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„Die Weisheit begibt sich nach Wien ..

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Es ist eine wohl allen wirklich Verantwortungsbewußten und in die Sachlage Eingeweihten klare und eindringliche Überzeugung — die nidit erst der Straße oder den Tagesblättern ihr Dasein verdankt —, daß unsere obersten Bildungsstätten, die Universitäten und anderen Hochschulen, an der Wegscheide geistigen Umbruches einer grundlegenden Umformung bedürfen. Einer Umforsmung nicht so sehr auf rein organisatorischem Gebiete — Maßnahmen nur äußerer Natur allein führen nicht zum geschauten und gewollten Ziele —, sondern einer Umformung, die die Innenseite, den Kern und das Wesen, ergreift. Dies aber ist ein Werden, das sich abseits vom Lärm der Straße und dem hastenden und jagenden Getriebe des Tages ruhig, planvoll und organisch vollziehen muß. Bei solch einem Vorgang kommt es nämlich nicht allein auf seine ..Technik“ an. sondern auf seinen Inhalt.

In dieses neue Werden, Planen und Formen steigt nun in diesen Tagen die ragende Gestalt des eigentlichen geistigen Begründers unserer Wiener Universität aus der Vergangenheit zu lichtvoller Erinnerung empor: Heinrich von Längen-

stein, auch Heinrich von Hess e-n

, genannt. Am 11. Februar sind es 550 Jahre, seit er die Wirkungsstätte seiner sowohl schöpferisch-organisatorischen wie auch wissenschaftlichen Tätigkeit für immer verlassen mußte. Heinrich von Langenstein, den bereits seine Zeitgenosssen. wie aus einem alten Kodex hervorgeht, das Lumen totius ecclesiae — Leuchte der gesamten Kirche — nannten und den man im vorigen Jahrhundert ob seiner Bedeutung mit Leib-niz verglichen hat, war zusammen mit Heinrich Totting von Oyta der geistige Schöpfer unserer Universität, i Im Jahre 1383 kam Heinrich von Langenstein nach Wien. Herzog Albrecht IIL, durch seinen Kanzler Bischof B e r t h o 1 d von Freising aufmerksam gemacht, berief ihn hieher. Er kam von Paris, von der damals berühmtesten theologischen Schule des Abendlandes. Widrige Umstände, das päpstliche Schisma und die dadurch heraufbeschworene Spaltung an der französischen Hodaschule, veranlaßten ihn. den Ort seiner bisherigen erfolgreichen Wirksamkeit zunächst an der artistischen — wir würden heute sagen philosophischen — und später theologischen Fakultät zu verlassen

Es Ist eine gefährliche Sache um Prophezeiungen. Aber zu einem

vorsichtigen Voraussagen wissenschaftlicher Entwicklungen und Strömungen reicht die Erkenntnis gewisser tieferliegenden Schichten und Quellensammlungen, die tastende Ahnung neuanzusetzender, lebenverheißender Richtungen aus. So darf man denn wohl ankündigen, daß die neuerwachende Metaphysik einen Zug der Entsagung tragen wird, nicht bloß als zufällige Begleiterscheinung, nein, als Wesensmerkmal.

Das Gesicht einer müden Skepsis wird es nicht sein. Auch nicht mehr das verschleierte Bild einer schöpferischen Allmacht des Geistes, die da alles Gegenständliche und Wirkliche im Gedanken und Im Begriff aufgehen läßt; noch weniger der entsagende Zug einer rein geschichtlichen, oberflächlich aufgestellten Tatsachenreihe oder einer Wahrheit, deren Sein oder Nichtsein nur nach der Brauchbarkeit für das praktische Leben bemessen wird. Nicht eine Philosophie der Entsagung soll also auferstehen, sondern ein Vorstoß zu entsagender Selbstbescheidung der metaphysischen Denkarbelt auf Grund fest und klar begrenzter, neuer Einsichten.

Stanislaus von Dunln-Borkowskl: Die Entsagung tn der Philosophier“

(„Stimmen der Zelt')

und in seine Heimat zurückzukehren. Mk

ihm verließen auch andere bedeutende deutsche Gelehrte für immer Paris. Heinrich von Langenstein begab sich zunächst zu seinem Freund, dem Zisterzienserabt Jak ob von Eltville vom Kloster Eberbach am Rhein. Dort erreichte ihn die herzogliche Berufung an die neugegründete Universität. Langenstein nahm sie an. „Die Weisheit geht hinweg und begibt sich (von Frankreich) zu einem anderen Volk“, sott sein Abschieds„gruß“ gewesen sein, als er Paris verließ. Die Wiener Universität hat jedenfalls den — ein starkes Selbstbewußtsein verratenden — Ausruf nachdrücklichst bestätigt: „O glückliche und selige Entzweiung, durch welche den im Dunkel Weilenden das Licht der Weisheit aufstrahlt“; denn sie hat es später als Fügung Gottes gewertet, diese überragende Größe bergen zu dürfen.

Hier in Wien angekommen, erkannte Heinrich von Langenstein sofort, welche Maßnahmen unbedingt zu ergreifen waren, um die Universität lebensfähig zu machen. Er war im hohen Grade von den mangelhaften Anstalten zur Eröffnung einer vollständigen Universität betroffen. Uberall zeigten sich Ubelstände und Schwädien; keine rechten Räumlidikeiten waren vorhanden für die Hörsäle und die Bibliothek; die zugewiesenen Baulichkeiten waren in schlechtem Stande; die Dotierung der Universität war ebenfalls noch nicht geregelt. In freimütiger Offenheit hat er seine Wahrnehmungen und seine Pläne zur allmählichen Formung der Universität dem Herzog dargelegt. Und der Herzog nahm die mutigen Vorstellungen nicht nur nidit ungnädig auf, sondern ließ ganz in ihrem. Geiste sogleich Anstalten treffen, die Vorschläge in Ausführung zu bringen. Die Sorge um Gedeihen, Ansehen und Würde der Universität blieb Langenstein zeitlebens eine ernste Herzensangelegenheit. Selbst in seinen gelehrten religiösen Vorträgen kam er darauf zu sprechen.

Neben der Vielfalt seiner organisatorischen Arbeiten an der Universität — er war auch einmal ihr Rektor — widnu.e sich Heinrich von Langenstein jedoch auch den wissenschaftlichen Aufgaben, den kirchlichen, den Tages- und Zeitfragen. Bereits in Paris vertrat er in einer längeren Schrift seinen Standpunkt und legte seinen Plan dar, der eine Behebung des unheilvollen Schismas herbeiführen sollte. Freilich in einer Annahme — als Wirkung seines nominälistischen Ideengutes —, die die Kirche niemals billigte. Seinen Darlegungen gemäß sollte ein allgemeines Konzil beide Päpste, den rechtmäßig gewählten Urban VI. wie seinen Gegenpapsf* Klemens VII., absetzen und auf diese Weise durch Neuwahl dann eine Einigung des Päpstlichen Stuhles herbeiführen. Es war ein Irrtum, dem auch andere — Anhänger der konziliaren Idee — verfallen waren.

Zahlreich und umfangreich sind seine Arbeiten theologischer wie profanwissenschaftlicher Art. Aus der Reihe der theologischen Schriften ragt vor allem der Kommentar zur Schöpfungsgeschichte der Heiligen Schrift hervor. Fast die gesamten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit finden sich darin verarbeitet, so daß diese Erklärung zu neun Folianten anwuchs„ wiewohl nur drei Kapitel des biblischen Schöpfungsberichtes darin erklärt sind. Es würde zu weit führen und den Rahmen dieser kurzen Erinnerung übersdireiten, wollte man nur die zahlreichen, aus den verschiedenen Wissensgebieten stammenden Arbeiten erwähnen. Die allermeisten von ihnen warten noch auf eine wissenschaftliche Durchforschung; gleichsam nur dem Namen nach bekannt sind die meisten seiner vielen wissenschaftlichen und religiös-erbaulichen Darstellungen.

Am 11. Febraur 1397 ist Heinrich von Langenstein gestorben. In der Stephanskirche beim Altar des Evangelisten Johannes fand er sein Grab. An seiner Ruhestätte wurde eine Gedenktafel angebracht mit einem noch von ihm selbst verfaßten Spruch. Im Jahre 1510 wurden seine Gebeine erhoben und in der Katharinenkapelle des alten Turmes beigesetzt. Wohl kündet kein mächtiges Denkmal den Nachfahren von seiner großen Tat. Doch das schönste Denkmal, unserem Heute ein Ruf- und Mahnmal, hat er sich selbst errichtet in der durch treue Zusammenarbeit mit seinem Freunde Heinrich Totting von Oyta zu herrlicher Blüte erstandenen Universität Wien. Mag das Gebäude im Laufe der Jahre auch ein anderes geworden sein, der große Geist seiner Schöpfer lebt auch darin weiter und verpflichtet uns heute Lebende zu neuer Tat.

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