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Große Entschlüsse

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Aufsehenerregend im guten Sinn des Wortes darf das Oktoberheft der Wiener Monatszeitschrift für aktives Christentum „Der Große Entschluß1' (10. Jahrgang, Oktober 1954, 48 Seiten und 8 Kunstdrucktafeln, Verlag Herold, Preis 5 S) genannt werden. Diese im ganzen deutschen Sprachraum einzig dastehende Zeitschrift scheut nicht davor zurück, die heißesten Eisen- anzufassen, die es im europäischen Christentum und besonders auch im österreichischen Katholizismus heute gibt. Wer die letzten Jahrgänge durchblättert und da etwa Wetters Betrachtungen über Kirche und Bolschewismus gelesen hat, die Auseinandersetzungen über Askese, Leiblichkeit und Ordensleben heute, wird nicht überrascht sein, wenn in dieser Nummer die Aussprache über die Stellung und Arbeit des Laien in der Kirche einen Höhepunkt erreicht mit dem kühnen Vorstoß des Legationssekretärs Dr. Franz K a r a s e k, der in konstruktiver Kritik die ganze bisherige Laienarbeit seit 1945 in Frage stellt und neue Wege vorschlägt („Um eine Neuorientierung des katholischen Lebens"). Der französische Dominikaner Jean Thomas, beheimatet im Zentrum des gegenwärtigen Großkampfes in Paris um die Arbeitermission, legt anschließend den „Versuch einer Theologie der Arbeit" vor. Aus der Fülle der weiteren Beiträge sind zu nennen: „Lahme gehen zu Gott: die Hemmungslosen" (Michael Horatcuk), „Familienväter als geweihte Diakone" (Franz S. Krösbacher), eine hochinteressante Berichtigung der italienischen, offiziellen Biographie des heiliggesprochenen Papstes Pius X, die ein heute ungemein erhellende Schlaglicht auf die Beziehungen des Vatikans zu Alt-Oesterreich in einer kritischen Phase wirft („Pius X. und das alte Oesterreich", von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Maaß). Die achtseitige, Kunstdruckbeilage — Werke echter moderner christlicher Kunst — setzt würdig jene Publikationen fort, die bereits seit geraumer Zeit das Aufsehen der internationalen Welt erregt haben; außer den Cahiers de l’Art Sacre (Paris) gibt es keine christliche Zeitschrift, die mit solcher Umsicht und Entschiedenheit sich bemüht, Spreu vom Weizen zu sondern und der wahrhaft echten christlichen Gegenwartskunst den Raum zu erkämpfen, den ihr Kitsch, Ressentiment, Unverstand und Beschränktheit streitig machen, sehr zum Schaden vieler Gläubiger und mehr noch jener am Rande der Kirche Lebenden, die immer wieder vom Kitsch in den christlichen Kirchen abgestoßen werden. — Eine Sache für sich, die weiten Widerhall wecken wird und die nicht nur zur Diskussion, sondern zur Realisierung herausfordert, ist der Vorschlag DDr. Willy Lorenz' („Wiederkehr des Deutschen Ordens?"), der zur Christianisierung Deutschlands die Begründung eines Drittordens des Deutschen Ordens empfiehlt, als eine Elitezelle innerer Erneuerung in dem riesigen deutschen Leerraum; wer sich vielleicht wundert, warum dieser Vorschlag gerade von Wien aus heute vorgebracht wird, sei daran erinnert, daß der tschechische Bäckerlehrling, der am Vorabend des ersten Weltkriegs zum Patron von Wien erhoben wurde, der heilige Clemens Maria Hofbauer, lebenslang von der Sorge um den unbetreuten deutschen Menschen gequält wurde, weil er sehr richtig prophetisch bereits vor hundert Jahren eine Gefahr für Europa und die Welt in der Versehrung der deutschen Seele seit der Reformation sah, eine Verletzung, die bis auf den heutigen Tag keine Heilung gefunden hat. — Fürwahr, es liegt genug Aufregendes in dieser einen Nummer des „Großen Entschlusses", um mehr als einen Schläfer wachzurütteln und mehr als einem wachen Menschen im Ringen um eine tatkräftige Orientierung in der Wirrnis dieser Zeit Hilfe zu gewähren.

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