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Lärm in Lissaton

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Lissabon ist eine Stadt, von der ich bis da nur zweierlei wußte: erstens, daß sie Hauptstadt von Portugal ist und dann, daß um die Mitte des 18. Jahrhundert sich hier ein grauenhaftes Erdbeben ereignete, im Anschluß an welches Erdbeben Voltaire seine bissigen Bemerkungen über den Optimismus und die beste aller Welten machte. Bei unserem Aufenthalt lernten wir nun einiges dazu.

Zunächst: es ist eine prächtige Stadt mit einer großen Zahl interessanter Denkmale, mit vorzüglichen Geschäften und einem regen Handel. Die Stadt liegt auf Hügeln an der breiten Mündung des Tejo-flusses. Der Hafen ist tief genug, um großen Schiffen die Einfahrt zu gestatten. Da die Stadt das Meer und einen großen Fluß in der Nähe hat, verkauft und ißt man hier unheimlich viel Fische. Wir spazierten öfter in der Gegend des Fischhafens. Da warteten immer Hunderte von Männern und Frauen mit Körben auf die einlaufenden Fischerboote. Sie trugen die Fische in die Stadt und die Markthalle. Wenn die Frauen mit den flachen Körben auf dem Kopf, wenn sie mit stolz erhobenem Haupt, mit elastischen, gleichmäßigen Schritten, den Leib leicht vorgebeugt, sich davonbewegen, so ist es allemal ein prächtiger Anblick. Manche transportieren so in einem Korbgeflecht über dem kleinen Stützring Feigen, die sie auf breiten, grünen Blättern gebettet haben.

Wenn Ich nun von einem ganz elementaren Ding in Lissabon sprechen soll und nicht von der ungeheuerlichen, noch nicht erlebten Hitze, von der Feuerluft, so muß ich vom Lärm reden.

Die Henker dieser Erde haben sich verschiedene Quälereien für den Umgang mit ihren Mitmenschen ausgedacht. Ihre Poeten, der Liebe überdrüssig, haben von Feuer- und Eishöllen gewußt. Andere haben mit spezialistischem Raffinement verschiedene Methoden des Folterns, Streckens, des Köpfens beschrieben. Sonderbar, daß den Henkern und ihren Poeten der Gehörsinn entgangen ist.

Die Stadt Lissabon ist kein Henker. Ist auch nicht der Poet eines Henkers. Aber sie ist eine südliche Stadt und mit der Naivität und Gefühlsstärke, auch Ungeniertheit eines subtropischen Geschöpfes ausgestattet. Sie bedient sich, um sich uns vorzustellen und uns zu quälen, weniger der bekannten und schon banal gewordenen Naturgeräusche. So hörte ich zum Beispiel in Lissabon nicht das Donnern des Himmels, das Plätschern des Regens, wovon bei uns Komponisten und Lyriker soviel Wesens machen. Es sangen auch keine Vögel. Die vielen stummen Fische, die man in den Straßen herumtrug, bewiesen etwas anderes. Die Fische zeigte man offenbar, um anzudeuten, daß man auch das Schweigen kannte, wenigstens in dieser Gestalt, daß man es anerkannte und ehrte, um es gebraten zu sich zu nehmen.

Lissabon ist, industriell gesprochen, ein moderner Großbetrieb zur Erzeugung von Lärm. Es besitzt zunächst die Elektrischen. Sie fahren in großer Dichte hintereinander, mit oder ohne Passagiere. Sie rumpeln in den Schienen, sie rasseln über das Geleise, sie vermögen die Scheiben zum Klirren zu bringen. Der Fahrer hat mindestens eine Klingel, wahrscheinlich stehen ihm zwei zur Verfügung. Es gelingt dem portugiesischen Fahrer, daß sie tönen wie drei, wenn er anschlägt — und er schlägt ununterbrochen an, es ist reine Freude. Es ist ein Klingelfahrer.

Sein Wagen hat vorn eine mächtige schaufeiförmige Schutzvorrichtung. Wenn der Wagen damit um die Ecke biegt, hat man den Eindruck: er will Passanten mähen. Die Wagen in Lissabon fahren gern um Ecken, ja vorzugsweise um Ecken, und Lissabon ist darum mit vielen Ecken ausgestattet, weil das Fahren um Ecken eine unglaubliche Vielheit von Geräuschen ermöglicht.

Oben ist die Lissaboner Elektrische mit einer Leitstange versehen, welche ihr wahrscheinlich den Strom vermittelt. Augenscheinlich, besser: ohrenhörlich leistet sie etwas anderes: die Leitstange rollt, sie springt, sie knattert, sie kracht. Der Strom beteiligt sich mit Funken und Explosionen. Die , Lissaboner sind daran gewöhnt, sie fürcnten sich nicht.

