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In den Bergen New Mexikos

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MARTINIANO UND DER HIRSCH. Von Frank Waters. Die Bücher der Neungehn, Band 62. Roman. Christian-Wegner-V erlag, Hamburg. 318 Seiten. Preis 8.80 DM.

Frank Waters erzählt in diesem faszinierenden Buch die Geschichte eines jungen Indianers, Martiniano, und führt uns mit ihr mitten hinein in die hintergründige, rätselhafte Lebens- und Denkweise eines alten Volkes. Eines Volkes, das sich eins wußte „mit allem, was atmet und nicht atmet, mit allem, das gelebt hat und leben wird, auf der weiten Brust der Erde...“ Eines Volkes, dessen Kinder geborgen waren in der festgeprägten Lebensform ihres Stammes, in dessen uralten Traditionen und Kulten.

Das eben verdeutlicht die Geschichte des jungen Martiniano, der in einem indianischen Pueblo in den Bergen New Mexikos lebt. In einer Dorfgemeinschaft, in der der Rat der Alten noch streng über die Einhaltung der ehrwürdigen alten Sitten wacht und jede Übertretung ahndet. Martiniano aber, der als Kind zwangsweise von den Amerikanern in eine Regierungsschule geschickt wurde, kann sich nach seiner Heimkehr nicht mehr in diese strengen Regeln fügen, deren Sinn ihm fragwürdig geworden ist und die sich nicht in Einklang bringen lassen mit dem, was er bei den Weißen gelernt hat. Das, was er von ihnen mitbekommen hat, erweist sich in der alten Umgebung als sinnlos. Und so wird Martiniano zum Unruhestifter, der gegen die Gesetze verstößt, gegen die seines Stammes und auch gegen die der Regierung. Sein Irrweg beginnt mit der unerlaubten Tötung eines Hirsches, eine Tat, die Wellen schlägt und viele andere Geschehnisse nach sich zieht, nicht nur in Martinianos eigenem Leben, sondern auch in dem seines Stammes. Der junge Indianer wird gestraft für seine Willkür, aber die Strafe bricht nicht seinen Trotz und seine Auflehnung. Dazu bedarf es seltsamer, der kalten Vernunft nicht zugänglicher Wege. Es ist der Hirsch, der Martiniano in seinen Tag- und Nachtträumen vcrfoigt, der sein Tun und Denken beeinflußt, der in seine falsche Sicherheit! einblicht und seinen ungeheuren Stolz zunichte macht, der ihn den Unterschied zwischen Willkür und verantwortlicher Freiheit erkennen und ihn erfahren läßt, daß Rucht und Auflehnung nur Auswege sind, daß man dem Leben und seinem Schicksal sich stellen muß. Es ist die Auseinandersetzung mit diesem Hirsch — der im1 Verlauf der Handlung zum Sinnbild der Wahrheit wird — der in Martiniano schließlich die Sehnsucht nach einem neuen tragfähigen Glauben auslöst und ihn in den Schoß seines Volkes zurückführt.

Waters, der selbst zum Teil indianischer Herkunft ist, schildert diese uns fremde, ferne Welt mit der Sicherheit eines Menschen, in dem die alten Quellen noch lebendig fließen. Den Natursymbolismus, der von der Alleinheit des Lebens ausgeht, die magischen Bezüge, die ganz ursprüngliche Weisheit, die Poesie des indianischen Weltbildes, die strenge Reinheit der Lebensformen und die heile Bewußtheit dieses alten Volkes erschließt er uns gültig und überzeugend. Ein um so kostbareres Geschenk, als dies alles — Waters weiß das genau — längst dem Untergang geweiht ist. In seiner Geschichte erringen wohl die Indianer des Pueblos einen wunderbaren Sieg: Auf Beschluß des Kongresses der Vereinigten Staaten erhalten sie ihre alte Kultstätte, den heiligen Morgendämmerungssee, als Eigentum zurück, und damit den wirklichen und geistigen Raum für die reine Erhaltung ihrer alten Riten. Aber, das bedeutet nur Aufschub, der

weiße Kaufmann Byers in dem indianischen Reservat erkennt es klar:

„Bis an sein Ende würde es für ihn genau wie bisher das ferne Pochen der Trommeln geben, das Flackern von Feuerschein auf tanzenden Geistern, die ruhigen Gesichter, dunkel und unergründlich, die seit seiner Kindheit um ihn gewesen waren, und das unfaßbare Geheimnis ihres einfachen Lebens — das Leben, dem auch er zugehörte ...

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