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Claudel und Braunfels

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Es ist sicher kein Zufall, daß am gleichen Orte, an dem vor eineinhalb Jahren die deutsche Erstaufführung des „Seidenen Schuhs" von Paul Claudel stattfand, am 4. April 1948 die Oper „Verkündigung" von Walter Braunfels nach Claudels „M y s t e r i u m" uraufgeführt wurde. Denn hier am Rhein, wo sich deutsche und französische Kultur am nächsten berühren und seit Jahrhunderten gegenseitig befruchtet haben, ist der beste Boden für ein Werk, bei dem französisdier Geist und deutsche Musik zu einem bedeutenden Kunstwerke verschmolzen sind.

Der Komponist Walter Braunfels ist durch vielerlei Bande seit langem mit dem rheinischen Musikleben verknüpft. Von 1925 bis 1933 war er Direktor der Kölner Musikhochschule und betreut auch seit Kriegsende wieder den Neuaufbau dieses Instituts. Die Oper „Verkündigung“ entstand in den Jahren 1933 bis 193 in Godesberg am Rhein, wo der politisch geächtete Komponist in Zurückgezogenheit nur seinem kompositorischen Schaffen lebte. Es ist vielleicht von tiefer Bedeutung für das Werk, in dem die Schönheit der Welt gepriesen wird, welche denen zuteil wird, die sich selbst in christlicher Demut aufopfern, daß es im Gegensatz zu einer Zeit geschrieben wurde, die nur Haß und Ungeist kannte und für den Komponisten eine Zeit des täglichen Opfers und Verzichtes war.

Für diejenigen, denen die „Vögel“, Braunfels bekannteste Oper, noch in lebendiger Erinnerung ist, bedeutet die „Verkündigung" in vieler Hinsicht eine Überraschung. Nicht wie bei den „Vögeln“ schafft sich der Komponist -— wohl unter Anlehnung an ein altes bekanntes Vorbild — einen persönlich gestalteten eigenen Text, nein, hier nimmt er sich die Claudelsche Dichtung in der deutschen Übertragung von Jakob Hegner — von einigen für die Oper unerläßlichen Änderungen und Kürzungen abgesehen — zur wörtlichen Vorlage für seine Vertonung. Die kleinen Änderungen gegenüber dem Claudelschen Original, soweit sie uns auffielen, sind außerordentlich einfühlsam und geschickt vorgenommen, sich ganz dem Geiste der Dichtung einfügend und von einem feinen Sinn für Bühnenwirkung zeugend. In dieser Hinsicht ist vor allem interessant, wie Braunfels an drei wichtigen Punkten des Stückes den Chor einsetzt. So singen im ersten Akt beim Abschied des alten Vaters, der nach Jerusalem pilgert, die Knechte und Mägde das liturgische Tischgebet „Aller Augen warten auf dich“ und verstärken dadurch den metaphysisch überzeitlichen Geist dieser Szene. Der Chorsatz ist hier von einer fast metallisch-harten Kontrapunktik. Im dritten Akt, dem inneren Höhepunkt des Stückes, wenn die aussätzige Violäne in ihrer reinen Demut des Wunders einer Totenerweckung gewürdigt wifd, singen unsichtbare Engelschöre lateinische Hymnen zum Lobe der Gottesmutter und der Menschwerdung des Sohnes. Hier ist ganz im Gegensatz zum ersten Chor das Klangbild fast impressionistisch und betont die mystische Atmosphäre des weihnachtlichen Wunders. Zum wirkungsvollen Ausklang des Stückes zieht Braunfels noch einmal den Chor heran und läßt ihn zum Tode der Violäne das „De profundis" an- stimmen, das die ernste Strenge eines liturgischen Gesanges hat. Interessant ist auch zu vergleichen, wie Braunfels — mehr durch musikalische Akzentuierungen als durch textliche Änderungen — die Bedeutung der Hauptfiguren zueinander gegenüber Claudel verändert. Der Dombaumeister Peter von Ulm tritt durch seine ausgeprägte musikalische Thematik, die sich durch das ganze Stück hindurchzieht, ganz in den Vordergrund und wird zum ebenbürtigen Partner der Violäne. Die letzte große Schuld der Mara, die in ihrer Eifersucht auch noch versucht, die Schwester zu töten, wird verschleiert und nur durch eine Pantomime angedeutet.

Mit der Musik zur „Verkündigung“ ist Braunfels das Bedeutendste und Tiefste überhaupt gelungen, das wir von ihm kennen. Es zeigt sich in diesem Werk, daß man seine Musik keineswegs mit Schlagworten wie Münchener Schule, Spät- oder Neuromantik, abtun kann. Sein auf breitester Basis stehender musikalischer Stil hat viele Parallelen zum reifen Pfitzner, aber auch zu Bruckner bestehen starke Beziehungen, dessen Harmonik und Kontrapunktik er in höchst persönlicher Weise weiterentwickelt. Vielleicht durch den Text beeinflußt, tauchen französisch-impressionistische Klänge auf (dem Kcmponisten selbst wohl am wenigsten bewußt). Daneben begegnen wir aber auch an Stellen, wo die dämonische Welt des Aussatzes wirksam wird, einer harten konzessionslosen Harmonik. Alle diese verschiedenen Elemente lassen jedoch das Ganze keineswegs in Stückwerk zerfallen, sondern sind durch Braunfels starke persönliche Eigenart zu einem selbständigen Stil verschmolzen. Die Instrumentation ist meisterhaft durchsichtig wie bei keiner seiner früheren Partituren und dem Charaker dieses Stückes entsprechend dunkel gefärbt; nur an einigen Höhepunkten, wie vor allem im Schluß des zweiten Aktes, wenn Jakobäus die aussätzige Violäne verstößt, blitzen im Orchester sdinei- dend grelle Farben auf. Wollten wir noch etwas von der Musik besonders hervorheben, so ist es das Vorspiel, das mit bewundernswerter Sparsamkeit der Mittel ausschließlich aus dem markanten Kopfmotiv des Peter von Ulm entwickelt ist:.

Der Abend wurde ein großer Erfolg füt den anwesenden Komponisten, der stürmisch gefeiert wurde. — Mancher mochte vergleichend an Hindemiths „Mathis“ denken, den man kürzlich in der Nachbarschaft sehen konnte, und freudig feststellen, daß Komponisten, die scheinbar zwei so verschiedenen Stilrichtungen angehören, sich in den wesentlichen Dingen näher sind, als sie vielleicht selbst ahnen.

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