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Aus der Gesellschaft

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Wer in unserem Land zum echten Adel gehört, das konnte und kann rhan in ‘r ‘Haridbüchern nachlesen. Was heute „Hof” ist und „Spitze der Gesellschaft”, bestimmt aber nicht allein “ das ‘ würdige Redaktiöns- komitee eines genealogischen Handbuches, sondern auch der Berichterstatter einer Zeitung, wenn nicht die Eigenwerbung eines Stars, für den sich massenweises An-Sehen in Einkommen umzumünzen vermag. Eine sich vor Devotion verschluckende Presse ist neben dem Fernsehen dabei, eine „broschürte” Nebenausgabe des Gotha der „erlauchten Familien” zu konzipieren — mit einem Anhang von Eigeninseraten. Ehedem war es in Österreich dem „Neuen Wiener Journal” Vorbehalten, sich ausführlich und diskret mit der genauesten Beschreibung zu befassen, was Damen der Gesellschaft oder solche, die meinten, es zu seih, bei bestimmten Anlässen trugen. Wer zur „Gesellschaft” gehörte, stand freilich einigermaßen fest. Wer aber heute in einer konsumdemokratischen Gesellschaft Teil jener Schicht ist, die sich als „Gesellschaft” gegenüber der „Masse” abgehoben wissen will, bestimmt ein Redakteur, nicht selten auch der Mangel an sonstigen be- richtenswerten Ereignissen. In den letzten Jahren muß man jedenfalls feststellen, daß die Berichte „aus der Gesellschaft” in einem Umfang wachsen, der nicht mehr dem Nach- riohtenbedarf konform ist.

Die Hofberichte alter Art, nicht nur im „Neuen Wiener Journal”, sondern auch in den diversen Salonblättern, waren diskrete Aufzeich nungen. Der moderne Hofbericht aber weiß von allen alles.

Da’ wufd8r\ifis tieiĄ)lelsweiše von einer unlängst stattgefundenen Veranstaltung”“1 “berichtet ‘ ünd dabei, nichts, aber schon gar nichts, unerwähnt gelassen, es wird etwa nicht nur geschildert, wie weit eine Dame angezogen war, sondern noch mehr, wie dies nicht der Fall war. — Der Glanz eines Festes liegt beileibe nicht in den künstlerischen Darbietungen, sondern in erster Linie in dem, was an Essensquanten geboten wird. Wir erfahren manchmal, was noch anginge, nicht nur vom ganzen Speisezettel, sondern erhalten diesmal geradezu Inventuren vorgelegt. Auf diese Weise kommt es zur sensationellen Nachricht, daß sechshundertfünfzig Gästen 1200 Eier offeriert wurden, das sind nicht ganz zwei auf den Kopf der Teilnehmer, aber auch 15 Kilogramm Pfifferlinge.

Echte Hofberichterstattung versäumt auch nicht, jede Geste hoch- gestellter Persönlichkeiten, selbstverständlich nur in ergebensten Nebensätzen, zu erwähnen. Man erfährt da die entzückende Kleinigkeit, daß eine Person, die als „Meister” angesprochen wird (obwohl es sich bei besagter Veranstaltung offenkundig nicht um einen Handwerkerzirkel gehandelt hatte), um zweieinhalb Stunden länger als sonst zu bleiben „geruhte”. Besagte Persönlichkeit wird, da der Berichterstatter auch unter die Tische zu sehen sich nicht versagen konnte, weil es sich um den wichtigsten Festgast (nebst einem lächerlichen, kleinen, nur „zweitbestangezogenen” Regierungschef) handelt, bis auf die Schuhe beschrieben („goldschnallenverziert”).

Geselligkeit und Wohltätigkeit

Was bereits die selige Fürstin Pauline Metternich mit Eleganz und Souveränität praktiziert hatte, die Verbindung von gehobener Geselligkeit und Wohltätigkeit, war auch bei dem nur in schüchternen Andeutungen geschilderten Fest bestimmender Anlaß gewesen. Wir erfahren im Hofbericht, daß nicht weniger als achtzig Kilo Beinschinken (das sind je auf dem Fest anwesend gewesenes Menschenbein etwa 60 Gramm) geopfert wurden, lediglich um das „herzliche Einverständnis” zweier Herren zu sichern. Zu diesem Zweck mußten „zwischen lodernden Fackeln” vierhundertneun Autos auffahren. Nicht gewöhnliche Autos. O nein:

Modelle, die man bislang in Österreich nicht zu sehen bekommen hatte.” Und zu den Autounikaten die viele Prominenz, von Rudi Travnicek (mit Gattin) und dem Direktor Häussermann bis zum Mannequin Heidi Picklmann, Ibn Sauds Lieblingssohn und Playboy Orsini.

Der Neid ist nun einmal ein bestimmendes Element in der Politik. Berichte, wie sie nun in immer dichter ,werdenden Abfolge erscheinen, von Traumhochzeiten bis zur Verleihung irgendwelcher Ehren- dokt9£?|e für OIAbsolventen .,,von „Lebensschulen”, wirken durch die Art der Schilderung und den orientalisch-devoten Ton provozierend, um so mehr, als sie gerade auch in vom sozialistischen Randvolk gelesenen Gazetten veröffentlicht werden. Wenn auch offenkundig ist, daß jede Gesellschaft aus ihrer Natur ihre „Gesellschaft”“ gebiert, darf die Distanz der Konsumchancen zwischen oben und unten nicht in einer Weise dargestellt werden, die angesichts der noch immer im Land herrschenden Not empörend und berechtigter Anlaß zur Forderung nach einem milden Einkommensausgleich ist.

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