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DieBB-Story

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Am Nachmittag des 26. September 1960, ihres 26. Geburtstages, versuchte sich die französische Filmdarstellerin Brigitte Bardot in der Villa einer Freundin bei Nizza durch Veronal das Leben zu nehmen. Sie wurde noch recht* zeitig aufgefunden und ist nach den letzten Nachrichten wieder wohlauf.

Offensichtlich handelte es sich diesmal um einen ernster gemeinten Selbstmordversuch als vor Jahfen, als'Brigitte durcrr'ffieseff'Tric^'veW ihren Eltern die Zustimmung zur Ehe mij ihrem ersten Gatten erpreßte. Trotzdem wäre1 <Mi:'-Nachricht ihre fünf Zeilen nicht wert, wenn nicht hinter dem Zwischenspiel und seiner ungeheuer populären Akteurin auch noch anderes stünde.

Denn auch ein unmittelbarer Anlaß zu dem Selbstmordversuch ist nicht eigentlich sichtbar. Zwar hat es zwischen Brigitte Bardot und ihrem derzeitigen Gespons, dem Jammerlappen und Nervenbinkel Jacques Charrier, in den letzten Wochen die übliche Eifersuchtsszene abgesetzt, die Brigittes Filmarbeiten (diesmal an Clouzots Film „Die Wahrheit“) beziehungsweise ihr realistisches Zusammenspiel mit dem jeweiligen Filmpartner zu begleiten pflegen. Man ging auch getrennt auf Urlaub, ein jedes in eine andere Windrichtung, aber mein Gott, man schlägt sich, man verträgt sich und überläßt gelasssen den Illustrierten die wieder einmal fälligen Scheidungsprognosen. Zu einer richtigen Flucht aus dem Leben reichte es kaum.

Nachrichten von Depressionszuständen der jungen Mutter, nicht sehr glücklichen Ehefrau und leise um ihren schwankenden Starrang Bangenden, die sie in letzter Zeit öfters von Tod und Sterben reden ließ, scheinen der Wahrheit näher zu kommen.

Brigitte Bardot oder, wie sie in der ganzen Welt gemeiniglich genannt wird, BB, kommt nicht, wie viele ihrer Schicksalsgefährten: Chaplin, Chevalier, die Loren und Lollobrigida, aus jenem hungrigen Proletariat, das auf dem Weg „zur Sonne“ die Fäuste und Ellenbogen gebraucht, wenn nötig auch über Leichen geht, sondern aus gutbürgerlichem, mittelreichem Pariser Industriellenmilieu. Die Tanzausbildung des Töchterchens pardonniert der Herr Papa noch, an den Modellphotos für Wäschefirmen in den Illustrierten nimmt er jedoch Anstoß; ob aus Sittenstrenge, väterlicher Besorgtheit oder bloß als bloßgestellter Manager, steht dahin.

Es mag jetzt gerade zehn Jahre her sein, daß ein kleiner Assistent des großen Regisseurs Marc Allegret, ein Russe namens Plemianikoff, aber mit dem hübschen Künstlernamen Roger Vadim, die Kleine irgendwo aufgabelte und sich in den Kopf setzte, sie, vor allem aber mit ihr sich selbst berühmt zu machen.

Regisseure und Kameraleute haben bisweilen den sechsten Sinn. Sie sehen mehr und anders als gewöhnliche Sterbliche. Durch die damalige Brigitte hindurch aber die heutige zu sehen, war wahrhaftig von seherischer Begnadetheit, denn das magere, schlaksige, quäkende, eben aus der Klosterschule entschlüpfte Ding, schauspielerisch sichtlich nur mäßig begabt, hatte damals nichts, aber auch schon gar nichts von einem kommenden Weltstar an sich — für gewöhnliche Augen.

Es verlautet nicht, wie sie zu ihrer wohlgeformten Gestalt kam. Vielleicht waren es jene NudefcOHe Sofia Loren a$s3eteWtö8f tflSi-geige zur Miß Roma machten? Vielleicht die Liebe zu Roger Vadim? Wir wissen überdies aus Hollywooder Praktiken, zuletzt aus einem überaus indiskreten Interview eines Journalisten mit Marilyn Monroes Reklameagenten, wie so ein Sexstar unserer Tage aufgebaut, gemakeupt und gemanagt wird. Ungefähr so wird auch Roger Vadim mit seinem Mädchen, das bald darauf auch seine Ehegattin geworden ist, verfahren sein.

Von den 23 Filmen aber, die bis heute das Oeuvre Brigitte Bardots darstellen, waren die gute erste Hälfte durchweg Nieten. Erst mit einem modernen Kapitalaufwand des bekannten Produzenten Raoul Levy gelang es, wieder unter der Regie Roger Vadims, aus dem häßlichen jungen Entlein den Schwan zu machen: „Et Dieu crea la femme“ (deutscher Verleihtitel: „Und immer lockt das Weib“) schlug endlich ein und begründete eine moderne Starlaufbahn, wie sie bis dahin die ganze, nicht eben karge Geschichte der Filmerotik nicht kennt. Das war übrigens erst 1956, ist also ganze vier Jahre her.

