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Die hohe Kunst der romanischen Epoche in Frankreich

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Gallia romanica. Von Joseph Gantner / Marcel Pobe / Jean Roubier. Vorwort von Marcel Aubert. Verlag Anton Schroll Sc Co., Wien-München. 52 Seiten Text, 271 Bildtafeln in Kupfertiefdruck, 32 Seiten Bilderläuterungen

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Gallia romanica. Von Joseph Gantner / Marcel Pobe / Jean Roubier. Vorwort von Marcel Aubert. Verlag Anton Schroll Sc Co., Wien-München. 52 Seiten Text, 271 Bildtafeln in Kupfertiefdruck, 32 Seiten Bilderläuterungen

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Wenn wir mit H. Focillon die romanische Kunst als die erste geistige Manifestation der abendländischen Einheit bezeichnen dürfen, so wird damit schon • die Aktualität des großen Standardwerkes umschrieben, das der Verlag A. Schroll & Co. vorlegt; dieser prachtvolle Band, der aus der glücklichen Zusammenarbeit dreier Kunstgelehrter und eines namhaften Lichtbildners entstand, spiegelt die vielfältigen künstlerischen Leistungen einer Epoche, die an Höhe und Reinheit des Denkens und Wollens innerhalb der europäischen Kunstgeschichte nicht mehr ihresgleichen gefunden hat.

Das Vorwort Marcel A u b e r t s will nur in gedrängter Kürze den Plan des Buches andeuten. Den wesentlichen Teil des Textes bildet J. Gantners kostbarer Essay über „Die romanische Kunst Frankreichs“, die Quintessenz der rastlosen Arbeit eines reichen Gelehrtenlebens: es ist ein geistiger Genuß besonderer Art, an Hand der klaren Ausführungen Gantners von den mannigfaltigen Erscheinungsformen dieser nahezu rein sakralen Kunst zu ihren geistigen Grundlagen vorzudringen, in jenen hellen Bereich, in welchem einzig die Verherrlichung des Schöpfers, nicht aber künstlerische Willkür die Ziele festlegt, die Darstellungsinhalte bestimmt. — Eben deshalb ist ja romanische Kunst für unsere Gegenwart so beängstigend aktuell: Wir stehen am bitteren Ende einer hybriden einseitigen Kunstentwicklung, die dem Streben nach Originalität und nach Autonomie der Künstlerpersönlichkeit entsprang und sich bereits ad absurdum geführt hat. Was uns aber aus jeder Zeile, jedem Bilde des vorliegenden Bandes „Gallia romanica“ anredet, ist gerade das, was unsere Epoche braucht und unbewußt sucht: Selbstverleugnung der Schaffenden beim Dienste an der Idee.

Marcel V ob e hat im Rahmen dieses Wetkes mit seinen „Wanderungen durch das werdende Frankreich“ die geschichtlichen Grundlagen der Romanik dieses Landes schaubar gemacht: Er umschreibt die Grenzen des Kunstschaffens Frankreichs im 11. und 12. Jahrhundert (zu dem das deutsche Elsaß nicht gehört, weshalb wir die Baudenkmäler von Maursmünster und Schlettstadt unter der Tarnung von „Marmoutier“ und „Selestat“ in dem Buche missen könnten); er leitet meisterhaft die geistige Grundhaltung dieser Sakralkunst ab und zeigt die ihr zugrunde liegende Glaubensform mit der Wärme innerster Ueberzeugung — nicht in abstrakter Allgemeinheit, sondern in packender Gegenständlichkeit auf. Mit diesen Darlegungen wächst das Buch über das rein Kunstgeschichtliche zur Höhe einer geisteswissenschaftlichen Deutung empor; es läßt die seelische Substanz der Kunstformen erkennen.

Wesentlichen Anteil an Wert und Wirkung dieses Werks besitzt der Corpus seiner 271 in schönstem Kupfertiefdruck wiedergegebenen Bildtafeln nach Aufnahmen von Jean R o u b i e r. Dieser Lichtbildner hat die grandiose Wirkung der majestätischen Innenräume, die bald mit edelstem Schmuck beladene, bald in keuscher Maßhaftigkeit allein wirkende Außenarchitektur dieser Epoche sowohl in repräsentativen Gesamtansichten als auch in packenden, sinnvollen Detailbildern mit fast ihrer ganzen gewaltigen Ausdrucksfülle in wahrer künstlerischer Einfühlung wiedergegeben. Wir kennen keine Architekturaufnahmen, welche die materielle Oberflächenschönheit des behauenen Steins so fühlbar machen könnten wie jene Roubiers. Die höchst schwierigen Lichtbilder von Kapitellen mit ihrer dämonischen Formenwelt, von Steinreliefs und Wandgemälden sind mit dem auf ihnen spielenden natürlichen Licht im richtigen Augenblick und vom richtigen Standpunkt aus geschaffen worden. Gleich „treffend“ sind die kurzen Erläuterungen, die Pobe jedem Bilde beigegeben hat.

Es gereicht dem Buche „Gallia romanica“ sehr zum Vorteil, daß in ihm die romanischen Baudenkmäler des Landes nach dessen historischen Kunstprovinzen zusammengefaßt und damit derart gereiht sind, daß ihre Aufeinanderfolge eine Rundfahrt durch das alte Frankreich ergibt Zu unserer Freude zeigt der Prachtband nicht allein die vielbesuchten und fast allgemein bekannten großen Denkmäler der französischen Romanik, sondern ebensosehr auch kleinere und minder bekannte, aber für den Kunstwillen der betreffenden Landesteile charakteristische Kirchen und Klosteranlagen, Burgen und Paläste. Auch wer diesen Reichtum Frankreichs aus I. Baums trefflichem, 1928 erschienenem Buche oder aus eigenster Anschauung zu kennen glaubte, wird sich in der „Gallia romanica“ einem noch reicheren, sinnvoller gegliederten Bilde dieser hochbedeutenden Kunstepoche gegenübersehen — einem Bild, das durch ähnliche Veröffentlichungen über die romanische Kunst Italiens und Spaniens ergänzt und vertieft werden soll.

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