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Des Gedankens Blässe

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Das von der genialen Idee Hofmannsthals und Reinhardts abgeleitete bequeme Rezept: Kirchenfassade — Freilichtspiel erwies seine Fragwürdigkeit selten in solchem Ausmaß wie bei der Aufführung vor dem Turm der Stiftskirche Zwettl. Aus wohlbegründeter Angst vor der letzten Konsequenz dieses Rezeptes, nämlich: Freilichtspiel ist gleich Mysterienspiel, suchte man in der durchaus löblichen Absicht, moderne Christen mit modernen Formen anzusprechen, einen neuen Weg und wählte den „Prozeß Jesu” von Diego Fabbri. In diesem, bereits vor einiger Zeit in Wien aufgeführten Werk, rekonstruiert eine jüdische Theatergruppe das Verfahren gegen Jesus Christus und bemüht sich, die Frage zu klären, ob der Menschensohn nach dem Gesetz der Juden zu Recht oder zu Unrecht verurteilt wurde, „ob das, was auf Golgotha geschah, nur eine bedauerliche Tat menschlicher Grausamkeit war, oder eine schwere, unermeßliche Schuld, die nicht wieder gutzumachen ist” und Jahrhunderte hindurch schicksalhaft auf. dem jüdischen Volk lastet.

Kein „Gerichtsstück” im üblichen Sinn, auch keine wirkliche Aktualisierung, die unter die Haut geht, wie man jetzt so schön sagt, sondern eine szenische Diskussion, die sich den dramaturgischen Regeln und Anforderungen weitgehend entzieht. Als jüngerer Zeitgenosse Pirandellos weiß Fabbri um die Wirkung der wohlvorbereiteten Improvisation, läßt Personen aus dem Publikum entscheidend in den Gang der Verhandlung eingreifen. Dennoch: viel wortreiche intellektuelle Selbstgefälligkeit, viel gewandtes spitzfindiges Gerede, graue kalte Theorie, Scheintiefe. ER wird nur in den schlichten Worten Marias und der Apostel gegenwärtig. Der Trugschluß bei der Wahl des Stückes und des Spielortes: diese Auseinandersetzung, die auf einer Bühne, in einer bewußt nüchternen Sphäre, allenfalls noch die erstrebte Konzentration erreichen kann, zerflattert im Freien vollkommen. Beziehungslos betreibt man vor Munggenast9 prachtvollem Turm Dialektik, die Szene wird nicht zum Tribunal eines brennenden Problems der Juden und der Christen. Was bleibt ist des Gedankens Blässe, ein mißfarbiges Podium, auf dem Leute in Straßenkleidung agieren und dahinter eine grandiose Schöpfung barocker Architektur.

Andreas Rozgony bemühte sich um Intensität und Klarheit der Dialog- und Prozeßführung. Bei Rudolf, S c h i p p e 1, im Stück das OberlmupP’dir- Gruppp. -W mehr .daß: fMonomanische” eines WeltBe- glückers zum Ausdruck als die fanatische Wahrheitssuche eines Juden biblischer Geistigkeit. Otto Kroneder gibt der Rolle des Anklägers die starrsinnige Schärfe innerer Unsicherheit. Voll mütterlicher Einfachheit: Alice Zlatnik als Maria, während Sonja Mareli völlig kalt läßt. Bei der Wahl des Petrus bewies der Regisseur glückliche Hand: Hans Kamm auf gestaltet die Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung zu einem starken Eindruck. Walter Maitz ist ein männlich-ernster Johannes, Fritz Holzer glaubt man den tragischen Zwiespalt des Judas, sehr profiliert der Pilatus Rudolf Rösne rs, Ulli Fess1 findet als moderne Magdalena echte Töne. Die übrigen Darsteller werden teils schlechter teils besser mit den ausgeklügelten Weitschweifigkeiten des Textes fertig. Es ist das ehrliche Bestreben aller Beteiligten, das aufrichtige Sympathie verdient.

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