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Das Genie und die Göttin

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Kein Spiel auf dieser Erde geht auf — nicht das der Liebe, nicht das der Politik, nicht das der Wissenschaft, nicht das private, nicht einmal das religiöse. Immer bleibt es auf halbem Wege unvollendet stehen und geht in ein anderes Spiel über, in einen anderen Versuch und Beginn. Es beginnt logisch und verläuft sich irgendwo im Wüsten, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Das Unternommene bricht ab, und mit einem Ersatz wird es noch eine Weile weitergeschleppt, und dann stellt sich alsbald heraus, daß es auch damit wieder nichts war... Als Christ weiß man zwar, warum dies so ist: die Welt des Menschen ist aus ihrer Ordnung ver-rückt, die Erbsünde taucht immer irgendwo an einer unvermuteten Stelle unbarmherzig auf und die Erlösung im Geiste muß den Strafzustand des Nicht-Geistigen als Kontrapunkt mitleben. Als Christ ist man Wanderer und Pilger und ohne Heimat auf dieser Erde. Aber wer dies nicht aus Glauben und göttlicher Ueberzeugung her weiß und einrechnet, dem ist's ein sinnloses Unterfangen, immer wieder anfangen zu müssen, logisch sich einzurichten und am Ende zu erleben, daß das Spiel nicht aufgeht.

Eines der grandiosen Beispiele hierfür hat Aldous H u x 1 e y geschrieben: „Das Genie und die Göttin“ (Piper, München. 184 Seiten, übersetzt aus dem Englischen von Herberth E. Herlitschka, Preis 9.80 DM).

Das Genie ist Professor Henry Maartens, Atomphysiker, anerkannte Kapazität, im nichtwissenschaftlichen Leben unzulänglich, ein einseitiges Gehirn ohne Begriff für den ganzen Menschen. Darum hat er an seine Seite eine Göttin gezogen, seine Frau Katy, eine heidnische Schönheit, voll heidnischer Sicherheit, bewundernswert unkompliziert bis zur Schamlosigkeit, eine gekonnte Natur, bei der der Zweck die Mittel heiligt, so sehr, daß ein sittliches Gewissen bei ihr fast gewissenlos wirken würde. Zwei Kinder haben sie: Tommy, den unkomplizierten Jungen, der gut zu haben ist und immer zufrieden. Und Ruth, das Mädchen in der Pubertätszeit, die wahre Kreuzung ihrer Eltern, ein Gemisch von Genie und Göttin, das den Eltern zum Kreuz wird und zum Untergang.

Als Assistenten des Professors verschlägt es in diese Familie den jungen Dr. Rivers, Sohn eines puritanischen Pastors und einer neurotischfrömmelnden Mutter mit Tyrannenanspruch an den Sohn. Rivers christliche Kinderstube hält im Hause des Professors den heidnischen Protest nicht aus: das Mitleben mit Genie. Göttin und pubertärem Raffinement nimmt ihm die christlichen Begriffe ab und ersetzt sie mit dem Erlebnis, daß es „auch so“ nicht geht. Es geht nicht mit der Religion, es geht aber auch nicht ohne sie und mit bloßem Heidentum. Kraft- und Geniereservoir des Professors ist die Göttin — besser: die pansexuelle Sexualität der Göttin. Sie ist die Kompensation für die Einseitigkeit des forschenden Gehirns; darum ist das Genie der Göttin verfallen und braucht die göttliche Genialität der Gattin. — Dr. Rivers kann sich der strahlenden Katy nicht entziehen, aber er achtet seinen Meister. Bis eines Tages die Göttin zu ihm kommt, bis sie den Frauenungewohnten geradezu verführt und vergewaltigt. Sie tut dies, weil sie durch die Pflege ihrer kranken Mutter ermüdet ist und keine Kraft hat, den kranken Gatten wieder hochzureißen. Sie muß sich selbst wieder Kraft holen, um sie weitergeben zu können. Sie holt sich diese ganz selbstverständlich bei der nächstliegenden Gelegenheit, bei dem männlichen Hausgenossen Rivers. Und es gelingt ihr, den Gatten wieder lebens- und forschungsfähig zu machen.

Der eifersüchtige Instinkt der Tochter Ruth wittert ein Geheimnis zwischen Mutter und Assistent Rivers. Weil dieser Mann nur die Mutter, aber nicht die Tochter „sieht“, füllt sich Ruth mit Schrecken — bis „es“ platzt. — Das Ende ist leicht erzählt: Als auf einer Ferienfahrt die Tochter der Mutter eine Drohung, fast eine Erpressung ausspricht, verliert die Mutter die Herrschaft über das Auto, wird von einem entgegenkommenden Wagen angefahren, und die „Göttin ohne die göttliche Allmacht“ sowie ihre Tochter verunglücken tödlich. Tommy allein kommt mit ein paar Wunden davon. Die beiden Männer im nachfolgenden Auto finden nur noch... daß das Leben nicht aufgeht. — Genialität ist eine irdische Auszeichnung. „Wie eine Göttin“ zu sein, ist eine irdische Auszeichnung. Aber die Erde verwirft ihre Ausgezeichneten, ihre Lieblinge ebenso wie ihre Stiefkinder. Der Geist der Weisheit ist eine Auszeichnung im Reiche Gottes, eine Gnade. Heiligkeit und göttlicher Scharm sind Auszeichnungen der Gnade im Reiche Gottes. Auf Erden sind solche Bevorzugungen keine Garantie, tragischem Untergang zu entkommen. Sie sind Leihgabe, um auf dieser Erde einen Auftrag zu erfüllen, zu dem Gott seine Sendung gibt. Auf Erden geht nichts auf —• keines der Spiele, die wir spielen. Was währt in dieser Brüchigkeit, ist Gnade, nach Erfüllung der irdischen Pflicht von Gott heimgeholt zu werden ins End-gültige; ist das gnaden voll Auf-gehen-dürfen in Gott und damit ins eigentliche Leben.

Huxleys Werk ist ein Meisterwerk der Romanliteratur mit einem wehen, aufrüttelnden Inhalt.

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