Kirchenakustik gegeben.

An die Spitze möge ein Vergleich der die Akustik in der Kirche entscheidend bestimmenden Nachhallzeit in alten und neuen Kirchen gesetzt werden, um dem Einwand zuvorzukommen, daß man früher auch keine akustische Ausstattung gebraucht hätte und dennoch die hohe Zeit der Kirchenmusik möglich war. Neue Messungen (W. Lottermoser), die mit modernen Meßgeräten in schwäbischen Barockkirchen vorgenommen wurden, zeigen eine Nachhallzeit, die bei kleinem Rauminhalt um zweieinhalb Sekunden beträgt und bei sehr großem auf sechs bis sieben Sekunden ansteigt. Diese für die unbesetzte Kirche gültigen Werte verringern sich selbstverständlich bei voller Besucherzahl, und zwar um so mehr, je kleiner das Luftraumvolumen je Platz ist. Bei großem Volumen je Platz ist die Verkürzung geringer. I Die. Messungen zeigen als sehr wichtige Erkenntnis, daß in diesen Kirchen die tiefen Frequenzen kürzer nachklingen als die mittleren, wodurch der Halleindruck gemildert wird. Bei den heutigen glatten Kirchen aus Beton und Putz sind die tiefen Frequenzen jedoch zu lange nachhallend, weshalb auf ihre Dämpfung (die baulich schwierig ist) geachtet werden muß.

Es wäre tragbar, wenn die Nachhallzeit in neuen Kirchen um einen begrenzten Betrag von 10, 20 oder 30 Prozent über dem Wert, der aus Kirchen mit bekannt günstiger Akustik gefolgert wird, liegen würde. Tatsächlich aber ist die Nachhallzeit vereinzelt bis zu 100, 200 oder 300 Prozent länger.

Naturgemäß wird dem Akustiker die Frage nach der günstigen Nachhallzeit für eine Kirche gestellt. Bei ihrer Beantwortung tritt sogleich die Schwierigkeit des Problems zutage: für die Sprache (Predigt) sollte sie etwa um eine Sekunde sein, für die konzertante Kirchenmusik nahe an zwei Sekunden, für Orgel- und Chorgesang noch etwas höher, etwa zweieinhalb Sekunden. Alle Werte gelten für die besetzte Kirche und für ein mittleres Volumen von 5000 bis 10.000 Kubikmetern, da die Nachhallzeit mit dem Rauminhalt etwas ansteigen soll. Es muß sich also in jedem Fall um ein Kompromiß handeln, bei dem fast immer die Sprache zu kurz kommt und durch die Kunst und Erfahrung des Predigers eine notwendige Hilfe bekommen muß.

Eine zufriedenstellende Silbenverständlichkeit von 75 Prozent ist mit einer Nachhallzeit von zwei Sekunden begrenzt. Die sehr gute Silbenverständlichkeit von 80 bis 85 Prozent (Nachhallzeit eine Sekunde) kann, mit Rücksicht auf das gute Klingen von Orgel und Chor, allerdings nicht gleichzeitig erfüllt sein. Dies wäre nur bei einer „veränderlichen Akustik“ des Raumes gegeben, die also gestatten würde, seine Schallschluckung je nach Verwendung zu verändern.

Man wird zusammenfassend die Größenordnung von zwei bis zweieinhalb Sekunden als günstige Nachhallzeit einer Kirche mittlerer Größe (5000 bis 10.000 Kubikmeter) und als allgemeine Richtlinie vorschlagen können.

Ohne akustische Behandlung hätten aber die nach den jetzt gültigen Gesichtspunkten gestalteten Kirchen eine um ein Vielfaches längere Nachhallzeit, selbst wenn sie gut besucht sind. Ihre akustische Ausstattung ist demnach erforderlich.

Die Möglichkeiten der nachhallverkürzenden Ausstattung sind vielfältige, und von Fall zu Fall ist die günstige Lösung so verschieden, daß es unzweckmäßig erscheint, hier mehr als Grundsätzliches zu sagen.

Schwierigkeiten bereitet es stets, die Zahl der Kirchenbesucher richtig anzusetzen. Der Akustiker muß daher die Berechnung für volle, mitt-ere und geringe Besetzung der Kirche durch-ühren, um zu einem wohlüberlegten Kompromiß su kommen.

Die stofflichen Möglichkeiten der Nachhall-iämpfung sind dadurch gekennzeichnet, daß es nitschwingende Schallschluckeinrichtungen wie Holzverkleidungen gibt, die ebenso wie Hohlraumresonatoren bei den tieferen Frequenzen wirksam sind und porige Schallschluckeinrichtungen, wie zum Beispiel Dämmplatten oder akustischer Putz, die (ebenso wie die Personen) bei den mittleren und hohen Frequenzen wirken. Die Schallschluckung der Luft beeinflußt nur die hohen Frequenzen.

Erwähnt soll noch die Möglichkeit werden, porige Schallschluckstoffe, wie es zum Beispiel Glas- oder Hüttenwolle, Holzwolleplatten, Holzfaserdämmplatten sind, durch eine gelochte oder geschlitzte Abdeckung aus organischen und auch aus anorganischen massiven Platten optisch abzudecken, akustisch aber zur Wirkung zu bringen, wobei hinsichtlich des Anteiles der Lochung und so weiter, bekannte Regeln eingehalten werden müssen.

Wenn vom Architekten allerdings keine der fielen Ausstattungsmöglichkeiten an keiner der rorhandenen Flächen als geeignet angesehen tfird, kann keine geeignete Akustik des Raumes :ntstehen. Auch mit zur Verfügung gestellten leinen Ausstattungsflächen ist nicht gedient, la diese in der Größenordnung von einigen hundert Quadratmetern benötigt werden.

Mit diesen Angaben soll vor allem auch vermieden werden, daß Umbauten von Kirchen und erst nach Beendigung der Arbeiten (die meist mit Vereinfachungen der Raumausstattungen verbunden waren) die schon vorher leicht vorhersehbare Notwendigkeit erkannt wird, eine gewisse akustische Ausstattung, nun aber mit erhöhten Kosten, anzubringen.

Günstigerweise wirken die ersten Ausstattungsmaßnahmen am meisten, die folgenden zu einem immer kleineren Bruchteil. Umgekehrt aber ist es auch so, daß die Wegnahme einer kleinen Ausstattung oder Gliederung, die wenigstens eine gewisse Schluckung und Schallzerstreuung bewirkt hatte, eine Kirche akustisch stark verändern (verschlechtern) kann.

Zur akustischen Ausstattung zählen auch schallzerstreuende Vorkehrungen, wie stark? Gliederungen, tiefe Kassettierungen u. dgl., die einer Diffusivität dienen und so helfen, ein gleichmäßiges Schallfeld zu erzeugen oder ungünstige Schallrückwürfe (zum Beispiel Echo) unschädlich zu machen. Allerdings müssen die Gliederungen in der Größenordnung der Schallwellenlänge liegen, um wirksam zu sein. Deckenspiegel beispielsweise, die mit seichten Rillen versehen sind, wirken schalltechnisch glatt und sind akustisch eine verschwendete Ausgabe.

Sehr gute Wirkung in Kirchen ermöglichen Holzdecken. Bei der bekannten neuen Pfarrkirche in Donawitz (Architekt K. Lebwohl) wurde über Beratung durch den Verfasser außerdem noch durch Schlitze in den Falzen der Bretter der Decke ein Schalleintritt zu unsichtbar dahihterliegenden schallschluckenden Hera-klithplatten. ermöglicht. Leicht poriger Putz durch Hüttenbimszusatz verstärkte die Schlukkung der Wände der Kirche, die Schoten der Stahlbinder erhöhten die Diffusivität und zählen bereits zur Frage der Raumform.

Man wird erstaunt sein, daß die günstige Raumform erst nach der günstigen Nachhallzeit gereiht behandelt wird. Dies geschieht in der Absicht, hervorzuheben, daß die Regelung der Nachhallzeit in der größeren Zahl der Entwürfe von Kirchenbauten nicht zu großen Rauminhalts das akustische Problem bereits löst. Ferner auch, um den um die Gestaltung des Raumes ringenden Architekten im Gefühl der vollen Freiheit seines künstlerischen Schaffens zu unterstützen. Es soll die Aufgabe des Akustikers sein, eine aus gewichtigen Gründen so und nicht anders gezeichnete Form der Kirche sorgfältig rechnend und versuchend auszustatten, so daß diese Form akustisch gut beurteilt werden kann.

