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Das Österreich von morgen

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Zweierlei Probleme gibt es, denen sich die Träger der Verantwortung im Staate steilen müssen. Die einen diktiert der Tag, die Stunde, der Augenblick. Die anderen Probleme sind die, die im Schatten reifen. Eines von ihnen ist das der jungen Generation und ihres Verhältnisses zum öffentlichen Leben, zur Politik. Denn die letzte Entscheidung über die Zukunft unseres Landes fällt nicht in irgendeinem Konferenzzimmer in London oder in einer anderen Metropole, sie wird nicht ausschließlräi durch die Punkte des Staatsvertrages bestimmt. Die Würfel, die über das Österreich von morgen fallen werden, liegen in den Händen jener jungen Menschen, die — einem ewigen Gesetz der Natur folgend — heute durch Schulen und Werkstätten, durch Hörsäle und Fabrikshallen in den Vordergrund des öffentlichen Lebens streben. Was hat es für einen Sinn, den Rahmen einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung abzustecken, wenn vielleicht die nächste Generation diesen schon wieder sprengen wird? Was nützt es, die Gegenwart zu gewinnen, wenn dabei vielleicht die Zukunft — die junge Generation — verlorengeht?

Die junge Generation? Ein weitverbreiteter Irrtum: die junge Generation gibt es nämlich heute nicht. Zu häufig war der Szenenwechsel der Geschichte des letzten Jahrzehnts, zu schnell und überstürzt die Abfolge oft widersprechender Eindrücke, daß nicht auch das alte Schema - der Generationen sich verschoben hätte. Drei Generationen sind es nunmehr, die in voneinander abgezirkelten Kreisen leben, arbeiten, denken und fühlen. Wenn im Kreise junger Menschen heute von „den Alten“ gesprochen wird, so werden dabei nicht Männer eines besonders hohen Lebensalters verstanden, sondern alle jene, deren geistiges und politisches Profil durch das Zwischenkriegseuropa gezeichnet wurde. Nennen wir sie als“, die zumeist 5- bis 50jährigen, nicht die „Alten“, sondern richtiger die „Vorkriegsgeneration“. Ihr folgen Jahrgänge, deren Erwachen entweder am Vorabend oder mitten in den Jahren der Weltkatastrophe stattfand. Ihre ersten Eindrücke: Gräben. Verschlungene und verschiedene Wege waren es, die diese im Kriege herangereifte Generation, diese „Kriegsgeneration“ auf dem Wege zu ihrer politischen Reife gezogen sind. — Vielfach getrennt, oft gegeneinander. Die einen stützten und trugen ein System, das in raffinierter Spekulation auf den unkritischen Idealismus und die oft selbstlose Opferbereitschaft junger Menschen diese zuerst vor seinen Triumphwagen und dann vor seinen Kriegskarren spannte. Die anderen stemmten sich mit der gleichen Selbstlosigkeit gegen die Sparren des Gefährts, das ihre Alters- und Schicksalsgenossen in den Abgrund zog. Schicksalsgenossen — ja, das waren und sind sie. Ein hartes Schicksal war der gemeinsame Nenner dieser Generation. Es verschont keinen, sondern teilte jedem einzelnen nach und nach sein gerütteltes Maß an Leiden, Erfahrungen und Erkenntnissen zu. Eine harte Schule: allen aber, die sie durchgestanden, gab sie ein vorzeitiges Zeugnis der Lebensreife. Und das Leben nahm die Heimkehrer des Krieges, die Heimkehrer mancher politischen Odyssee voll in Anspruch. Primum vivere, deinde politicare. Zuerst das Leben, dann die Politik, das war das ungeschriebene Programm der von den-Schlachtfeldern und aus den Gefangenenlagern Heimgekehrten.

Alle Erfahrungen und Erkenntnisse der Kriegsgeneration fehlen den Jüngsten der Jungen, der „Nachkriegsgeneration“. Auf ihrer Erinnerung lasten die Jahre einer Zwangserziehung, der diese Generation hilflos ausgeliefert war. Als ihr Blick klar wurde, klar zum Erkennen und Urteilen, sah er das Schauspiel einer Götzendämmerung. Die Welt — eine andere hatten sie nie gesehen — stürzte zusammen wie ein Kartenhaus. Unlöschbar prägten sich Bilder ein, Bilder des Verrates ihrer „Führer“, des jähen Abrückens ihrer Erzieher von den von ihnen hochgehobenen Idealen, der allgemeinen Unsicherheit. Hier sind die Wurzeln jener Zurückhaltung zu suchen, die mit Recht als ein Charakteristikum der jungen Leute von heute bezeichnet wird. Zurückhaltung allen und jedem gegenüber: der Schule, den Erziehern, oftmals selbst dem Elternhaus. Zurückhaltung aber noch mehr dem öffentlichen Leben gegenüber, den politischen Parteien und Gruppierungen.

