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Fern rauschte das Meer…

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Rudolf Bayr schrieb im Programmheft der Grazer Theater anläßlich der Uraufführung seines Dramas „Sappho und Alkaios“, daß er sprachlich eine Mitte des Ausdrucks wählte, keinen Vers, um nicht in den Ruch des Epigonentums zu fallen, und keinen Konversationston, da er gegen die sprachliche Aktualisierung der Antike eine persönliche Abneigung hege. Die von ihm gewählte Form ist eine edle Prosa, die in besonders erhebenden Augenblicken rhythmisch au6klingt. Diese Lotsenarbeit, zwischen klassizistischem Prunk und proletarisierter Antike hindurchzusegeln, bleibt aber für den modernen Dichter eines Griechenstoffes durchaus keine nur sprachliche Forderung. Auch Bayrs Drama 6ucht inhaltlich, ideell und in der Zeichnung seiner Charaktere nach einem neuen gültigen Griechenbild, um allerdings zuletzt doch nur im Hafen eines sprachlichen Ästhetizismus zu landen, in dem die Zeitparallelen wie schäbige Fischkutter zwischen vornehmen Privatjachten irrtümlich herumschaukeln. Und so gut Bayrs Wille ist, gerade um der Not unserer Zeit willen, dem Drama nicht wie die meisten Autoren ein auswegloses, sondern ein beglückendes Ende zu dichten, die allzu ebenmäßige Form seines Werkes läßt uns erkennen, daß wir heutzutage unsere Bilder nicht in Goldrahmen fassen können, wie zu Urgroßmüttern Zeiten, sondern daß uns nichts anderes übrigbleibt, als sie mit groben Reißnägeln an die Mauer zu heften. Die Gestalten aus „Sappho und Alkaios“ 6ind durch einen glitzernden Schleier von uns getrennt — nur das unglückliche Mädchen Erinna kann menschlich ergreifen. Uber die Diskrepanz zwischen Gehalt und Form — aktuelle Problematik und klassisches Griechentum — könnte man noch hinweg- sehen, hätte der Dichter lebendiges Theater geschaffen, Leidenschaften und Schicksale, die die Zuseher bedrängen und erschüttern und das äußere Kleid des Schauspielers über der menschlichen Echtheit seiner Rolle vergessen machen. So aber entwickelt 6ich die Handlung dürftig und bleiben einige einsame Augenblicke in einem weiten Feld bloßer Rede und Gegenrede als verlorene dramatische Pfeiler übrig. Kurz, Bayr versucht in einer ästhetischen Konstruktion antike Stoffe mit modernem Gehalt zu erfüllen, indem er ein Griechenbild humanitären Charakters malt, wie es Goethe erlaubt war. Späteren aber zu einer Gefahr werden sollte. Denn eben diese Verkündigung eines demokratischen Humanismus durch einen griechischen Volksführer und eine Prie6terin der Aphrodite wirkt betont krampfhaft, fern von unserem wirklichen Leben, dem rationaler Humanismus ebensowenig helfen kann wie olympisches Griechentum, weshalb unsere Generation ein anderes GeSftht der Antike erschaut, jenes, das suchende Seelen zum Mysterium von Eleusis trieb. da6 Griechenland der chthonihen Götter, die keine glücklichen Dichtergeschöpfe, sondern erstes Ahnen gottmenschlicher Erlösung waren.

Bayrs „Sappho und Alkaios“ Meß den Großteil der Zuseher kühl, einige weise Sentenzen blieben in Erinnerung. Die Schönheit der Sprache rauschte vorbei; aber 6o fern wie das angedeutete Meer, das der Bühnenbildner ganz im Hintergrund de6 Olivenhains auf den Prospekt gemalj hatte.

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