Was die eigentümliche, man ist versucht zu sagen: magisch-mythische Wirkung eines modernen Filmstars auf die Massen letztlich wirklich ausmacht, ist bis heute unbekannt geblieben. Wissenschaftliche Untersuchungen vom Range der Schelskyschen „Soziologie der Sexualität“ geben darüber genau so verlegene Auskunft wie fachkundige Spezialwerke von der Art des Gert Wolfframschen „Sex-Appeals“. Das Vordergründige von BBs Wirkung gibt Jean Amery („Teenager-Stars / Idole unserer Zeit“) mit gewählten Worten wieder; er nennt sie „eine Eva des Halbjahrhunderts, verführerisch und verderblich, barfuß, in photogen zerlumpten Kleidern, mit einem eigentümlichen finsteren Blick und einem Mund, den als .schmollend' zu bezeichnen man elend wenig Instinkt haben muß, da er doch in Wahrheit animalisch ist“.

In den unheimlichen Hintergrund und Untergrund führt uns die Beobachtung, daß sich die Wirkung dieser BB, deren geistesgeschichtlicher Stammbaum von Nietzsches philosophischem „wilden, schönen Tier“ über Wedekinds programmatische Lulu bis zu Hans Heinz Ewers germanischer Schundphantasie-Alraune reicht, weniger auf die Jugend erstreckt. Zwar ahmen Fabrikmädchen, Lehrmädchen und Dienstmädchen eifrig die beiden BB-Frisuren nach, das hochgetürmte Wespennest und die zottelige, flackernde Schlangenbrut (die letztere stellt unzweifelhaft die chaotische sexuelle Nebenwirkung der BB und damit überdeutlich einen Zug der Zeit überhaupt dar); es ist aber letzten Endes festgestellt, daß die kommerziell ausschlaggebende Stargefolgschaft BBs die erwachsenen, freilich vorwiegend alternden oder in ihrer natürlichen Vitalität gebrochenen Männer stellen, an denen unsere Zeit überreich ist. Sinnvoll war sie auch in ihren beiden „stärksten“ Filmen, „Und Gott schuf das Weib“ und „Mit den Waffen einer Frau“, in Liebesgeschichten mit älteren Männern verstrickt, denen sie zum Verhängnis wurde (Typus: Curd Jürgens und Jean Gabin). Dazu würde die etwas überspitzte, aber geistvolle These einer französischen Schriftstellerin stimmen, die die französischen Männer („die letzten Voll-Männer Europas“) durch den aggressiven Typus BBs dauernd herausgefordert und verletzt sieht — womit sie erklärt findet, daß Glanz und Gloria der vulgären Sexualität BBs unter den Männern außerhalb Frankreichs viel heller strahlen als in ihrer eigenen Heimat.

BB scheint das selbst gespürt zu haben und spielte einmal („Babette zieht in den Krieg“) mit hochgeschlossener Sportbluse patriotische Züchtigkeit. Vielleicht, um solcherart die Lücke in der heimatlichen Popularität.m.stopfen? Vielleicht auch nur, wie Jean Amery (a. a. O.) meint, „um dem neuerfc'Frankreich ihren Tribut zu entrichten und dem sittenstrengen General, der das Land regiert, eine Freude zu machen“, die Schäkerin, die liebe ewige Marianne.

Der skandalumwitterten Starpopularität BBs entspricht die herbe Kritik, die sich in der Abneigung zahlreicher einzelner und in öffentlichen Kundgebungen gegen ihre Art und ihre Filme ausdrückt.

Mit vorchristlichem Haß hat die Sekte der „Zeugen Jehovas“ in Amerika BB als „verdammt in alle Ewigkeit“ bezeichnet. Ein protestantischer Prediger in Lake Placid begnügte sich mit der knisternden Vernichtung einer BB-Affiche vor einem Kino. Mit gelassener Nachdrücklichkeit hat schließlich auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 eine Photomontage im Vatikanpalast Brigitte Bardot unter die Versuchungen der modernen Welt eingereiht.

Psychologen meinen, daß der ungeheure Starruhm moderner Ersatzheiliger für die Betroffenen selber eine auf die Dauer untragbare psychische Belastung darstelle, aus der sie häufig in exzessive Lebensformen auszubrechen versuchen oder aber in schwere seelische und geistige Krisen schlittern.

Es kommt die Gnadenlosigkeit des Filmbetriebes dazu, die einem Star wie BB tagtäglich und stündlich vorrechnet, wann ihre Uhr ablaufe. Vor Jahren schon stellte beispielsweise eine Pariser Revue mit hemdärmeliger Offenheit eine „7-Jahre-Kurve“ der erotischen Filmbeliebtheit in Frankreich auf, in deren Rahmen der Bardot die Zeitspanne 1953/60 zugeteilt wurde. Dabei wußte damals noch niemand etwas von Pascale Petit...

Das alles drückt und bedrückt. Und einmal mag die Stunde kommen, da Soll und Haben, Gegenwart und Zukunft einem solchen Menschen überscharf ins Blickfeld treten und ein winziger Anstoß genügt, daß er mit dem Gruß „Guten Tag, Traurigkeit!* zu jenen weißen Pillen greift, die die Augen vor dem schwarzen Abgrund schließen. Viele sind so eingeschlafen. Und nur ganz wenigen war es gegeben, davon noch einmal aufzuwachen.

Ist BB aufgewacht?

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