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Graf Stadion frohlockte zu früh

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So strebt man 1809, wie so oft früher und auch später in Österreich, zauderhaft auf halben Wegen zu halben Taten. Graf Stadion mag angesichts der patriotischen Welle, die damals die Bewohner des Kaiserstaates erfaßt hatte, frohlocken: „Wir haben uns als Nation konstituiert“; bald wird die Landwehr abgerüstet und eine Volksbewegung auf dem Weg der Bürokratie kanalisiert, abgeleitet und zum Versiegen gebracht sein. An ihrem Ende steht der Dichter und Verfasser zündender Flug- und Kampfschriften, Heihrich Collin, vor seinem Kaiser, um ein paar Gulden Entschädigung für das Ungemach zu erbitten, dem er wegen seiner offen bekannten patriotischen Einstellung durch die französische Besatzungsmacht aus- gesetzt war. Und die Antwort? „Wer hat ihm denn das geschafft?“

Dieses Wort mag als Grabspruch für den ersten Versuch der politischen Nationswerdung der Völker Österreichs und ihrer. Verpflichtung auf den Gedanken des österreichischen Staates stehen. Noch breitete der Doppeladler um alle seine Schwingen. Sie wurden als Schutz und nicht als Fessel empfunden. Noch. Die Stunde verstrich ungenutzt. Sie sollte nicht wiederkehren.

Die Stunde des „Volksgeistes“

Aber die einmal geweckten Völker konnten nicht wieder wie folgsame Kinder zur Ruhe gelegt werden. Von der politischen Mitbestimmung ihres Schicksals abgelenkt, schweift ihr Geist in so manches Traumland. Es war die Stunde der Romantik. Es war die Zeit, in der nicht nur die blaue Blume gesucht, sondern auch unter dem Einfluß Herders und des von ihm postulierten „Volksgeistes“ jener vor allem auf die Gemeinsamkeit der Sprache begründete Nationsbegriff geprägt und popularisiert wurde. Er sollte dn Mitteleuropa durch das ganze 19. Jahrhundert und Jahrzehnte darüber hinaus dominieren.

Zweiganstalten in allen Bezirken Wiens sowie in Schwechat und Himberg

Für den alten Kaiserstaat im Herzen Europas bedeutete dieser Nationsbegriff zwangsläufig Ekrasit. Ekrasit, gelagert in rund einem Dutzend Sprengkammern. Das erweist sich schon im Sturm jahr 1848. Vor allem, als die allgemein als Freiheitsbewegung begrüßte Märzrevolution im Herbst in die wilde Strömung des jungen deutschen Nationalismus geriet. Die mit schwarzrotgoldenen Schärpen umgürteten Garden stehen auf den Barrikaden Wiens den verächtlich als „Österreicher“ apostrophierten Soldaten Windischgraetz’ und Jela- cic’ gegenüber. Jener durch ein Jahrhundert fortwirkende Gegensatz zwischen Nationalen und Patrioten in Österreich kündigte sich an. Noch einmal mahnt der Dichter in jenem berühmten, Radetzky und seiner Armee zugeeigneten Gedicht, daß das Kommando „Vorwärts“ auch ung’risch und böhmisch sei.

Aber bald wird nicht mehr „Vorwärts“ geblasen, sondern die Trommel zum Rückzug gerührt. Was geschichtlich gewachsen, erliegt in einer Reihe von großen Nachhutgefechten und vielen kleinen Scharmützeln dem sprachlich, ethnisch und biologisch motivierten Nationalismus, der an allen Orten mit dem Aufstieg des Bürgertums sich verbindet. Das nationale Bekenntnis des Österreichers deutscher Zunge, nach dem hier gefragt ist, war — warum es verschweigen oder gar abstreiten wollen — in den Jahrzehnten zwischen 1848 und 1918, ja, darüber hinaus, ein deutsches. In den verschiedensten Varianten. Von dem allein seinem Kaiser verpflichteten Offizier bis zum radikalen Gefolgsmann Georg Schönerers, der „nicht schielte, sondern schaute“ — unverwandt’ in sein f deutsches (Hohen zoll er) Vaterlandi Übernationales, universalistisches Denken dagegen findet sich nach wie vor noch im Adel und im hohen Klerus. Internationale Gedanken machen sich in der nachdrängenden Arbeiterschaft bemerkbar. Doch spürt man den Zeitgeist sowohl „oben“ als auch „unten“ mitunter recht deutlich. Und doch: Wer sich nicht mit Festtags- und Kommersphrasen zufriedengibt, wer die Sonde tiefer führt, wer bei den Dichtem anfragt, wird daraufkommen, daß gerade die Grillparzer-Generation einerseits ohne Zweifel die deutsche Literatur bereichert, anderseits aber Töne zum Klingen bringt, deretwegen sie heute als die Begründerin einer österreichischen N ationalliteratur apostrophiert wird.

1918 sprengt der Nationalismus den Vielvölkerstaat im Donauraum. Eine jahrhundertealte Ordnung, der wieder die Gegenwart und bestimmt noch mehr die kommende Zeit volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, zerbricht. Es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, zu untersuchen, welchen Anteil der deutsche Nationalismus, welche Verantwortung seinem Geist huldigende Österreicher, die dem Aufstieg vor allem der slawischen Völker der im „Reichsrat vereinigten Königreiche und Länder“ ihr Verständnis versagen, dabei auf ihr Konto buchen müssen. Es sei nur kurz an die zornigen Ausrufe Josef Roths in seiner „Kapuzinergruft“ erinnert, oder an das berühmt-berüchtigte Gymnasium von Cilli. Die Einführung slowenischer Parallelklassen am dortigen deutschen Gymnasium erschien deutschnationalem Denken untragbar. Ein Ministerium stürzte über diese Frage. Das Ergebnis: Ein halbes Jahrhundert später ist in dem zu Celje gewordenen Cilli kein deutsches Wort mehr zu hören.

(Wird fortgesetzt)

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