"Das Desaster ist hausgemacht"

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Manfred Trojahn ist ein Außenseiter unter den zeitgenössischen Komponisten. Aber im Gegensatz zu den meisten Kollegen hat er Erfolg.

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Manfred Trojahn ist ein Außenseiter unter den zeitgenössischen Komponisten. Aber im Gegensatz zu den meisten Kollegen hat er Erfolg.

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dieFurche: Ihre Oper "Enrico", die am 19. August in Wien Premiere hatte, gilt als eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Opern, nicht zuletzt wegen ihrer Leichtigkeit und Schnelligkeit. Ist das etwas, was der zeitgenössischen ernsten Musik abgeht?

Manfred Trojahn: Sagen wir einmal so: Die heutige zeitgenössische Musik hat nicht unbedingt den Ruf, besonders amüsant und unterhaltsam zu sein. Mit den jüngeren Generationen verändert sich das, aber in der Generation über mir, also bei den jetzt 60jährigen, war es geradezu verrufen, angesichts des Desasters der Welt eventuell gar eine Komödie zu schreiben. Ich habe immer den Hang gehabt, Komödien zu machen.

dieFurche: Warum spricht die allermeiste zeitgenössische Musik nur ein kleines Publikum an?

Trojahn: Das ist ein hausgemachtes Desaster, denn bis Richard Strauss stellte zeitgenössische Musik kein Problem für das Publikum dar. Die heutigen Komponisten haben nicht gelernt, sich bestimmte Fragen zu stellen: Wer will das hören, was ich mache? Wie würde sich mein Stück in einem Abonnementkonzert ausnehmen? Mir war es immer viel wichtiger, Stücke im Abonnementkonzert zu haben, als im Bereich der Neuen Musik - was zur Folge hat, daß ich bei gewissen Veranstaltungen Neuer Musik völlig ausgegrenzt bin: Bei den Donaueschinger Musiktagen komme ich einfach nicht vor. Was mich allerdings nicht so wahnsinnig traurig macht, solange ich bei den Berliner Philharmonikern vorkomme.

dieFurche: In den Zirkeln der orthodoxen Avantgarde, deren Mekka Donaueschingen ist, wird Ihnen der Vorwurf gemacht, Sie würden sich einer überkommenen Ästhetik bedienen.

Trojahn: Ich lehne das herkömmliche Geschichtsbild ab, das besagt: Die neue Musik begann irgendwann in den zwanziger Jahren mit Arnold Schönberg und damit endete die alte Musik und trat in den geschichtlichen Hintergrund. Ich fühle mich nicht als jemand, der etwas aufgreift, was schon lange vorbei ist, sondern ich setze etwas fort. Es gibt eben eine Linie, die von Strauss über Hans Werner Henze weiterführt. Und dann gibt es eben andere Linien, die von Anton von Webern aus zu dem führen, was wir heute unter Neuer Musik verstehen: Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez zum Beispiel.

Ich denke, daß sich - grob gesagt - diese zweite Linie sehr isoliert hat und zwar durch die spezielle Stellung, die die Neue Musik nach dem Krieg bekommen hat. Im Dritten Reich war musikalisch fast alles unmöglich. Danach hat man gesagt: Jeder ästhetische Einspruch gegen Neue Musik ist per se reaktionär. Dadurch ist ein kritikloser Raum entstanden. Aber jetzt, wo die Vergabe von Mitteln plötzlich aufhört, da stellt sich heraus, daß Zuspruch und Publikum für diese Musik fehlen. Alle kommen wunderbar ohne Neue Musik aus.

dieFurche: Plädieren Sie also dafür, daß die Komponisten gefälligere Arbeiten abliefern sollten?

Trojahn: Ich glaube nicht, daß es darum geht, gefälliger zu sein. Aber man muß sich schon fragen, ob Radikalität, Nicht-Gefälligkeit eine Qualität für sich ist. Vor allem in den siebziger Jahren hieß es: In dem Moment, wo ein Stück Zustimmung findet, muß schon irgendetwas falsch daran sein. Heute gibt es andere furchtbare Bestrebungen: etwa einen merkwürdigen, sehr hoch dotierten englischen Preis für Orchesterstücke, die in einem engeren Sinn gefällig sind. Ich glaube nicht, daß das sehr zukunftsträchtig ist.

dieFurche: Stört es Sie wirklich nicht sehr, daß Sie von großen Teilen der Neuen-Musik-Szene ausgegrenzt werden?

Trojahn: Diese Welt, die sich zwischen drei, vier Punkten abspielt - Donaueschingen, Darmstadt, Paris und vielleicht "Wien modern" - ist nicht die meine. Ich habe mich darin nie wohlgefühlt, schon in der Zeit als ich angefangen habe zu komponieren. Ich habe immer nach den anderen Welten geschielt, die mich mehr interessiert haben - und die zum Teil auch sehr frustrierend sind, weil in diesen anderen Welten Neue Musik ganz wenig gilt. Die Welt der Abonnementkonzerts zum Beispiel... Es ist auch oft sehr ernüchternd, neue Musik in einem solchen Konzert zu hören.

dieFurche: Wegen der Qualität?

