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20 Jahre — ein gefährliches Alter

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Vor zwanzig Jahren, nach Ende des zweiten Weltkrieges, haben sich überall in der Welt Zeitungen und Gruppen, Theologen und Schriftsteller gemeldet, die ihre katholische Uberzeugung auf eine andere, neuere Art vertreten wollten als dies ihre Vorgänger getan haben. Diese andere, neuere Art war für sie kein Selbstzweck, keine modische Pose. Sie folgten damit dem Befehl ihres Gewissens. Die Gärung begann schon früher, unter dem Einfluß der Schriften und Worte von großen, einsamen Geistern — aber als Bewegung, die niemand organisiert, niemand lanciert hat, meldete sie sich gerade vor zwanzig Jahren, in den ersten Monaten des friedlosen Friedens, in vielen Ländern der Welt, in zahlreichen Orten der katholischen Kirche. In Wien mit dem Erscheinen der „Furche“.

Weitverzweigte , Gedanken, verschiedene Stellungnahmen färbten diese geistige Bewegung je nach Ländern, Gegenden, menschlichen Gemeinschaften. In der Tiefe jedoch brannten große gemeinsame Gedanken und Sorgen. Sie umfaßten die Zukunft und das Schicksal der Menschheit und die Zukunft und das Schicksal der Kirche. Sie suchten den Ausgleich zwischen der homo-zentrischen, immer mehr der Verweltlichung zuneigenden Welt und einer Religiosität, die sich mit einem auf Gott gehefteten Blick immer mehr in die innere Entfremdung zurückzieht. Distanz vom Tag und Lebensnähe, Gottesliebe und Menschenliebe: diese waren die Pole und verbindenden Klammern dieser geistigen Bewegung. Verbindend war aber auch, daß ihr Auftreten nirgends allgemeines Gefallen gefunden hat und daß sie von den-ienigen, deren Ideal die majestätisch-unbewegliche Kirche war, an den Rand des Katholizismus verbannt wurde. Es kam aber der

Papstprophet Johannes XXIII., der das Schiff der Kirche aus dem Hafen des Tridentinums hinausführte, und es kam sein Nachfolger, Paul VI., der in diesen Tagen dorthin gelangte, daß er dieses Schiff, das sich in die offenen Gewässer der Welt hinauswagte, mit Hilfe des Konzils mit allen jenen geistigen Requisiten versehen konnte, die seine Steuerung auch bei hohem Wellengang der Wirklichkeit ermöglichen. Nicht sichern, bloß ermöglichen.

Ich sehe in der „Furche“ die österreichische, ja ich wage es zu sagen, die auf deutschem Sprachgebiet erste Vertreterin — und eben daher von europäischem Rang — dieses geistigen Gärungsprozesses, dessen erste, bahnbrechende Phase eben jetzt zu Ende geht.

Da aber für jene geistige Haltung, welche die „Furche“ vertritt, gerade kennzeichnend ist, daß sie im Zeichen der Erneuerung und der Zukunft wirkt, ist es zweckmäßig, auch an der zwanzigsten Jahreswende eine Vorschau zu versuchen. Auch mein Blatt, „Uj Ember“ („Der neue Mensch“), überschritt vor kurzem sein zwanzigstes Jahr. Solange die Welt zu Fuß ging, konnte man sich bei einem Meilenstein ausruhen, seitdem sie aber mit dem Auto rast, streift sie die Meilensteine nur mit dem Blick. Auch die letzten Wochen des Konzils haben gezeigt, daß das Werk zwar fertiggestellt, seine Schöpfer aber sich nicht zur Ruhe begeben können. Denn die Zeit der Weinlese ist gekommen.

Ich bin Journalist und Volkswirt, Redakteur und Herausgeber. Aus meinen Erfahrungen machte ich mir keine Studien, sondern Aphorismen für den eigenen Gebrauch. Solche: „Es gibt keine gute Zeitung, die ein ungeschickter Verlag nicht verderben könnte.“ Oder: „Es gibt keine schlechte Zeitung, die selbst der beste Verlag gut verkaufen könnte.“ Schließlich: „Zwanzig Jahre sind ein gefährliches Alter im Leben einer Zeitung.“ Während zwanzig Jahren geht unter der Leserschaft beinahe schon ein Generationswechsel vor sich. Diejenigen, die mit der Zeitung gleichzeitig geboren wurden, sind bereits Studenten. Stimme, Geschmack, Anspruch einer jüngeren Generation ist immer anders als die der Eltern. Ich halte die zwanzig Jahre jetzt, zur Zeit der Herrschaft des Fernsehens, für ein besonders gefährliches Alter. Das Fernsehen gewöhnt den Menschen das Denken ab, und es verhindert, daß sich die Jungen das Denken überhaupt angewöhnen. Bild und Wort sind leichter zu genießen als Buchstaben, und das „Interessante“ zieht mehr als der edle Gedanke.

Die Probleme sind aber nur dann unlösbar, wenn wir sie nicht bemerken. Die Schrift hat ihren Zauber ebenso wie das gesprochene Wort und das Bild.

Ich glaube, daß die Zeit der Weinlese nunmehr auch für die „Furche“ da ist, die im Weinberg des Herrn für Gottesglauben, Menschenliebe und für die Freundschaft zwischen den Völkern gearbeitet hat. Ihr Gewicht und ihre Verantwortung werden dadurch noch größer, daß sie in der Hauptstadt des neutralen Österreich, auf dem geographischen Kreuzungspunkt der Wege von Ost und West, Nord und Süd, ohne Machtansprüche und nationale Beschwerden in einer Weltsprache — deutsch — schreiben kann. Der junge Wein wird in neue Schläuche gefüllt. Auf daß dem so sei, das ist, glaube ich, die Aufgabe der „Furche“ in den kommenden zwanzig Jahren.

BELA SAAD Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung „Uj Ember“, Budapest

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