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Das Gegenüber

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Wir bitten Dich, allmächtiger Gott: schaue her auf das Flehen der Demütigen und strecke die Rechte Deiner Majestät zu unserem Schutze aus!

(Kirchengebet vorn 3. Fastensonntag)

Ein Bittgebet vom Anfang bis zum Ende. Und noch dazu in jener vertrauensvollen Gläubigkeit gesprochen, die man heute mit leichtem Naserümpfen als naiv bezeichnet. Wie kann man wagen, so direkt, so „anthropo- morph" (wie es die Religio ispsycho- logie zumeist abschätzig nennt), mit Gott, dem „ganz anderen" zu sprechen. Taucht hier nicht, wie so off in den Orationen, das archaische Bild des Alten Bundes auf, vom „ausgestreckten Arm des Herrn", vor dem die Fluten zurückweichen und die Feinde zu Boden sinken? Auch wir können uns von den Jahrhunderten des Deismus nicht frei machen, die zwischen uns und jenen Tagen liegen, da die Kirche diese leidenschaftlichen Worte formulierte. Und immer, wenn wir sehr gebildet und sehr überlegen das Gebet „diskutieren", neigen wir dazu, das Bittgebet als die niederste Form des Sprechens mit Gott zugunsten des meditativen, des liturgisch-an- betenden, des preisenden Charakters in den Winkel zu verbannen. Nur in den wirklich entscheidenden Stunden unseres Lebens, wo uns die Angst packt, wo uns das Herz zu zerspringen droht, wo wir uns wahrhaft ausgeliefert wissen, da bricht der religionswissen- schaffliche Panzer entzwei, da fliegt, das stammelnde Bittgebet von den Lippen, da rasen die „Ave" des Rosenkranzes ganz „unhfurgisch" dahin, da sagen wir plötzlich „Liewe God”, wie es der skeptisch-weise Erasmus, der zeitlebens auf sein elegantes Latein stolz war, auf dem Sterbebett in seiner Muttersprache gesagt haben soll. Wenn wir in dieser Fastenzeit etwas von der

Wirklichkeit der Dinge, fern ollem Flitter, begreifen, donn ist es immer wieder das Ergebnis unserer Kleinheit und Ohnmacht. Sollen wir uns also schämen, daf; wir — bei aller Anerkennung und Bewunderung des Vollendeten, was Menschpngeisf in Gebetswort und Gebetsgestalfung geschaffen hat — letzten Endes doch auf das kindliche Stammeln angewiesen bleiben? Und dalj wir am Ende eben nicht mit dem,ganz anderen", dem „Gott der Philosophen’ zu sprechen vermögen, sondern doch nur mit dem Gegenüber des Herrn und Vaters? Kant, den niemand des unkritischen Aberglaubens bezichtigen kann, hat sich zum Erlebnis des Psalmenbildes vom Hirten, der uns auf die fette Weide führt, bekannt… zu einem der vertrauensvollsten des ganzen Psalters. Heute steht das konkrete Bild des Mächtigen vor uns, von dem es heifjt, dafj er „die Kriege" zerschmettern kann, von dessen Arm wir aber auch wissen, dafj er jeden einzelnen von uns wie ein Kind zu behüten vermag. Je mehr sich die Wolken der Tage verdichten, desto näher rückt uns dieses Bild. Wir sprechen nicht gern davon, weil es als sehr unphilosophisch gilt, vom persönlichen Gott zu sprechen. (Pascal freilich und Kierkegaard konnten sich dies erlauben.) Aber wenn wir an diesem Fastensonnfag in der Kirche sind und uns auf dieses vom Priester für uns alle gesprochene Gebet vorbereifen und sammeln, dann wird dieses und kein anderes Bild vor unsere Augen treten. Und wir werden uns in diesem Augenblick nicht zu schämen brauchen. Denn auch das vollkommenste philosophische und theologische Gottesbild, das wir uns krampfhaft konstruieren wollten: es wäre vor der unerreichbaren Wirklichkeit Gottes kaum weniger „naiv" als das hier mit den Worten der Bibel gezeichnete …

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