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Leichte Muse, ernst genommen

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Wie sehr die leichte Muse ernst genommen werden müßte, beweist immer wieder die Kritik derer, die sich für das Kulturniveau, für das Ethos und die Moral im öffentlichen Leben verantwortlich fühlen. In einem Zeitalter, da durch Rundfunk und Fernsehen bereits die Intimbezirke der menschlichen Familie wie des Einzelmenschen beeinflußt werden können, des Menschen, der durch die harte von ihm geforderte Tagesarbeit immer weniger Zeit zur echten Muße hat und darum ein um so größeres, verbrieftes Anrecht auf echte Entspannung besitzt, wird die „Unterhaltung“ zu einem brennenden Anliegen für diejenigen, die für sie verantwortlich sind.

Es war daher zu begrüßen, daß sich die diesjährige Jahrestagung der katholischen Rundfunkarbeit in Frankfurt am Main einmal dieses ernsten Themas der leichten Muse in einem fruchtbaren Wechselgespräch zwischen Theoretikern und Praktikern, Rundfunkintendanten und Programmleitern fast aller deutschen Sender, Theologen und Autoren, Hörern und Vertretern des Kirchen- und Jugendfunks annahm.

Für den theoretischen Unterbau sorgten der Bonner Moraltheologe Univ.-Prof. Doktor Werner Schöllgen, der bekannte deutsche Funkautor der leichten Muse, Franz Ulrich Gaß aus Stuttgart, der Frankfurter Publizist Walter Dirks und der Mainzer Univ.-Prof. Dr. Karl Holzamer in Referaten über das Thema „Unterhaltung in Rundfunk und Fernsehen“.

Für den Menschen, der bloß körperlich müde ist, mag die nur animalische oder körperliche Befriedigung durch eine g e- formte, wohldosierte Entspannung in Sport und Spiel, in Spaß, Scherz und Witz die erstrebte Seelenruhe wiederherstellen. Die Wahre Befriedigung aber, das „Gaudium“ im Sinne Thomas’ wird der Mensch erst als „Homo ludens“ (Huizinga), als Mensch, der den hohen Spieltrieb in der Kunst verwirklicht, finden. Mit Recht sagte daher Walter Dirks: „Entspannung im Spiel ist die nobelste Form der Unterhaltung.“ Das merkwürdige „Ernst-Spiel“ des Menschen ist die hohe Kunst. Und alle Kunstwerke, auch jene, bei denen die leichte Muse Pate stand, entstehen aus der Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst und der Welt. Wer die Kunst nur genießen will, versteht sie falsch. Sie läßt sich aber trotzdem auch „genießen“. Dürfen wir nun spielen? Dürfen wir uns unterhalten? Wir dürfen es! Doch sollen wir darüber nicht vergessen, daß diese Spielfreiheit ein Geschenk ist. Wir dürfen uns unterhalten, und Gott hat uns das Recht dazu gegeben. Die Christen, sofern sie wach sind, stehen in ihrer moraltheologischen Be- oder Verurteilung oft in der Versuchung des Uebereifers. Die Helden und die Heiligen sind nur Grenzmöglichkeiten des Menschen. Wenn wir wirklich über den Heiligen Geist verfügen könnten, dann brauchte es keine Leerstelle in unserem Leben zu geben, die wir durch Unterhaltung ausfüllen müssen.

Aus diesen theoretischen Ueberlegungen, die den Praktiker G a ß zu der berechtigten Forderung, daß der gute Unterhaltungsautor in seine Gestaltungen auch immer das ernste Anliegen der Zeit mit einbeziehen müsse, geführt haben, erwuchs nun eine aufschlußreiche Diskussion, die am Paradigma des „Schlagers“ die Möglichkeiten einer echten und guten Unterhaltung zu klären versuchte und nach Mitteln forschte, das Schädliche und Zerstörende, das durch Rundfunk und Fernsehen die Substanz des Menschen noch mehr zertrümmern könnte, abzuwehren. Die Unterhaltungsindustrie (Schall- platten- und Filmindustrie), die einer der Hauptpartner des Rundfunks geworden ist, trägt ein gerüttelt Maß an Mitschuld an der Zerstörung des guten Geschmacks und der abendländischen Gesittung, wofür man oft zu Unrecht nur die Rundfunk- und Fernsehintendanten und die Leiter des Unterhaltungsprogramms verantwortlich machen will. Es ist ein brennendes Anliegen, gerade der verantwortlichen Programmgestalter, daß der Hörer durch Theologen und Lehrer, durch Schule und Haus dazu erzogen werde, richtig und auswählend zu hören, nach seinem „gestaltenden“ Gewissen zu hören.

Sosehr auch die Hörerforschung noch in den Anfängen liegen mag, so kann sie uns doch schon bestimmte Hinweise für Geschmacksstrukturen und Reaktionen des

Publikums, für soziologische Bedingtheiten, erzieherische Möglichkeiten geben. Um diese Hinweise aber richtig auswerten zu können, ist es nötig, daß auch der Theologe, dessen Anliegen ja das Seelenheil des Menschen ist, entsprechend geschult wird, daß er sich alle jene Erkenntnisse der modernen Anthropologie und Soziologie, der Tiefenpsychologie und Verhaltensforschung aneigne, um mit ihnen das Gewissen bilden und neu aufbauen zu können. Erst wenn es ihm gelungen ist, das „erschlagene Gewissen“ (Muckermann) des modernen Massenmenschen wieder zum Leben zu erwecken, den unseligen Riß zwischen Mentalsphäre und Animalsphäre zu heilen, dann kann es gelingen, auch den einfachsten Menschen durch die wohlverdienten Formen der Entspannung und Unterhaltung zur wahren Menschlichkeit zurückzuführen.

Man kann den verantwortungsbewußten Intendanten und Programmgestaltern zunächst nur dadurch helfen, daß man ihre guten Sendungen lobt und ihre schlechten nach Möglichkeit totschweigt. Aller technische Fortschritt der Reproduktion durch Tonband und Bildschirm wird erst dann zum Segen gereichen, wenn wir nach dem schönen Worte Novalis’ zunächst wieder drei Schritte nach innen tun, bevor wir nur einen Schritt vorwärts in der technischen Vollendung tun. Dieses schöne Wort sprach der hessische Kultusminister Henning am Beginn dieser Tagung. Und Bischof Kempf beschwor das mittelalterliche Wort des „Tu adesto“ auch für die Welt des Rundfunks und Fernsehens: „Du, Herr, sollst dabei sein! Du, Geist des Abendlandes, sollst dabei sein!“ Und er erinnerte die Versammlung der Rundfunkintendanten und Rundfunkhörer an das schöne Schiller-Wort, das sich auch in der „Unterhaltung“ bewahrheiten soll: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben!“ Auch in Spiel und Scherz soll der Mensch seine Würde nicht vergessen und die Erkenntnis, die ihn schon Pascal hätte lehren können: daß der Mensch den Menschen unendlich übersteigt. Denn Gott, der ihm das Recht zum „Spielen“ gegeben hat, „hat ihn ja nur ein weniges unter seine Engel gestellt“, daß er vor seinem göttlichen Antlitz spiele.

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