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Im Zauberspiegel der Poesie

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„Was wir träumen, wird Wirklichkeit, und Wirklichkeit verflüchtigt sich in einen Traum.” Diesen Satz aus dem neuen Roman der Martha Saalfeld könnte man als Motto über das ganze Buch stellen. Eine neue Romantik finden wir hier, die alle Elemente der romantischen Weitsicht und ihrer besonderen dichterischen Gestaltung aufnimmt und als die allein wesentlichen und gültigen verkündet. Es geht nicht um Abklatsch der handgreiflichen dringlichen Wirklichkeit, sondern um das Hintergründige des menschlichen Daseins, das deutlich wird in Träumen und Gesichten, mittels der Phantasie, der Vision, der Imagination. Hierbei kommt es teilweise zu einer Verflechtung von Traum und Wirklichkeit, die sogar die Erlebenden — und schon gar nicht der Leser! — nicht mehr klar zu trennen vermögen. Und auch zu einer Aufhebung von Zeit und Ort, wenn etwa die Toten lebendig in die Handlung hineinspielen. Vergangenheit und Gegenwart werden in einem Zusammenhang gesehen, der an Kafkas „immerwährenden Augenblick” erinnert. Noch mehr aber an Ernst Kreuder, mit dem Martha Saalfeld überhaupt viel Verwandtes hat. Alle hier erwähnten Merkmale finden sich auch bei ihm, dazu die gemeinsame Vorliebe für das Unbegreifbare, das Flüchtige, das Schwebende; das Suchen nach dem Wunderbaren, dem Unmöglichen, das im Reich des Traums Gestalt gewinnt. Der Alltag wird in Abenteuer verwandelt, bei Saalfeld wie bei Kreuder — Anna Morgana spricht häufig von ihrer Lust am Abenteuer — und beide lieben die Requisiten des Märchens: verwunschene Gärten, alte Mauern,

unheimlich unterirdische Keller, Hinterhalt, Fallen und Falltüren. Ueberraschungen, Geheimnis und Fügung. Dazu kommt bei Martha Saalfeld noch eine ganz ursprüngliche Heiterkeit, die ihrer zauberischen Welt eine ganz eigene, anmutige Note gibt.

Die Handlung des Buches ist schwer zu umreißen: Anna Morgner, die ihre Kollegen aus dem Stegreif sehr treffend Anna Morgana taufen, kommt als Praktikantin in eine Apotheke, die sich als Spuk- und Traumhaus enteist, bevölkert von wunderlichen Käuzen, die hinter ihrer sichtbaren Gestalt geheimnisvolle Rollen verbergen. In ihrem ersten Nachtdienst, gleich nach Antritt ihrer Stelle, sieht sich die „arme kleine Assistentin” in einer abgründigen Nacht den Mächten des Himmels und der Hölle gegenüber, erkennt in dem Apotheker Bock den Teufel und in Dr. Morn, dessen Patienten alle sterben, den Tod. Nero, Le Soleil, ein schwerer Junge und zugleich eine Art Sonnendämon, hinter dessen Gaunereien eine höhere Gerechtigkeit wirksam zu sein scheint, wird zum Retter eines Sterbenden, und die Toten, „an keinen Ort gebunden”, treten aus Traum und Erinnerung in die Wirklichkeit, Dinge werden lebendig — ein krauser Spuk teils unheimlicher, teils lieblicher Phantasiegebilde und doch auch viel mehr. Denn in dem Geschehen erweist sich die allgewaltige Macht der Liebe als das ausschlaggebende. „Sie lieben — das ist alles”, sagt Dr. Mom zu Anna Morgana; diese Liebe ist es. die sie Tod und Teufel gegenüber unverletzlich macht, die ihr auch den Glauben gibt, Herrn Bock „wieder in Ordnung zu bringen”. Das alles wird nur verhalten angedeutet, nicht etwa lehrhaft ausgeführt, blitzt auf in dem köstlichen Spiel der Bilder und Sinnbilder. Man fühlt sich an Novalis schönes Gedicht erinnert:

Martha Saalfelds poetische und doch plastische Sprache und ihr ausgewogener Stil entsprechen ihrem Vorwurf auf das glücklichste und machen ihr Buch zu einer reinen Dichtung, wie man nicht viele in der zeitgenössischen Literatur findet. Für den österreichischen Leser wird die junge Deutsche eine bedeutende Neuentdeckung sein.

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