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EIN WORT AN JUNGE FREUNDE

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ln einem gewaltigen prophetischen Gesicht sieht der Seher von Patmos sieben Engel auf die Erde herabsteigen und die Zornschalen Gottes ausgießen. Die Meere verdunkeln von dem Blute der Toten, das einer von ihnen über die Wasser schüttet, in denen alles Leben erstirbt. Rot werden die Flüsse und Bäche von dem Blute, das der andere über sie ergießt. Als ein anderer seine Schale entleert, vertrocknet der Euphrat, der vierte der Paradiesßüsse, so daß die bösen Könige aus dem Osten sein Bett zu überschreiten vermögen und Gag und Magog, die Völker des bösen Tieres, die Heilige Stadt angreifen können und zu Armageddon die große Entscheidungsschlacht beginnt.

Haben sich die apokalyptischen Zeiten schon genähert? Über- schaut man den Zustand der Welt, dieser von dem Streit großer Völker und von ihren Leidenschaften hin- und hergeworfenen Welt und unsere von Ungewißheit und Gefahren umringte Existenz, so spürt man die bildhaften Beziehungen des XVI. Kapitels der geheimen Offenbarung. Aber wir kennen nicht die Zeit ihrer ganzen Erfüllung, wissen nur, daß diese Bilder eine Mahnung sind an das kommende Gericht Gottes, eine Mahnung, daß wir immer bereit sein müssen, in diesem Gericht zu stehen.

Wie ist diese Situation entstanden? Übersieht man den Abstand, der den Anfang des letzten halben Jahrhunderts von der Gegenwart trennt, so könnte man glauben, der Mensch sei mit einem Katapult aus jener Zeit in eine andere Welt geschossen worden. Aus einem verlängerten Biedermeier, in dem der Philister noch den Wein und den Mondschein besang und sich im Kaffeehaus ergötzte, wenn hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlugen, sieht der Mensch sich unvermittelt in eine Gegenwart versetzt, in der ungeheuere Umwälzungen sich vollziehen. Er muß wahrnehmen, daß das irdische Dasein, das seine Weltweisen entgottet haben, einen verzweifelten Aspekt gewonnen hat, die Entfernungen äiifgehoben sind, die Gegensätze näher aneinanderstoßen und Gegensätze und Kräfte angebrochen sind, die einen Weltbrand zu entzünden drohen. Diese Krise befällt eine Gesellschaft, in der große Massen dem Christentum verlorengegangen sind und eine tiefe geistige Spaltung die Menschheit trennt.

Ist die Lage hoffnungslos? Wir sehen geistige Bewegungen im Zuge, die noch vor einem Jahrzehnt nur in schwachen Vor- läufern angedeutet waren. Der Materialismus als Weitauschau-mg ist im Zerbrechen. Die Atomzertrümmerung hat auch ih tödlich getroffen. Aber einen noch stärkeren Stoß als durc die Wissenschaft erhielt diese Religion des Irdischen durch de Erweis, daß in der Katastrophe der Menschheit, in dieser Nach in der die Ordnung der Kulturstaaten, das Recht vor der Gt walt und die Menschenwürde vor der Bestialität abdankten, wi immer, wenn es an das Letzte geht, der Mensch seine Zuflucl in dem Glauben an das Göttliche findet und die Kirche d beharrliche Verteidigung der Menschenrechte und der menscV liehen Würde führt, ln weiten Schichten der arbeitenden Mer sehen ist heute der antiklerikale Komplex, der früher jede Ai näherung unmöglich machte und alles durch Unwissenheit tin Vorurteil vergiftete, verschwunden, und die Zeit scheint gi kommen, da es gilt, die dunkle Schlucht, die bisher die natüi liehe Gemeinschaft in ein großes heidnisches und ein kleinen christliches Lager trennte, zu überschreiten.

Wird der Christ in dieser, das ganze Gefüge des menschliche Seins erfassenden Krise seine Verantwortung erkennen oflt wird er, eingeschüchtert durch die unheimlichen Kräfte, dere Wirken er verspürt, vergebliche Kompromisse versuchen utt so die Verknechtung der christlichen Kultur und Gesellscha; einzuleiten bereit sein? Jetzt wird nur derjenige zählen, de wer immer er sei, und wo immer er stehe, ein Bekenner is Aus dem Bekenntnis haben viele von uns auch in den Kerker ihre Kraft und ihr inneres Glück geschöpft. So soll es auc in Zukunft sein. Wir wollen den heroischen Menschen! I allein wird die kommenden Zeiten bestehen. Für jeden vo uns ist mehr als je das gute Beispiel eine Pflicht. Wenn e je offene Türen zu den Herzen bisher fernstehender Mensche gegeben hat, so finden wir sie jetzt geöffnet. Jetzt ist di große Chance. Vielleicht dürfen wir sie als den Sinn de Prüfung auffassen, mit der wir Menschen des 20. Jahrhundert nach einer Periode des Nationalismus, des Hochmuts und de Hoffart und Gottesleugnung, nach der Stumpfheit gegen sozia les Unrecht und sittlichem Volksverderb aufgerüttelt werdet die apostolische Aufgabe des rechten Christen zu erkennen.

Die Zeit der großen Entscheidung hat sich genähert. Wen; wir in Demut und opferbereit unsere Pflicht tun, dann wir, uns der Allmächtige auch die Kraft geben, als Christen sieg reich zu bestehen.

(Geschrieben 1958)

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