Während der Fahrt hüpfen Straßenjungen auf die Wagen, nacktfüßig, in zerrissenen Jacken und Hosen, Zeitungsverkäufer. Auf einem Hügel kann man das originelle Denkmal eines solchen Jungen sehen. Sie verdienen ein Denkmal — vielleicht könnte man ihnen eines Tages auch Jacken und Hosen kaufen. Wenn die Jungen auf die Wagen springen, schreien sie. Das ist erstens ihre Natur von klein auf, zweitens jetzt noch Ihr Beruf. Denn sie schreien ihre Zeitung aus. Einmal sah ich einen, der mit einer Zigarette in der Hand einem Wagen nachlief, er hatte im Wagen einen Mann entdeckt, der rauchte. Mit einem Satz war der Junge oben, hing außen an dem Wagen, der Herr gab ihm Feuer, der Junge dankte, schrie, sprang ab und schrie weiter. Das Rauchen bekam ihm. Die Autos fahren in großer Zahl durch die Straßen, und keines ohne individuelle Musik. Die Marken der Wagen kennt man, aber im Lissaboner Stadtbereich offenbaren sie anderswo unbekannte Charaktere. Unbeschreiblich umständlich fahren sie schon. Das Abfahren, also die Idee, der bloße Plan, die Absicht einer Bewegung, versetzt die Autos, die anscheinend rasch einschlafen, in einen gefährlichen Reizzustand, so daß sie anfangen, schlangenartig zu zischen. So äußert sich ihr Plan, abzufahren. Dann schnurren und brummen sie. Ich wich jedem Lissaboner Auto aus, denn ich verstand diese Sprache nicht, und wer kann wissen, was in ihnen steckt. Ich lernte ihre Sprache nicht. Es scheint mehrere Autosprachen zu geben. Einige Wagen beginnen, wenn man sie beim Fahren sich selbst überläßt, behaglich zu schnarchen. Einige fangen unvermutet an zu trompeten. Einige schniefen wie verschnupfte Rhinozerosse. In der Nacht hörte man öfter welche in der Ferne, da zankten sie sich. Es mußte ein Ehepaar sein. Sie suchten einander zu überschreien.

Sie haben auch Pferde in Lissabon. Viele Herrscher und Generäle haben sie in der Stadt auf Pferde gesetzt. Jedoch ist es bis heute nicht einmal den Lissabonern geglückt, ihre Bronzepferde zum

Wiehern zu bringen. Das Bronzepferd bezeichnet offenbar die Grenze der portugiesischen Erfindungsgabe. Pferde können in bezug auf Mannigfaltigkeit der von ihnen hervorgebrachten Geräusche gewiß nicht mit Autos konkurrieren; ein Pferd kann eigentlich nur wiehern und mit den Hufen klappern. Immerhin — treten lebende Pferde in großer Zahl auf, so läßt sich schon allerhand mit ihnen erreichen. Daher lassen die Lissaboner eine ganze Anzahl Straßen von Pferdewagen befahren, angeblich, um Gemüse und Heu zu befördern. Jedoch ist keines dieser Lissaboner Pferde ein normales Pferd; jedes ist ein kluger Hans, ein rechnendes Pferd. In Lissabon gibt es davon, soviel es Pferde gibt. Schritt für Schritt bewegt sich hier das einfache Straßenpferd vorwärts, den Wagen, der sein Auftreten legitimiert, hinter sich, und zählt sorgfältig die Steine der Straßen. Gesenkten Hauptes und langsam zieht es seines Weges. Es hebt ein Bein und knallt dem gezählten Stein das Hufeisen auf den Rücken. Kein Pferd verheimlicht seine Gelehrsamkeit. Es knallt von morgens bis abends, sie sind es so gewohnt, eine fröhliche Wissenschaft.

Und die Menschen? Nun, die Lissaboner beteiligen sich freudig am Werk ihrer Stadtverwaltung. Sie tun, was sie können, und es ist nicht wenig. Wenn die Autos sausen, wenn die Elektrischen heulen und ihr Rumpeln gelegentlich einen großartigen Charakter annimmt, daß der Fahrer sich veranlaßt sieht, den Vorgang mit hallendem Glockenschlagen zu begleiten — so nehmen die Lissaboner ihre Zuflucht zum Gesang, zum Ruf, zu Musikinstrumenten. Fröhliche Musikanten, Sänger und Sängerinnen trafen wir Tag um Tag in der Stadt. Eine ganze Woche lang scholl jubelnde Tanzmusik zu uns aus der Markthalle herauf. Wer die Zeitungsausrufer hier nicht um sieben Uhr morgens gehört hat, weiß nicht, wessen die menschliche Stimme fähig ist...

Die Sprache des Landes ist romanisch, klingt aber mit ihren vielen Zischlauten und den vielen rollenden R slawisch, bäuerlich hart. Ob man sie flüstern kann? Ich hörte in Portugal nie flüstern.

(Aus; Alfred Döblin „Schicksalsreise — Bericht und Bekenntnis“, Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main.)

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