Die Zeichen der Zeit: die Jahre, in denen die Kriegsgeneration freiwillig .oder unfreiwillig in die politische Etappe gegangen ist, gehen ihrem Ende entgegen. Die Lebensbasis wurde entweder gefunden oder alles Ringen hat sich als vergeblich herausgestellt. Beides, wirtschaftliche Sicherheit oder Verzweiflung, sind aber Motive, die die Menschen den Weg in die politische Arena gehen lassen. Die Nachkriegsgeneration aber wächst in ihrer .splendid isolation“ heran. Da sie auch schon mit dem Stimmzettel am politischen Leben teilnimmt, wird sie von Jahr zu Jahr zu einem Faktor, mit dem man im öffentlichen Leben mehr und mehr rechnen muß.

Die junge Generation vor den Toren! Eine Verheißung oder ein Alarmruf? Betrachtet man die im Kriege gereiften oder in den Nachkriegsjahren herangewachsenen Menschen als Eindringlinge, als gefährliche Konkurrenten für den Arbeitsplatz, als unsichere Kantonisten in der Politik oder aber begrüßt man die neuen Jahrgänge als lange erwarteten Entsatz, als Verstärkung, als Ablöse der in jahrelangem Kampf bewährten, aber auch verzehrten Besatzung der Festung Österreich? Entweder — die Tore verriegeln, sich absperren und abschließen gegen alles, was neu und jung ist; die Jugend herausfordern zum Sturm auf das Haus der Väter, auf ihr eigenes, sie in den Troß der um ihre Gunst werbenden Radikalismen der Linken und der Rechten abdrängen? Oder — die Zugbrücke hinunterlassen und die junge Mannschaft unter die alte Fahne aufnehmen? Der große Brückenschlag vom Gestern zum Morgen. Er ist es, an dem mit größerem Eifer als bisher gearbeitet werden muß. Viele Versuche, gerade die Kriegsgeneration als Vorhut aller jungen Jahrgänge anzusprechen, wurden schon unternommen. Sie standen unter keinem guten Stern. Sie geschahen im Zeichen des Wahlkampfes, sie waren mit dem Odium des Stimmen- und Wählerfanges behaftet. Der Kardinalfehler aber dieser Bemühungen war, daß sie in eine falsche, besser gesagt, nur in eine Richtung gingen. Die große entscheidende Frage der Gewinnung der abseitsstehenden und abwartenden österreichischen Jugend darf nicht mit der Gewinnung ehemaliger „nationaler Kreise“, mit der Liquidation des NS-Gesetzes gleichgesetzt werden. Ungerufene Wortführer der Kriegsgeneration sind aber die, deren Weisheit sich in einem Beschwören der Schlachtfelder erschöpft, die mit Romantizismen von gestern agieren und gewollt oder ungewollt die Vorarbeit für neue auf Irr- und Abwege lockende Mythen leisten. Eine wirkliche Ansprache der Kriegsgeneration und durch sie der gesamten jungen Jahrgänge kann nur in einer Einladung zur Mitverantwortung geschehen.

Mühsame Kleinarbeit ist notwendig, aber sie muß getan werden, um den verlorenen Kontakt mit der Gesamtheit der Jugend herzustellen. Versammlungssäle sind hiefür die am wenigsten geeigneten Orte. Sie locken nicht die Besten. Die direkte An- und Aussprache ist es, auf die alle jungen Menschen bis heute leider vergeblich gewartet haben. Die Zeit aber steht nicht still. Neue — alte Kräfte melden sich zum Wort. Sie haben keine Gegenwart, deshalb setzen sie auf die Zukunft. Deshalb auch ihr besonderer Appell an die junge Generation. Bis jetzt vergeblich. Wie lange? Die Entscheidung über das Österreich von morgen fällt täglich — zu jeder Stunde!

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