Trojahn: Mein Gott, Beethoven ergeht es dort nicht besser. Wir sind eben in der perversen Situation, daß wir durch Platten und CDs nur noch den obersten Standard gewohnt sind. Dabei sollte man eigentlich glücklich sein, daß es noch viele kleine Orchester gibt.

dieFurche: Warum bereitet es ihnen dann kein Vergnügen, Neue Musik von so einem Orchester zu hören?

Trojahn: Bis in die Romantik haben alle großen Komponisten Werke für alle Niveaus verfaßt. Die Neue Musik setzt jedoch immer nur ganz oben an. Kein Verleger sagt einem zeitgenössischen Komponisten: Ich brauche jetzt fünf leichte Klavierstücke. Stattdessen werden fünf Klavierstücke komponiert, die sich von vorneherein nur von speziellen, sehr hoch dotierten, finanziell sehr gut ausgestatteten Ensembles unter großem Probenaufwand realisieren lassen; oder es wird ein Streichquartett für die Ardittis komponiert, weil die Ardittis alles machen können. Aber schon ein normales Streichquartett mit einem normalen Repertoire von mittlerer Qualität wird Mühe damit haben und solche Stücke daher nicht einstudieren. Die Komponisten sind darüber frustriert, aber sie ändern sich nicht.

Alleine die Spieltechniken, die man heute meint, unbedingt brauchen zu müssen - das ist für einen jungen Spieler einfach nicht machbar. Natürlich könnte man jedem jungen Spieler beibringen, irgendwie auf der Klarinette zu kratzen, aber normalerweise wird man es ja umgekehrt machen: Man wir zuerst versuchen, daß der klassische, gut gebaute Töne produzieren kann. Also wird er zuerst immer wieder klassische Stücke spielen. Aber für die klassischen Spielweisen gibt es in der neuen Musik einfach nichts.

dieFurche: Vielleicht ändert sich das mit einer kommenden Komponistengeneration?

Trojahn: Ich habe seit sieben Jahren eine Kompositionsklasse, kann dazu aber sehr wenig sagen. Die Generation der 20- bis 25jährigen ist mir sehr fremd; ich weiß nicht, was die überhaupt noch mit der Soziostruktur dieses Berufes zu tun haben. Meine Studenten studieren Komposition, das heißt sie machen immer wieder einmal ein Stück, ich erzähle ihnen etwas, aber ich habe nicht den Eindruck, daß sich irgendeiner bemüht, die Mechanismen kennenzulernen, die diesen Beruf ausmachen. Viele tun den ersten Schritt - Orchesterstücke schreiben und den Veranstaltern anbieten - erst gar nicht.

Vielleicht wird es etwas geben wie die Off-Bewegungen der sechziger Jahre in New York, wo man gesagt hat: Vergammelt doch mit euren offiziellen Orchestern, interessiert uns nicht. Aber mit damals, wo kleine Gruppen ein rauschendes Kulturleben in irgendeinem Keller von Manhattan veranstaltet haben, ist die heutige Situation nicht vergleichbar.

dieFurche: Die Jugend von heute - ein faules Pack?

Trojahn: Letzten Endes ist es das nicht, obwohl ich es manchmal so empfinde. Aber das ist natürlich das Empfinden eines alten Herren gegenüber der jungen Generation, die nicht das macht, was er gemacht hat. Diesen aussichtlosen Beruf sucht man sich ja nicht aus, wenn man nicht irgendetwas damit will. Ich denke, es ist auch nur ein Symptom für die heillose Zersplitterung im Bereich der Neuen Musik.

Das Gespräch führte Michael Kraßnitzer Zur Person Manfred Trojahn, ein untypischer Vertreter seines Standes Mit seiner Oper "Enrico" ist dem deutschen Komponisten Manfred Trojahn ein seltenes Kunststück gelungen: nämlich außerhalb des kleinen Kreises der Anhänger Neuer Musik Gehör zu finden.

Trojahn wurde am 22. Oktober 1949 in Cremlingen bei Braunschweig geboren. 1971 begann er sein Kompositionsstudium, unter anderen bei György Ligeti. 1978 wurde seine 2. Symphonie bei den Donaueschinger Musiktagen, wo er heute persona non grata ist, uraufgeführt. Denn sein metrischer Kompositionsstil, der bisweilen auch mit Tonalität spielt, stieß bei der orthodoxen Avantgarde zunehmend auf Ablehnung. 1991 wurde "Enrico" bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt und seither in vier Städten neuinszeniert. Heuer feierte Trojahn mit "Was ihr wollt" an der Bayerischen Staatsoper in München einen Erfolg. "Enrico" läuft seit 19. August im Wiener Semper-Depot.

Bis 4. September Karten unter: (01) 4000/8410

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