Ein Beispiel soll dies erläutern: Hohlkrümmungen wie Kuppeln, Zylinder und ihre Abschnitte-sind schalltechnisch wegen unvermeidlicher Brennpunkte und Brerinliriien mit Schall-

Nachhallzeit in zwei Kirchen und int Großen Musikvereinssaal in Wien nach Messungen der Staatlichen Versuchsanstalt für Wärme- und Schalltechnik in Wien: 1 Kirche im Stil des vorigen Jahrhunderts, leer, 8500 w3; 2 moderne Kirche mit geringer Ausstattung, leer, 7300 m3; 3 Großer Musikvereinssaal, Wien, leer, 15.000 m3; 4 Großer Musikvereinssaal, Wien, besetzt konzentrationen mit Vorsicht zu verwenden. Es hängt aber bei einer Kuppel oder einem Gewölbe von der Höhenlage des Krümmungsmittelpunktes über den Kirchenfußboden ab, ob sie eine Brennpunktwirkung gibt oder ob sie sogar wie eine ebene Deckenfläche wirkt (L. Cremer). Aber auch den ungünstigsten Fall kann der Akustiker beeinflussen, indem er die ohnehin notwendigen Dämpfungsflächen im Netzwerk der Kuppel oder des Gewölbes anordnet, um die schallkonzentrierende Wirkung zu schwächen. Das gleiche gilt für ein Gewölbe mit lotrecht stehender Achse, wie es eine Apsis darstellt, welche als akustisches Problem beispielsweise auftritt, wenn zylindrische Apsiden oder Seitenschiffabschlüsse durch Entfernung früher bestandener schallzerstreuender Altarbauten schallkonzentrierend wirksam werden. Ein Beispiel dazu ist die Pfarrkirche St. Helena in Baden (Arch. Dr.-Ing. H. Petermair), bei der das zylinderförmige Gewölbe einen akustischen Putz in den Feldern eines Netzwerkes erhielt (siehe Bild). .Ailrdipgs darf, ein solcher Akustikurtz-nE./„ durch einen Anstrich unwirksam .gemacht-, werden.

Die physikalische Akustik erlaubt heute die Hörsamkeit von Räumen so weit vorauszuberechnen, daß die Qualität an jeder Stelle vorhergesagt werden kann. Allerdings sind das sehr mühsame und zeitraubende Arbeiten, die nicht in jedem Baufall durchgeführt werden können. Sie beruhen auf dem Vergleich der nützlichen mit den schädlichen Schallanteilen und möglichster Steigerung der ersteren gegenüber den letzteren (J. Engl).

Für die Kirchenakustik ergibt sich daraus eine wichtige Folgerung für den Aufsteilungsort der Kanzel (Ambone) im Raum. Da die Stärke des direkten Schalles durch die kugelförmige Ausbreitung mit der Entfernung rasch abnimmt, soll die Kanzel so nahe als möglich bei den Kirchenbänken angeordnet sein, um das Qualitätsverhältnis so hoch als möglich zu halten. (Jeder Student weiß dies aus Erfahrung und setzt sich demzufolge in einem schlecht besuchten, hallenden Hörsaal ganz vorne, um den direkten Schall möglichst stark wirksam zu haben.)

Nach Möglichkeit soll ferner eine nahe Rückwand hinter der Kanzel den nützlichen Reflexschall steigern (früher Schalldeckel).

Auch für den Zusammenhang zwischen Akustik und Zahl und Anordnung etwa vorgesehener Lautsprecher ist das Qualitätsverhältnis von Wichtigkeit. Es gestattet einen Verständlichkeitsradius als jenen Abstand auszurechnen, den die Lautsprecher von den Zuhörern höchstens haben sollen und damit die erforderliche Zahl der Lautsprecher zu ermitteln. Es gilt jedenfalls der Grundsatz, daß eine gut entworfene Akustik die Lautsprecher gut wirken läßt und eine schlecht ausgelegte Akustik auch durch Lautsprecher nur mangelhaft korrigiert werden kann.

Nur erwähnt können noch weitere akustische Fragen des Kirchenbaues werden, wie Aufstellungsort und Höhe von Orgel mit ihrem Rückpositiv; Lage und Höhe der Sängerempore; Wirkung eines Engelschores; Anordnung einer Wochentagskirche im Hauptraum usw. Diese Elemente können zweckmäßig nur am besonderen Baufall behandelt werden.

Allgemeingültig ist das aufgezeigte Erfordernis, der Akustik der Kirche jene Aufmerksamkeit zu schenken, die der Verantwortung auch folgenden Generationen gegenüber gerecht wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung