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Ausklang der Festspiele

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Das finnische Nationaltheater gastierte im Burgtheater mit A1 e k s i s Kivis „Die sieben Brüder“ und Euripides’ „Iphigenie in Aulis“. Was bleibt in der Erinnerung haften von zwei Abenden, an denen der Besucher kaum ein Wort versteht? Ein mächtiger Klang. Episch, lyrisch, breit dahinschwebend, gelassen, wie der seidig-hellblaue Himmel über dem Land der sechzigtausend Seen, in dem die Menschen gewohnt und geprüft sind, in der Gesellschaft ihrer Träume, allein den Kampf mit der Natur und der Geschichte zu bestehen. Aleksis Kivi ist der Begründer der finnischen Kunstpoesie im 19. Jahrhundert. Durch sein Romanwerk fließt noch etwas vom großen Atem, vom Sagen- und Liedgut, das in der „Kalevala", dem Nationalepos, verdichtet wurde. Seine „Sieben Brüder", der hier dramatisierte Roman, trägt Züge des Märchenhaften ins harte, realistische Leben des Volkes, eines Volkes „kleiner Leute“, hinein. Kaum eine Handlung auf der Bühne. Die Sieben ziehen nicht aus, wie die Sieben von Theben, um in Krieg und Untergang zu gehen, sondern um sich in den finnischen Wäldern im jahrelangen Umgang mit der Natur und mit sich selbst erziehen zu lassen, ln Streit und froher, nächtelanger schwatzseliger Geselligkeit und noch längerem Schweigen. — Ella Eronen als Sprecherin vermittelt deutschsprachige Zwischentexte, die den Weg der Brüder in die Wildnis und aus der Einöde zurück ins Dorf lyrisch untermalen. Tauno Pallo, als ältester Bruder Juhani, und Pentti Siimes, als jüngster Bruder Eero, führen das Team der Brürder an. —

K. V. L. Jalkanen hat die „Iphigenie in Aulis" des Euripides ins Finnische übersetzt, Arvi Kivimaa führt Regie. Dieser Euripides ist unserer Bühne kaum bekannt, wie sich seltsamerweise die griechischen Tragiker konsequenter Nichtbeachtung durch unsere Bühnen erfreuen (ein, zwei Ausnahmen bestätigen die Regel der Jahrzehnte). Euripides ist bekanntlich der aufgeklärte, milde, selbstkritische Menschenfreund, der „modernste“ unter den drei Großen der attischen Tragödie. Diese finnische Auffassung versucht denn auch im Stile eines gehobenen Realismus das „antike“ und das „moderne“, individualistische Moment des Dichters und des Werks zu vereinen. Was bereits finnische Architektur, Handwerk, Sport und Kriegskunst bezeugen, nämlich die Zähigkeit und Gewissenhaftigkeit eines einmal übernommenen schweren Werkes, bestätigt hier das Theater. Hier wird Euripides in der strengsten Urform gegeben, ohne die romantisierenden Zudichtungen späterer Bearbeiter, die das Werk durch „versöhnende" Göttererscheinung und eine Art Happy-End verharmlosen. Der der Gnade gewisse Mensch bedarf harten Spruch der Götter, sst das Grundmotįv dieser

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Erönen als Klytailnnestra, UrHö Somersalmi als Agamemnon trägen das Stück. Beide Abende be-

grüßte und dankte der Beifall des Publikums diese Dokumentation des finnischen Volkes, das aus den Weiten Asiens einst aufbrach nach Europa und sich hier entschieden der europäischen Kulturgemeinschaft anschloß.

Letzter deutscher Gast im Burgtheater: das Hamburger Schauspielhaus unter Führung seines Herrn und Meisters Gustaf Gründgens. Gewählt wurde das Nachlaßstück des jungen, drei- undzwanzigjährigen Thomas Wolfe, „Herren- hau s“, hierzulande durch eine Rundfunkbearbeitung Ingeborg Bachinanns einem breiteren Publikum bekannt. Dieses Stück vereinigt sehr disparate Elemente: Sturm und Drang, eine reaktionäre „Mystik“ des „Herrentums“ (fälschlich als konservativ verstanden, in Wirklichkeit aus der Kiste der in Frankreich, Italien, Deutschland und andernorts in den Rassismus und rechtsradikalen politisch Abergläubigen hineinscheiternden Poeten). Dazu eignet sich, als Kulisse, vortrefflich der „tiefe Süden“, die feudalen Südstaaten und ihr Untergang im Kampf gegen die „Yankees“ im großen Bürgerkrieg. Daneben stehen, hingefetzt wie Wolken im Gewittersturm, andere Elemente: die Verzweiflung des zerrütteten Genies, des Dichters, und die Auseinandersetzung einer weglosen Jugend mit einem routinierten Alter, das den Krieg, die Macht und die Jugend immer wieder noch für sich „gewinnt“. Das Stück- hat in diesem Sinne zwei echte Höhepunkte (die nichts mit dem grauslichen, makabren Schluß gemein haben): die erste große Auseinandersetzung des jungen Ramsay (Will Quadflieg) mit seinem Vater, dem General und Herrenhausmeister Ramsay (Gründgens) und der erschreckend gegenwartsnah wirkende Wortstreit des jungen Mannes, der hier für eine allzeit treu verführte Jugend spricht, mit dem listigen, verschlagenen Major (Hermann Schömberg), der es mit der seit 1918 und 1945 wohlbekannten selbstgefälligen Hinterhältigkeit versteht, für sein altes, schmutziges Kriegsspiel neue ehrenwerte Namen als Deckung des Geschäfts zu finden. Mit diesen beiden Szenen ist der echte Gehalt erschöpft. Der Rest ist ein Schauerstück, larmoyant, mit schiefen Thesen und falschen Hintergründen. — Gründgens selbst paßt nicht für die Gestalt des Herrenhaus-Herren Ramsay: dieser soll ein Baum sein, der aufrecht stirbt. Jannings, vielleicht Werner Kraus paßten für diese Rolle. Gründgens ironisiert durch sein Spiel die Gestalt und das ganze Stück, macht seine negative Fragwürdigkeit sichtbar. In der Eingangsszene, die ohne Spiecher viel eindrucksvoller wirken würde, behaupten sich schön Max Eckard, Richard Münch (Negerhäuptling) und Eduard Marks (hilflos begeisterter Pfarrer) Den Damen ist in diesem Herrenabend nur die-iiRblle ides'schönen Scheins (Sybille Binder) und ' sentimentaler' Statisterie (Antje Weisgerber) zugebilligt. — Freundlicher Beifall für die Gäste.

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