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Das Alterswerk eines Weisen

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Der elsässische Kanonikus, der unter anderem durch die Herausgabe einiger sehr mutiger Bücher von und über Leon Bloy, