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Der alte, neue Glaube des Erbarmens

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Es hat einen tiefen Sinn, wenn in unseren Tagen die größte lebende katholische Dichterin in einer Vision der letzten Hugenottenverfolgungen unter dem XV. Ludwig das Gesetz wiederentdeckt„ dem ihr ganzes bisheriges Werk (die „Erzählenden Schriften“ liegen ja nun seit 1956, drei Bände stark, gesammelt vor) mit unendlich zäher Liebe und Geduld gefolgt ist. Auch in dieser ihrer neuesten Novelle, „D e r Turm der Beständigkeit“, geht es Gertrud von L e F o r t „nicht um Toleranz, sondern um etwas viel Feineres und Tieferes: es geht um Menschlichkeit und Erbarmen, die man auch denjenigen schuldet, deren Glauben man bekämpft“ (S. 37).

Nicht in der Kirche, sondern bei der Begegnung mit den Häretikern im Turm der Beständigkeit von Aigues-Mortes, wo die Hugenottenfrauen unter ihrer geistigen Führerin Marie Durand schon jahrzehntelang geduldig, fast heiter leiden (ihr „Resistez!“ ist noch heute in die verwitterten Mauern des Turmes gegraben), trifft den Prinzen von Beauvau, ein echtes Kind der Welt und der Zeit, Geliebten der Pompadour und Voltaire-Schwärmer, der Blitz der Gnade. Angesichts der Standhaftigkeit der französischen Kal-vinistinnen „verliert er den Glauben an den Atheismus“ (S. 36) und tastet sich mühevoll über die alten Hoffnungen und Aengste, vorübergehend sogar selbst ein Gefangener des Turms, zurück in den Schoß der einen wahren Kirche. Nach seinem Tode findet man in seinem Nachlaß ein handgeschriebenes Gebet, „dessen häufigen Gebrauch die abgegriffenen Zeilen der Blätter bezeugten“ (S. 60 f.); in ihm weiht er sein restliches Leben der Liebe und Achtung der Verfolgten:

„Laß mich willig auf mich nehmen, daß meine Rechtgläubigkeit bezweifelt wird, damit ich Sühne leisten kann für die nach menschlichem Ermessen unsühnbare Schuld an den Verfolgten. Ich bereue diese Schuld für meine Brüder und Schwestern, denen die Gnade dieser Reue noch versagt ist. Und ich befehle die endgültige Versöhnung und Vereinigung aller getrennten Christen der Gewißheit Deiner unendlichen Liebe“ (S. 61). Kirchengeschichte und Glaubensverteidigung haben in unseren Tagen Freimütiges und Versöhnliches über die Bartholomäusnächte (nicht nur der Franzosen) gesagt, kaum jemals aber ist die bestürzende Frage, ob die Abgefallenen nach dem Papstworte „nicht besser in die Kirche zu führen als hineinzuschleifen seien“ (S. 37 f.), so in den Mittelpunkt religiösen Grunderlebens gerückt worden wie hier.

Im entscheidenden Augenblick der Krise, da sich in dem Prinzen der alte Mensch noch einmal verzweifelt gegen den schon erwachten neuen stemmt, begegnet Beäuvau einem Jesuitenpater, dessen Klugheit und Menschlichkeit über der Zeit steht und seherisch die Wandlung und Aufgabe künftiger Jahrhunderte, der „Kirche der Zukunft“ (S. 40), erkennt. In einem großartigen Gespräch über Kirche und Staatsmacht stellt sich der Priester, in Vorahnung der nahe bevorstehenden Jesuitenvertreibung aus Frankreich, dem Konflikt des Prinzen völlig gleich —- sie stehen beide auf verlorenem Posten: „und so ist es auch ganz in Ordnung: auf verlorenem Posten stehen, das heißt dort stehen, wo auch Christus hier auf Erden stand. Gefährlich wird die Sache erst, wenn man als Christ die Fahne dieser Welt ergreift, um sich zu retten“ (S. 38 f.).

„Der Turm der Beständigkeit“ ist trotz seines schlichten Umfanges eines der reifsten und bedeutendsten Werke Gertrud von Le Forts; eines, das auch unserer Zeit, da die Ki&he mehr Verfolgte als Verfolgerin ist, viel zu sagen hat. Es scheint willig auf sich nehmen zu wollen, daß — ist es eine feine Anspielung der Dichterin auf die erregten Auseinandersetzungen um ihren „Kranz der Engel“? — „seine Rechtgläubigkeit bezweifelt wird“. Unentwegt, unbeirrt kündet es das Gesetz „des alten Glaubens, des Erbarmens“ (S. 61). Und darüber sollte nach so vielen Prüfungen und Erfahrungen ein Mißverständnis heute eigentlich nicht mehr möglich sein.

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