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Die Jungen sind benachteiligt

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Im Zagreber „Vjesnik u srijedu“ vom 31. März 1965 konnte man lesen: „Was mich betrifft, ich arbeitete in einer Zagreber Fabrik als Arbeiter, aber ich bin angeblich wegen Mangel an Rohmaterialien und wegen Uberschusses von Arbeitskräften entlassen worden. Ich blieb auf der Straße. Meine Hausfrau schmiß mich aus dem Untermietzimmer hinaus. Jetzt schlafe ich in verschiedenen Hausfluren, Klosetts, Krankenhäusern usw. Wer ist der Schuldige, daß ich Huligan geworden bin? Wer blieb in der Fabrik? Jene, die durch Protektion aufgenommen wurden ...“ Ein anderer sagte: „Also, wir jungen Menschen haben keine Aussicht. Wo sollen wir uns zeigen und bestätigen? ... Ältere haben sich die Positionen geschaffen, manche von ihnen ohne irgendwelche Qualifikationen. Wie sollen wir zeigen, daß wir auch etwas gelten? Sollen wir einen dritten Weltkrieg erwarten?“ Ein junger Mann namens Deni erklärte: „Es lohnt sich nicht, zu arbeiten. Was kann ein junger Mensch mit 30.000 Dinar, die er verdient, machen, wenn allein die Unterkunft 10.000 Dinar kostet?“

Die Wunde des Regimes

Diese und ähnliche Aussagen bestätigen nur die tiefe Wunde des Regimes. Die jungen Menschen in Kroatien und Jugoslawien haben auf der einen Seite viel Freiheit (sie können die schmutzigsten Filme sehen und Schundliteratur lesen), während sie auf der anderen Seite nichts zu essen haben und außerdem niemanden, dem sie ihre intimen Wünsche vortragen könnten. Außerdem haben die jungen Leute schon wirklich genug, immer wieder, schon zwanzig Jahre lang, dieselbe Parole hören zu müssen: „Wir sind Titos, Tito ist unser.“ In diese Parole setzt man kein Vertrauen mehr, sie garantiert keinen Wohlstand, keine Zufriedenheit und keine Zukunft. Die Kommunisten haben zwanzig Jahre lang Moral und Christentum verspottet, jetzt aber sehen sie sich mit einer Situation konfrontiert, in der die verwirrten revolutionären und umstürzlerisehen Ideen blühen. Aus diesen Jugendgruppen rekrutieren sich auch die modernen kroatischen politischen Terroristen und Attentäter, die in letzter Zeit in der Bundesrepublik und anderswo von sich so viel reden machten. Man könnte sie als eigentliche Kinder des Kommunismus in Kroatien nennen. Die terroristische Atmosphäre in manchen Emigrantenzirkeln ist oft gerade durch anarchistische und nihilistische Züge dieser Zwanzig- bis Dreißigjährigen bestimmt.

Das rückständige Schulwesen

Neben den geschilderten Erscheinungen ist noch die Bildungslücke der Gymnasiasten zu nennen. So sind zu Beginn des Jahres aus einem Gymnasium in Banjaluka 132 Schü-

ler hinausgeflogen, weil sie schlechte Noten hatten. In Split wurden 145 Schüler ausgeschlossen. Dieselben Maßnahmen wurden in Gymnasien in Gospic, Gracac und Perusic (alle in Kroatien) getroffen. Das kulturelle Interesse einer sehr großen Zahl von Jugendlichen umfaßt meistens nur schlechte Filme und billigste Schlagermusik aus dem Westen. Wenn in diesen Kreisen etwas überhaupt gelesen wird, dann wieder nur übelste Kolportagen aus dem Westen. Der Reporter des Zagreber Fernsehens Ivan Hetrich ging vor einigen Monaten mit seinem Mikrophon auf die Straße und stellte vielen jungen Menschen Fragen aus dem Kulturbereich. Die Antworten waren niederschmetternd.

Nicht ein einziger hatte in seinem Leben etwas über Shakespeare oder Beethoven gehört.

Die Ursachen dafür liegen daran, daß man der Unterrichtsförderung zuwenig Aufmerksamkeit schenkt. Nach Meinung erfahrener Pädagogen, die heute immerhin mehr als noch vor zehn Jahren zu sagen haben, liegt die Hauptursache für die katastrophalen Bildungslücken bei der jungen Generation darin, daß gute alte Professoren noch immer verspottet werden und keinen zu großen Einfluß auf die Organisation des Unterrichts haben.

So gärt und schwärt es in der Jugend Jugoslawiens und nagt an den Grundfesten der Gewaltherrschaft. Werden sie standhalten?

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