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Der Film, der bleibt

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Wissenschaft und Kunst aus Frankreich

Für die Beurteilung von wissenschaftlichen Filmen ist, bei aller landesüblichen Bescheidenheit, Wien — und noch dazu sein akademischer Boden — besonders zuständig. Die klassische Tradition der medizinischen Schule, aber auch des fachlichen Filmexperiments, das hier schon vor 30 Jahren, also noch vor den reich dotierten Versuchen in Babelsberg (Kaufmann-Schulz), auf der Fakultät und in der „Sensengasse“ zu einer vielbeachteten ersten Blüte des Kultur- und Lehrfilms führte, ließ denn auch Von vornherein ein hohes Interesse für die „Internationalen Festwochen des wissenschaftlichen Films“ erwarten, die eine private französische Produktion und ein interessierter österreichischer Verleih vom 28. Oktober bis 7. November im Auditorium maximum der Wiener Universität veranstalteten. Der für eine so inoffizielle Veranstaltung etwas ungebräuchliche Titel erhielt eine Art Rechtfertigung durch die Teilnahme von anerkannten Sprechern der Fakultät, auch der sachliche Kern der Veranstaltung enttäuschte nicht, sondern erfüllte durchaus .die hohen Erwartungen eines anspruchsvollen Publikums.

Vier Abende (Technische Möglichkeiten — Forschung — Spezialgebiete —’ Psychopathologie) erwiesen den hohen fachlichen und filmischen Stand der „Art-et-science"-Filme. Farbgebung und Trickzeichnung (vor Jahrzehnten noch unbekannt) unterstützten in hervorragendem Maße die Anschaulichkeit für Laien und Wissenschaftler. Auf dem Gebiet des kunsthistorischen Films blieb zwar die eigentliche Sensation aus — hier haben andere Produzierende, darunter in Filmfrankreich selbst, schon Bedeutenderes geleistet. Den stärk, sten Eindrude hinterließ ein Film über dämonische Elemente der spätmittelalterlichen Kunst (3. Abend), brav durchphotographiert war Memlings „Passion“, zu langatmig der „Ro-din“, zu sensationell-reißerisch die mystisch angekündigten Pikanterien des letzten Abends über das Närrische in der Kunst und die Kunst der Narren im engeren Sinn. Uneingeschränk tes Lob dagegen fanden (abgesehen von der verdammt weitherzigen Auffassung des Tier- sdiutzbegriffes in dem sonst so sehenswerten Epilepsdefiilm) die medizinischen Lehr-, For schungs- und Dokumentationsfilme besonders des dritten und vierten Abends. Hier liegt tatsächlich eine erstaunliche Leistung vor -— sowohl der chirurgischen wie der Kamera „Operateure". Hier gaben die künstlerische Technik und die technische Kunst des Films das Beste, was sie zu geben haben. Und das vielzitierte Wort Professor Gregors (Wien), daß in hundert Jahren vom ganzen Filmspuk nur mehr dieser Kern übrig sein werde, die lächerlichen, unnatürlichen „Schalen" des Spielfilms aber längst verfault und vermodert sein werden, gewinnt angesichts solchen Hochstandes des Dokumentarfilms und des evidenten Tiefstandes des heutigen Spielfilms eine erschütternd aktuelle Bedeutung.

Aus einer.auch Sonst sehr reich besetzten Filmwoche seti wenigstens das Wichtigste verzeichnet. Ein „Geschenk des Himmels“ in allen Sinnen des Wortes ist der gleichnamige amerikanische Film, mehr als ein „zweiter Teil des erfolgreichen „Brautvaters“, ein Musterbeispiel für überlegenen Humor und als schönste Verklärung von Kind und Familie eine richtige, von Himmel und Erde wohl auf- genommene Buße des Films für tausend Sünden an Liebe und Ehe. — „DieSchati- i n s e 1“, von Walt Disney nach Stevenson mit lebenden Darstellern gedreht, ist ein prächtiger Abenteuerfilm, der sich leider durch besonders liebevoll ausgemalte Rauf- und Kampfxäusche verdientermaßen um die „Jugendfreiheit bringt. — „Viva Zapata", weniger blutrünstig als sein krampfhafter Titel anklang an „Viva Villa“, bemüht sich, in einer Episode des endlosen Selbstvernichtungskampfes von Mexiko das ewig Tragische ¡ni Circulus vitiosus der Revolution auizu- zeigen. Ein ehrlicher, aufrüttelnder Film in allem, was er zeigt; unehrlich nur in dem, was er verschweigt. Denn die Cancerras, Villas und Zapatas nahmen nicht nur Boden für die Armen, sondern e6 fielen ihrem heiligen Eifer auch Meßgewänder und Goldkelche, ; Priester und Sakristane zum Opfer. Aber, singe, o Muse, nicht, daß Hollywood einseitig, voreingenommen, ungerecht sei: es hat für die einen die Kirchenverfolgung nach Graham Greene („The Fugitdve“) und für die anderen die Glorie der Bilderstürmer beredt. Es lebe der „Schnapspriester". Es lebe Zapata. Wohl der Gerechtigkeit, wehe der Welt des (Spiel-) Films!

Am ungeheuerlichsten wird der Abbruch an Magie, der die Entwicklung des Spielfilms in den letzten 15 Jahren kennzeichnet, sichtbar, wenn in unseren Tagen ein schon mehrmals "verfilmter Stoff — wie „Alraune" — neu auftaucht. Der ganze heidnische „Zauber“, den der Edelschund des Ewers-Romans einem Stumm- und einem Tonfilm mit großer Besetzung vermittelte, alles Flirrende und Flimmernde ist wie weggeblasen und einem kalt berechneten, geschickt gedrechselten, nur mehr nach Verwesung riechenden Gesellschaftsdrama gewichen. Die Auswechslung der gespenstischen Nachtwandelschlußszene von ehedem mit einem knalligem Revolverende ist nur ein Sinnbild für den riesigen Atemverlust des neuen Films gegenüber den alten — auf der ganzen Linie, denn auch die Besetzung mit Hildegard Knef und Erich von Stroheim ist nur mehr eine gedopte Sensation, instinktlos, vordergründig und verkrampft. Alraune? Ein Hexlein, ein Märchen wuTde verbrannt, und aus der Asche stieg eine „Sphinx ohne Geheimnis", ein männertolles Stubenkätzchen, ach schon wieder und immer wieder nur: die „Sünderin“.

Roman H e r 1 e

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich, Nr. 45 11 vom 5. November 1952): III (für Erwachsene und reifere Jugend): „Die Schatzinsel", „Trommeln des Todes, „Viva Zapata"; IV a (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Zapfenstreich";

IV b (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Meuterei im Morgengrauen", „In Teufels Krallen", „Der keusche Lebemann".

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