6612054-1955_06_07.jpg
Digital In Arbeit

Ein junger österreichischer Dramatiker

Werbung
Werbung
Werbung

Als Erstaufführung bringt das Volkstheater das Drama „Odysseus muß wieder reisen“ von Kurt K1 i n g e r. Dieser junge österreichische Autor, gegenwärtig Student in Wien, hebt sich bereits mit diesem ersten Stück aus der Handvoll dramatischer Begabungen heraus, die in der österreichischen Nachkriegsgeneration bisher sichtbar geworden sind. Klinger geht direkt, ohne Umschweife und ohne viel Seitenblicke auf Moderne und Modernitäten, auf sein Ziel los: dramatische Wirksamkeit und eine knappe Aussage über ein Thema unserer Zeit. Sein „Odysseus“ ist keine Flucht in die Vergangenheit, nicht in die Antike und nicht in die Tiefenpsychologie, wozu so viele kluge und gekonnte Dramen mit Stoffen aus der Antike sich verführerisch als Vorbild darbieten, vom greisen Hauptmann bis zu O'Neill und Anouilh. Im abgeschabten Mantel des Offiziers einer siegreichen oder geschlagenen Wehrmacht (Sieg und Niederlage werden erst daheim ausgefochten, in der Nachkriegszeit, in der es um den Frieden geht) kehrt der General Odysseus nach Ithaka heim, um hier nach zehnjährigem Siegen um Troja, nach jahrelangen siegreich überwundenen Strapazen im Ringen um seinen Sohn, seine Frau, sein Volk zu unterliegen. Dieser Odysseus beherrscht einigermaßen perfekt die Technik des Schießens und der Machtübernahme; er ist gekommen, um in Besitz zu nehmen, um seine Herrschaft wieder an sich zu nehmen. Also umstellt er mit einer Handvoll Hirten, die unter ihm gedient haben, den Palast, erschießt die Freier und will nun seine alten Rechte geltend machen: als Alleinherrscher auf dem Thron, den er vor Kriegsbeginn verlassen hat. Sein Scheitern stand ihm aber in die eigenen Augen geschrieben von dem Augenblick an, in dem sein Fuß Ithaka wieder betrat: seine Augen sahen nämlich nur sein Ich; sie sahen nicht, daß in den langen Jahren seiner Abwesenheit in diesem Lande und auch in den ihm nächsten Menschen ein eigenes Leben gewachsen war, auf das er hätte Rücksicht nehmen müssen. Diese neue Rücksicht (auf die „Sieger“, auf die ..Besiegten“, auf die Rechthabenden und auf die Unrechttuenden) ist ja das einzige gültige Zeichen, das zu echter Herrschaft über sie alle legitimiert:, behütend, bergend die einen und die anderen, die „schuldigen“ Freier und die unschuldigen und schuldigen Genossen, die Opfer und die Täter. — Hier wird, für einen Moment, eine Not unserer Zeit sichtbar, die Tragödie der Regierenden und der Regierten nach 1945; schade, daß Klinger es nur blitzhaft andeutet. Odysseus kommt nicht als der Heger und Pfleger, als Fürst, der zu behüten berufen ist, in sein Land, sondern als enger Sachwalter seines Rechtes: und stürzt sich eben dadurch in bitteres Unrecht und in eine ausweglose politische Situation. Als er sich anschickt, die Freier niederzumachen, stellt sich ihm sein Sohn in den Weg; Odysseus schießt auf ihn, verwundet ihn nur, enthüllt aber durch diesen Schuß auf seinen Erben seine eigene Schwäche.

Penelope erschrickt tödlich über diesen Mann, der immer nur sich selbst wollte, verweigert sich ihm. Telemach entwaffnet im Verein mit den Truppen des Statthalters den Trupp seines Vaters, nachdem ersterer ihm klargemacht hat, daß die Alliierten, die verbündeten Griechenstädte und Staaten, die Ermordung der Freier, der Söhne ihrer angesehensten Geschlechter, nicht ruhig hinnehmen werden. Odysseus sieht ein — und geht, als ein Geschlagener, wieder aufs Meer hinaus: es bleibt offen, ob zur Einsicht .gelangt oder als ein Freibeuter und Freischärler, ein Führer jener Desperados, die nach 1918 Europa vergiftet haben und heute sich anschicken, aus dem Dunkel der ersten Nachkriegsjahre wieder ans Licht zu treten: hungrig aussehend nach den Seelen und Leibern der Völker ...

Klinger ist begabt; sein Odysseus verlangt eine Vertiefung in zwei Richtungen: die innere Dimension seiner Gestalten ist dünn, es fehlt ihnen das Fleisch der Seele, des Menschlichen) an Rollenhaftem haben sie genug; zum anderen: die politische Aussage ist zuwenig durchdacht; wir glauben, nicht mißverstanden zu werden. Kein Wohlwollender wünscht heute einen Parteidichter; da aber heute die echte Aussage des {Politischen bei den Parteien nur sehr fragwürdig betreut wird — wenn überhaupt —, ist es Aufgabe der Dichter, Schriftsteller und in erster Linie der Dramatiker, diese Verpflichtung des Menschlichen in unserer Zeit auf sich zu nehmen: und anzusagen die Gefahren, die Tragödien auch, die geflissentlich überschwiegen werden. Das . Gericht des Dramas, der Bühne und der Dichtung, ist ein anderes als jenes der politischen Hexenprozesse; es kann ehrlicher, härter und in aller Härte viel milder und menschlicher sein: weil es offen das Zusammenspiel der Schuldigen und Unschuldigen, der Täter und Leidenden, der Rechthabenden und der Unrechttuenden zur Schau stellt. — Das Publikum nahm sehr Anteil an diesem echten und ehrlichen Experiment. *

Als eine richtige Faschingspremiere kam im Burgtheater unter der Regie von Ernst Lothar „B u n b u r y“ von Oscar Wilde heraus. Wieviel blühendes Leben steckt hier doch noch in dem blühendsten Unsinn. Oscar Wilde schöpft aus dem vollen: aus dem Zusammenspiel einer großen Gesellschaft, die in Paris und London die Politik, die Diplomatie, die Höflichkeit und Härte der Herrschaftsschicht Alteuropas noch einmal am Vorabend des ersten Weltkrieges verkörperte und die den Nachfahren dies eine, nicht hoch genug zu schätzende Gut hinterließ: die Komödie; das wirkliche Lust-spiel, das etwas anderes als ein verkapptes Trauerspiel ist. Den Glanz, die Fragwürdigkeit, die Ironie und Selbstsicherheit dieser geschlossenen Gesellschaft, die doch so merkwürdig offen war, nicht nur für ihre eigenen Schwächen, ver-körpert Alma Seidler in der begeistert aufgenommenen Aufführung der „Wiener Burg“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung