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Leid im Nadelstreif

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Daß der bevorstehende Tod einen prominenten Österreicher zur Feder greifen und seinen Zeitgenossen ein anklagendes, aufrüttelndes und enthüllendes Vermächtnis hinterlassen läßt, das geschah zu vorletzt bei Jörg Mauthe. Er starb an einer schweren Krankheit und ertrug sie wissend und tapfer und ohne Selbstmord. Der letzte und aktuelle Fall des Todes-Vermächtnisses des Kontrollbank-Vorstandsvorsitzenden Gerhard Praschak ist nur in der Art der schriftlichen und bewußt öffentlichen Demonstration damit vergleichbar. Praschak war gesund und begütert - soweit das bisher bekannt ist - und begrub seinen Lebenswillen freiwillig unter der Last seiner Existenzängste.

Die österreichische Neidgenossen-schaft ist aufgestört wie noch nie. Denn eine der Grundregeln der materialistischen Gesellschaft gerät ins Wanken. Diese besagt, daß mit Geld alles zu kaufen ist - und daß „die da oben" gegen das Schicksal in jeder Hinsicht gepolstert sind.

Es ist nicht so. Das vieldiskutierte politische Sittenbild spezifisch österreichischer Prägung mag die Parteien und ihre Mitglieder, Mitläufer und Wähler besonders nachdenklich machen. Das menschliche Antlitz des Mannes, der da nächtlicherweile in seinem Büro die Kugel gegen sich selbst richtet, stellt indes in einem Lande mit ohnehin hoher Selbstmof-drate die harte, bisher verdrängte Frage: Ist ein hohes Manager-Einkommen etwa die Prämie für Todesgefahr? Wie sieht es denn wirklich „da oben" aus, wo die Luft angeblich so „dünn" ist?

Es ist schwierig für den sogenannten „kleinen Mann", sich davon ein realistisches Bild zu machen. Was er kennt, das ist der vom Chauffeur dienstbereit geöffnete Wagenschlag, die heftig telefonierende Sekretärin, den schweren Teppich im Allerhei-ligsten, die ehrfurchtgebietende Sitzordnung und schließlich Ihn selbst, nadelstreifkorrekt, knapp formulierend, machtverströmend. Mögen auch die Statussymbole da und dort lockerer sein, im Grunde decken sie sich mit den Fernseh-Klischees von „Dallas" und Nachfolgeproduktion.

Wer da hinauf will, der besorgt sich die reichlich angebotene Manager-Literatur und besucht einschlägige Seminare. Daß er sich in Österreich zumindest bis dato nebenbei politisch profilieren sollte, ist eine kaum zu widerlegende Legende.

Die Meinungsforscher, die selbstverständlich auch die Leistungsprofile der Manager durchleuchtet haben,

stellen im unterschiedlichen Umfang aber einheitlichem Trend fest, daß führende Manager mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit der Absicherung ihrer Position widmen.

Was heißt und bedeutet das? Jede erfolgbringende Tätigkeit sichert doch die Position. Aber offensichtlich verbirgt sich unter der vorsichtigen Formulierung die Abwehr von Intrigen und Konkurrenten, die Image-und Statuspflege, der Aufbau und die Kontaktierung der Freundschaftsund Protektionsketten. Eine stets einsturzgefährdete Mauer bewußter und unbewußter Ängste wird errichtet und gestützt. Die oft registrierte Kälte und Kürze wird als Vorsichtsmaßnahme verinnerlicht. Angstmachen als Angstabwehr. Und all das kostet Nerven und Kreativität, die zur Menschenführung und Innovation notwendiger wären. Es schwindet das menschliche Vertrauen und wird durch immer neuere Kontrollinstanzen ersetzt.

Der mißtrauische Manager vereinsamt. In der Not besucht er

vielleicht einmal ei-! nen Jugendfreund in der Provinz, oder er hält sich einen professionellen Coach, diese Spezies moderner Beichtväter. Was ein guter Mentor, eine verständnisvolle Ehegattin, ein wahrer Herzensfreund wert wären, das dürfte klar sein. Aber an die Stelle des Familienlebens und Freundeskreises ist meistens das absichernde Gesellschaftsleben getreten.

Um die eigentlichen Aufgaben der Betriebsführung zu bewältigen, wird der Spitzenmanager zum Workaholic. Um fünf Uhr früh stürzt er ins Büro, um zehn Uhr abends löscht er das Bürolicht. Nahrung wird zum Arbeitsessen. Wie lange hält ein Mensch das aus?

Der Tod Praschaks ist immerhin eine Antwort, hinter der sich tausendfaches Arbeitsleid im Nadelstreif verbirgt.

Die hohen Gagen dämpfen da Mitleid und fördern den Konkurrenzneid, der die Position so verunsichert. Kein Mensch kann diese Millionen vernünftig verbrauchen. Wäre es nicht klüger, die Spitzengagen zu halbieren, die Sesselsäger damit zu bremsen und mit der Einsparung den Managern Hilfen anzubieten, die die Menschenwürde und Gesundheit retten?

Bei aller Kritik an den Statussymbolen: die schwer vergleichbare Kirche hält sich mit violetter Knopfleiste und Silberstab sehr mäßig bezahlte Manager unterschiedlicher Qualität. Manche sind auch Workaholics. Aber verunsichert bis zum Selbstmord war noch keiner.

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