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Evangelisches Zeugnis unter der Gewalt
Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Von Dietrich Bonhoeffer. Chr.-Kaiser-Verlag, München. 286 Seiten. Preis 9.80 DM. — Und führen, wohin du nicht willst. Bericht einer Gefangenschaft. Von Helmut Gollwitzer. Chr.-Kaiser-Verlag, München. 346 Seiten. Preis 12.50 DM
Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Von Dietrich Bonhoeffer. Chr.-Kaiser-Verlag, München. 286 Seiten. Preis 9.80 DM. — Und führen, wohin du nicht willst. Bericht einer Gefangenschaft. Von Helmut Gollwitzer. Chr.-Kaiser-Verlag, München. 346 Seiten. Preis 12.50 DM
Es ist vielleicht kühn, diese beiden Bücher in einer gemeinsamen Perspektive zu sehen. Den evangelischen Christen, den allein auf Wort und Bekenntnis gestellten, der bergenden, zuweilen aber auch zum Ausweichen verlockenden Hut einer sichtbaren Communio Sanctorum wenigstens bewußtseinsmäßig (wenn auch nicht theologisch) entratenden, ausgesetzten Menschen zweimal Aug in Auge mit der satanischen Gewalt des totalen Staates zu betrachten. Und doch: wie verschieden die Reaktion. Gerade an dem winzigen Abstand zwischen den Aufzeichnungen des Bekenntnispfarrers Bonhoeffer aus der Gestapohaft (er wurde 1945 in Flossenbürg durch die Nazi ermordet) und dem Tagebuch des Kriegspfarrers Gollwitzer aus sowjetischer Gefangenschaft enthüllt sich der Grabencharakter jener Jahre um 1945. Bonhoeffers Briefe und Tagebücher sind noch reines Seelendokument, Pascalsches Tagebuch des einzelnen. Mit Fingerspitzen, um sich nicht zu beschmutzen, faßt dieser ungewöhnlich geistbegnadete Mensch die Gefängniswirklichkeit (Verpflegung, Nachtlager usw.) in einem wenige Seiten umfassenden Haftbericht an seinen Verwandten, den später hingerichteten Stadtkommandanten von Berlin, Haase, zusammen. Aber bald weichen die Kerkermauern wieder, versinkt die Umgebung, verhallt das Fluchen der „Schließer", und das Gespräch der Seele mit Gott, die religiöse Problematik beherrscht allein Denken und Zeugnis. Die sokratische Gelassenheit, mit der auch das Geschehen der letztenxTage vor neuer KZ-Verhaftung und Hinrichtung in den Hintergrund geschoben wird, ist keine Pose. Sie ist der Ausdruck einer Haltung, die letztlich alle Entscheidung auf das eigene Innere reduziert. Die letzte Edelfrucht klassischen deutschen Geistes möchte man sie nennen, die Absage zugleich an jede Weltlichkeit, an „Tugend" wie „Freiheit" und „Pflicht", ja selbst an das autonome, absolut gesetzte „Gewissen" und die existentielle Hingabe an Gott, den lebendig und persönlich Gegen-' wärtigen…
Anders die Welt Pfarrer Gollwitzers. Hier sind Dimensionen geöffnet, die bislang verschlossen waren. Die Wirklichkeit der sowjetischen Gefangenschaft, die er nicht als einzelner, sondern als Teil der sich auf lösenden deutschen Armee erlebt, zwingt ihn zur ständigen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Realitäten, der des Faschismus in seiner Umgebung, der des Sowjetismus bei seinen Bewachern. Pfarrer Gollwitzer legt sich ehrlich und ohne die peinliche Selbstzerfleischung anderer „Kommunismusspezialisten" über diesen Prozeß Rechenschaft. Seine Denküberlegungen sind immer eingebettet in die Praxis. Die Auseinandersetzung sowohl mit der Dialektik des Kommunismus, die im „Heute schon das Morgen sieht", als auch zugleich mit der sturen „Nein"-Haltung des reaktionären Teiles des deutschen Offizierskorps ist das ergreifende Herzstück dieses schlicht und in geraden Linien gedachten und geschriebenen Buchs. Gollwitzer macht es sich nicht leicht und einfach, zu dem überlegten „Nein" zu kommen, mit dem er schließlich die Möglichkeit einer direkten Kollaboration von Christentum und Kommunismus unmißverständlich beantwortet. Es ist das Nein des Gewissens, das Nein der Erfahrung und Einsicht, nicht das Nein des Klassenegoismus engstirniger Besitzverteidiger, nicht das Nein verbitterter unheilbarer Rechtsfaschisten. Und es ist kein Nein zu Rußland, dem Ewigen, das vor dem sich inzwischen ja auch bereits mehrfach geändert habenden Kommunismus da war und einst auch nach ihm da sein wird. So schließt das Buch, dem auch Stellen gemüthaften Erzählens als Ruhepunkte nicht fehlen, in einer Sphäre ruhiger, gelassener Bereitschaft zur Auseinandersetzung und klarer Absage an alle Lösungen der Gewalt.
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