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Die Wiener Sängerknaben

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Die Nachtigallen aus der Wiener Burgkapelle. Chronik der k. n. k. Hofsängerknaben. Von Doktor Franz Josef Grobauer. Mit einem Geleitwort von Professor Clemens Krauß. 12 Abbildungen, 32 Tafeln. Verlag Ferdinand Berger, Horn 1954. 221 Seiten

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Die Nachtigallen aus der Wiener Burgkapelle. Chronik der k. n. k. Hofsängerknaben. Von Doktor Franz Josef Grobauer. Mit einem Geleitwort von Professor Clemens Krauß. 12 Abbildungen, 32 Tafeln. Verlag Ferdinand Berger, Horn 1954. 221 Seiten

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Die Lage Wiens am Schnittpunkte eines West und Ost verbindenden Stromes und der uralten Bernsteinstraße ist oft genug hervorgehoben worden; freilich mehr in politischer als kultureller Hinsicht. Und doch hat diese Lage für die abendländische Musikentwicklung hervorragende Bedeutung gehabt. Die von England, Frankreich (Burgund) und den Niederlanden ausstrahlenden Linien der Gotik und Renaissance überschneiden sich an der Wiener Pforte mit der Nord-Süd-Linie der wirkenden Barocke. Zudem kommt, daß hier ein Menschenschlag aufwuchs, der, tief im Volke, musikalische Begabung besaß, die sich wieder mit der übernationalen Kunstentwicklung überkreuzte. Alles dies mußte unwirksam oder doch weniger wirksam bleiben, hätte der Spielmann in Oesterreich, als der Vermittler von Dichtung und Musik, nicht frühzeitig durch zunftgemäße Einreihung die Befreiung von gesellschaftlicher Minderwertung gefunden. Die Regierung der beiden Leopolde, des fünften und sechsten, aber auch jene Friedrich I., schuf die Voraussetzungen für die Entwicklung späterer Jahrhunderte — waren doch alle drei Herrscher musikalisch begabt. Der Glanz des Goldenen Zeitalters, die Achtung des Spielmanns, von dem unsere großen Heldenepen und die Lieder der höfischen Dichtung zeugen, konnte wohl vorübergehend verdunkelt, aber nie ausgelöscht werden. Friedrich 111. und sein Sohn Maximilian, als sie die burgundischen Vorbilder eines Karls des Kühnen gewahrten, entwickelten nur weiter und überboten bald die Beispiele eines Leonello d’Este und Galeazzo Sforza. Der Bischof von Wien, Georg von Slatkoriia, bewährte sich als künstlerischer Testamentsvollstrecker des „letzten Ritters"; war dieser, seiner ganzen Eigenart humanistischer Prägung, der weltlichen Musik gewogener, kam darnach mit dem Zuzuge geistlicher Kantoren jenes eigentümliche Signum in die Hofkapelle und die Sänger, das, solange treu daran festgehalten wurde, Leistung und Weiterwirken verstärkte; das, wenn man, aus welchen Gründen immer, glaubte,

zugunsten einer bunten Popularität und Verweltlichung den geistlichen Gehalt hinaufzusetzen, sogleich einen Abfall brachte und den Bestand der Sängergenossenschaft in Frage stellte.

ln einer reinen Chronik, wie sie Grobauer schrieb, ist diese Kritik freilich nur zwischen den Zeilen in vollem Ausmaß zu ahnen. Indes: wenn man seine Stellungnahme zur Wirksamkeit der Sängerknaben ab 1938 betrachtet, weiß man sogleich, daß hier eine Feder ohne Ressentiments waltet. Hier werden — im Gegensatz zu einer ähnlichen Publikation — nicht Namen verschwiegen. Wer Gelegenheit hatte, die Sängerknaben vor 1938 und darnach nicht bloß bei Konzerten zu hören, sondern auch den Proben beizuwohnen, der muß Grobauer durchaus beipflichten, daß die Sängerschaft durchwegs infolge ihrer unerschütterlichen Ueberlieferung auch in ernsten, unmusischen Tagen ein Anwalt Oesterreichs blieb. Dies, trotzdem die Stimmen ins Zackzack abglitten; trotzdem man, leider, wie heute, nicht verzichten wollte auf jene billigen szenischen Spiele, die durchaus der Würde dieser großen Vereinigung nicht gerecht werden. Als vor rund hundert Jahren Hanslick in seinem Erinnerungsbuche „Aus meinem Leben" den Berliner Domchor auf zwei Seiten des zweiten Buches so herausstrich, war es damals seltsam genug. Heute hingegen dürfen weltweite Reisen nicht über die historischen Voraussetzungen eines Instituts binwegtrapezieren. Die Darstellung Grobauers ist eine streng wissenschaftliche, aktenmäßig gestützte; sie referiert und läßt die Kritik von den Quellen — durchaus verständlich — einfließen. Die Wissenschaft hindert aber nirgends die wahrhaft dramatische Diktion mancher Kapitel — die als Teile einer Kulturentwicklung empfunden werden. —• Ein Namenverzeichnis der Sängerknaben und ein sechsseitiges Register erhöhen den Wert der — längst fällig gewesenen — ernsten Darstellung.

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