6666609-1960_37_11.jpg
Digital In Arbeit

Christliches Drama - Botschaft oder Kunst?

Werbung
Werbung
Werbung

In der Stille der alten Abtei von Royaumont, nur 35 Kilometer von der französischen Hauptstadt entfernt, trafen sich in diesem Sommer Vertreter von 20 Nationen auf Einladung der Religious Drama Society of Great Britain, Katholiken und Protestanten, Theologen und Theaterreute,;; Berufsschauspieler und Amatenre, Daß bei 'einer-sö'*b:unteh Versammlung die Interessengebiete oft weif aaselüanderlagen, ist einleuchtend, und mancher hätte*siel eine engere Konzentration auf ein bestimmtes Thema gewünscht. Das zeigt sich auch in den oft diametral entgegengesetzten Darbietungen theoretischer und praktischer Art. Die Referenten waren fast durchweg christliche Revolutionäre, die für ein avantgardistisches Theater mit Leidenschaft eintraten, während die allabendlichen Vorstellungen, mei6t von Laienensembles bestritten, zum Großteil brave Weihespiele brachten, die mehr langweilten als erregten. Aber vielleicht war gerade dieses Nebeneinander nicht negativ zu werten, führte es doch deutlich vor Augen, daß das moderne christliche Drama, von wenigen großen Ausnahmen abgesehen, noch recht selten ist und viele wohlmeinende Pfarrer, besonders aus England und den skandinavischen Staaten, den guten Willen mit guter Kunst verwechseln.

So war es vor allem an die Adresse dieser Kreise gerichtet, was der französische Jesuitenpater Pere Mambrino in seinem Eröffnungsreferat sagte: „Die wirkliche Grenze zwischen religiösem und nicht religiösem Drama ist die zwischen guten und schlechten Spielen.“ Das einzige Kriterium, das er gelten ließ, war das Kriterium des künstlerischen Wertes, denn „die kleineren Meister fallen wenig ins Gewicht, am allerwenigsten im religiösen Bereich“. Von christlichen Dramatikern unserer Zeit ließ er nur Claudel, Eliot, Bernanos und Julien Greene gelten, zugleich aber anerkannte er die ungeheure Bedeutung nicht-christlicher Stücke, in denen mit leidenschaftlicher Wahrheitsliebe unsere Situation aufgerollt wird, wie „Hinter geschlossenen Türen“ von Sartre, einiger Werke Ionescos und Becketts und der Dramen Camus'. Diese Bestimmung unserer Existenz, wie sie in diesen Stücken versucht wird, sei auch für den Christen von eminenter Bedeutung. Denn der Christ darf nicht in falscher Frömmigkeit den Tatsachen aus dem Weg gehen, er muß mitten im Leben stehen, und dies nicht nur, um das Böse bekämpfen zu können, sondern weit mehr, um zu versuchen, alles zur letzten Vollendung zu führen im Sinne des Pauluswortes „Instau-rare omnia in Christo“. Mit den Worten Claudels, „es gibt nichts in der menschlichen Seele, das sich nicht erschließen und evangelisieren ließe“ und „die Leidenschaften sind für den Menschen nicht nur eine Quelle der Irrungen, sondern auch ein Mittel zur Läuterung“, betonte Mambrino die Notwendigkeit des Theaters in einer christlichen Gesellschaft, und noch mehr in einer Welt, die erst oder wieder vom Christentum durchdrungen werden muß.

Es war erfreulich, daß das zweite Hauptreferat, ein Vortrag des methodistischen Theologieprofessors Tom Driver aus New York, im wesentlichen mit den Sentenzen Mambrinos übereinstimmte, so daß die geplante Diskussion zwischen den beiden Rednern zu einem wohlwollenden Gedankenaustausch wurde. Driver ging noch über Mambrino hinaus, wenn er betonte, daß nicht das Theater für den Christen, sondern der Christ für das Theater sorgen müsse, das heißt, daß-er-das-dramatische Schaffen dort, wo es den Böden für ei freies Menschentum bereite, fordern müsse. Wie -Mambrino wies auch er auf die Bedeutung der nichtchristlichen Avantgarde hin, vor allem auf Beckett und Ionesco, die den Mut hätten, die Unfreiheit des heutigen Menschen und die daraus geborene Ziellosigkeit und Langeweile auf der Bühne zu zeigen.

Diese beiden Referate bildeten die Richtlinie der Tagung, deren Teilnehmer sich fast durchweg zu den beiden Rednern bekannten. So wurden die tendenziösen und unkünstlerischen Experimente englischer Amateure, die für Christus wie für eine Firma Propaganda machten, rundweg abgelehnt und stießen die Spiele der „biblischen Mimen“ aus Skandinavien, die weltfern und symbolisch alttestamentarische Ereignisse mit der heutigen Zeit zu verbinden suchten, auf wenig Widerhall. Es war bezeichnend, daß gerade ein isländischer Pastor' als Vertreter dieser Länder am letzten Tag seinen besonderen Dank für das ungeheuer Neue aussprach, das er auf dieser Tagung kennenlernte. Tatsächlich scheint die „religiöse Kunst“ des Nordens noch dort zu stehen, wo etwa expressionistische Laiengruppen bei uns in den zwanziger Jahren ihre naiven Versuche unternahmen. Ganz anders ist die Lage in jenen Ländern, die heute mitten im Schnittpunkt des Weltgeschehens liegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung