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Die Kunst des Fabulierens

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AM RANDE. Von Maurice Sandai. Illustriert ron Salvador Dali. 0 Selten. — DER SPAZIERGANG. Von Robert Waller. Zeleknunyen von Karl Waloer. 335 Selten. — GLÜCK, GELD UND GAUNER. Von O. Henry. Illustriert von Godi Hoflmann. 31 Selten. — Alle Diogenes-Verlag, Zürich, 1987. Pro Band Fr. 9. .

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AM RANDE. Von Maurice Sandai. Illustriert ron Salvador Dali. 0 Selten. — DER SPAZIERGANG. Von Robert Waller. Zeleknunyen von Karl Waloer. 335 Selten. — GLÜCK, GELD UND GAUNER. Von O. Henry. Illustriert von Godi Hoflmann. 31 Selten. — Alle Diogenes-Verlag, Zürich, 1987. Pro Band Fr. 9. .

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Die Kunst des Fabulierens steht bei manchen Richtungen der modernen Literatur nur in geringem Ansehen. Ja, es gibt Autoren, die es ausdrücklich ablehnen, „Geschichten“ zu erzählen — das sind meistens diejenigen, die dazu nicht imstande sind. Aus der Not der mangelnden Phantasie wird oft eine literarische Tugend gemacht. Die Leser allerdings — und nicht die schlechtesten — sind da anderer Ansicht. Sie vertragen einfach nicht ständig die endlosen Seelenanalysen, die breit ausgewalzten Milieuschilderungen und empfinden nach solcher Lektüre wieder Sehnsucht nach einer ganz anderen Art des Erzählens, nämlich nach jener, in der die Kunst des Fabulierens sich entfaltet. Auch dafür ist auf dem Büchermarkt gesorgt. Die „Erzählerbdbliothek“ des so erfreulich vielseitigen Diogenes- Verlages hat sich schon einen guten Ruf erworben und befestigt diesen auch weiterhin durch die Qualität ihrer Neuerscheinungen.

Der Schweizer Maurice Sandoz (1892 bis 1958) ist in Deutschland und Österreich noch wenig bekannt Doch seinen Namen sollte man sich merken. Er studierte Chemie, aber auch Musik, war Wissenschaftler, Komponist, Sammler, Mäzen und weitgereister Weltmann. Neben seinen naturwissenschaftlichen Werken schrieb er Romane („Das Haus ohne Fenster", „Das Labyrinth“), Erzählungen, Erinnerungen und ein Reisebuch. Wie der kleine Auswahlband „Am Rande“ beweist war Sandoz ein Erzähler von starker Originalität, mit dem Hang zum Phantastischen und Absonderlichen. Er nahm die Tradition von E. T. A. Hoff- mann, Poe und Villiers de L’Isle- Adam auf eine sehr persönliche Weise wieder auf. Die seelischen Ausnahmezustände, in die er mit feinem psychologischen Spürsinn eindringt, ziehen ihn besonders an, und er vermag das Ineinanderfließen von Realität und Phantasie suggestiv und spannend darzustellen. Die Wahnvorstellungen geistig Erkrankter, die sich oft als eine tiefere Erkenntnis des Seins heraussteilen, sind ein von Sandoz bevorzugtes Motiv. Reizvoll kontrastiert der kühl distanzierende klare Stil zu dem unheimlichen Geschehen. Besonders eindrucksvoll sind die Erzählungen „Die Falle“ und „Am Rande“ — keine bloßen Gruselgeschichten, wie sie heute oft mit Perfektion fabriziert werden, sondern dichterische Prosastücke.

Ein anderer Schweizer, Robert Walser (1878 bis 1956), wurde in unserer Zeit wieder neu entdeckt. Zu Lebzeiten war er ein erfolgloser Schriftsteller, den man nicht ganz ernst nahm. Heute halten ihn manche für den bedeutendsten Schweizer Prosaisten seit Gottfried Keller. Ob dieses Urteil berechtigt ist, bleibe dahingestellt, jedenfalls aber war der unstete, eigenbrötlerische Walser, der Jahrzehnte seines Lebens in einer Heilanstalt zubrachte, ein Dichter von Rang, dessen Schaffen leider von pathologischen Zuständen überschattet wurde' Kafka, Morgenstern und Musil schätzten ihn sehr. Oskar Loerke sagte von ihm, er habe das Erzählen an sich, ohne Gegenstand, erfunden. Die Erzählungen des Ban des „Der Spaziergang" haben oft keine Handlung im eigentlichen Sinn, es sind Träume, Stimmungsbilder, Ketten von Impressionen, mit dem Reiz des Hintergründigen, geschrieben in einer subtilen Prosa.

William Sidney Portner (1862 bis 1910), der sich O. Henry nannte, ist ein Klassiker der amerikanischen Kurzgeschichte. Während seines bewegten Lebens konnte er reichlich Erfahrungen sammeln, diie ihn befähigten, Angehörige der verschiedensten Bevölkerungsschichten lebensecht zu zeichnen. Seine zahlreichen, in vielen Sammlungen erschienenen Geschichten haben auch heute nichts von ihrer Frische eingebüßt und unterhalten uns durch Einfallsreichtum und Humor. Die Freude am Fabulieren ist bei O. Henry besonders ausgeprägt. Seine New Yorker Erzählungen sind berühmt geworden. Er war wohl kein großer Dichter, aber ein großes Talent Sympathisch berührt uns sein Mitgefühl mit den Menschen, die auf der Schattenseiten des Lebens stehen.

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