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Christ und Mensch in der Masse Film

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Diese Tage vom 19. zum 26. April 1953 werden in der Chronik des mitteleuropäischen Films und darüber hinaus der christlichen Erneuerung in Oesterreich eine tiefe Spur hinterlassen.

Als der Domkapitular zu St. Stephan, Doktor Karl Rudolf, vor vier Jahren mit der damals noch kleinen, von dem österreichischen Episkopat freilich nach den Richtlinien eines bedeutenden Papstrundschreibens Pius' XI. („Vigilanti cura“ vom 29. Juni 1936) autorisierten Gruppe der „Katholischen Filmkommission für Oesterreich“ daranging, den großen weltlichen Film-Gesellschaftsspielen von Venedig, Cannes, Edinburgh und Karlsbad die „andere Biennale“ einer alle zwei Jahre vorgesehenen weltweiten religiösen Festwoche des Films in Wien daneben-und entgegenzusetzen, zeigte sich der zögerndste Vorbehalt vielleicht gar nicht bei den professionellen Hütern der „säkularisierten Tempel“, sondern bei den Katholiken und in dem berüchtigten lokalen Ressentiment selber. Die Gitter eines verhängnisvoll lange gehegten und gepflegten geistigen Gettos krachten zu plötzlich und zu gründlich nieder, um fürs erste — nicht zu erschrecken. Aber die Erschreckten sollten gleich zu Beginn und noch mehr in den folgenden Jahren über ihren eigenen Schrecken erschrecken. Denn der Plan gelang, am Anfang begünstigt durch den heiligen Frühling eines in den bittersten Nöten von Krieg und Nachkrieg geborenen weltoffenen und dabei zutiefst nach innen aufgebrochenen revolutionierenden religiösen Films (die ersten „Wiener Biennalen“ enthielten Standardschöpfungen wie „Monsieur Vincent“ und „The Fugitive“, „Tagebuch eines Landpfarrers“ und „Gott braucht Menschen“), löste sich in der Folgezeit immer mehr von den Einengungen und Zufälligkeiten der Weltproduktion des religiösen Films ab und schuf sich diesmal schließlich einen großartigen, weltumspannenden geistigen Grundriß und einen weit über die Grenzen unseres Landes reichenden Nachhall. „Die Wiener Biennale“ hat — heuer zum ersten Male — ihre eigene Form geprägt und eine Dynamik entwickelt, um die uns schon heute die Katholiken einer ganzen Reihe europäischer und überseeischer Länder beneiden.

Ihre imposante äußere Bilanz präsentiert sich in der Vorführung von acht abendfüllenden und sieben Kulturfilmen aus neun Ländern der Erde: Oesterreich, Deutschland, USA, Frankreich, Italien, England, Schweden, Indien und Mexiko, in zwölf Randveranstaltungen und über dreißigtausend Besuchern, unter denen sich Kardinal, Erzbischof-Koadjutor und „Film-Bischof“, Bundeskanzler und Hochkommissare, besonders häufig der Bundesminister für Unterricht und nicht zuletzt die „Leute vom Bau“, Produzenten und Verleiher, Regisseure und Darsteller, sowie Gäste aus dem Ausland (Saarbrücken, Westdeutschland) befanden.

Ihr besonderer, ihr bleibender innerer Gewinn aber kam aus dem geistigen Konzept und aus dem Experiment heraus. Mag sein, daß gleich die glückliche Wahl des Prologus, des Philosophen, der Veranstaltung einen geistigen Tiefgang und Elan verlieh, der die ganze Woche nicht mehr verlassen sollte: In dem grandiosen Aufriß der Epoche der Vermassung und des Kollektivs, innerhalb deren eine Wiedererweckung des schöpferischen Individuums durch bestimmte Einflußnahmen durchaus möglich sei, gab Universitätsprofessor DDr. Leo Gabriel durch seinen großen, mitreißenden Vortrag am Eröffnungsakt „Der Film in der geistigen Krise der Menschheit von heute“ in allen Sinnen des Wortes den Ton an. Es trat dazu, daß dem Film in unseren Tagen von der dritten Dimension und, wahrscheinlich stärker, als man zur Zeit schon weiß, auch von der Tele-vision her, eine neue technisch-wirtschaftliche Revolutionierung erwächst, die erst der souveräne menschliche Geist selber, so wie schon zuvor Ton und Farbe, beherrschen und zu Nutz und Frommen verwenden lernen muß. So klang aus allen hochgegenständlichen Vorträgen („Der Kinderfilm“: Doktor Sylvia Klimpfinger, „Filmmusik“: Hanns Jelinek, „Film und Kriminalität“: Staatsanwalt Dr. Franz Erhart, „Der Film als kirchliche Aufgabe“: Pfarrer Werner Heß, Frankfurt, und „Fernsehen“: Ing. Reinhold Kayser) immer wieder Sorge, Bejahung und Trost zugleich, die sich in offenherzigen, temperamentvollen Aussprachen mit den unerhört interessierten und überraschend kundigen Besuchern der teilweise förmlich gestürmten Veranstaltungen fortsetzten.

Der erstmalige riskante Versuch, einen kultivierten Vortragsabend heimischer Künstler von Rang (Vilma Degischer, Hans Holt, Hermann Thimig, Richard Eybner und der Wiener Sängerknaben) mit einer Diskussion über der „Christ und der Film“ unter angesehenen Praktikern und Theoretikern (Prof. Dr. Friedrich Schreyvogel, Pfarrer Werner Heß, Dr. Albert Quendler, Walter Kolm-Veltee, Dr. Raimund Warhanek, Doktor Hans Pauer unter der Leitung P. Doktor Leopold Soukups) zu verbinden, gelang fürs erste erstaunlich gut.

In einem eindringlichen Anruf ermunterte Erzbischof-Koadjutor Dr. J ä c h y m bei einem Empfang im Erzbischöflichen Palais die Filmschöpfer zu anspruchsvoller, verantwortungsbewußter Arbeit am Werk und im Dienste des Menschen. Ein Sprecher der Filmkommission verdolmetschte die Anliegen des christlichen Laien an den Film von heute und fand mit seinem Versuch einer christlichen Dramaturgie und Soziologie des Films bei den Filmschaffenden überraschend einmütige Zustimmung.

Der gute Stern, der über der Veranstaltung stand, offenbarte sich nicht zuletzt in der fruchtbaren Koordinierung spezifisch katholischer und evangelischer Filmmissionsarbeit. Die ständige Anwesenheit der Führung der evangelischen Kirche in Oesterreich bei allen wichtigen Stationen der Filmwoche, des Bischofs D. Gerhart May, des Superintendenten Georg Traar, des Oberkirchenrates Reinhold Engel und der Leiterin der evangelischen Filmstelle in Oesterreich, Pfarrvikarin Dr. Stephanie von Prochaska, die Aufnahme zweier evangelischer Spielfilme in das Hauptprogramm der Filmwoche und die eigene Entsendung des Filmbeauftragten der evangelischen Kirche für Deutschland eröffnen für die zukünftige rel igiöse Filmarbeit und -Zusammenarbeit der beiden Nachbarländer hoffnungsvolle Ausblicke.

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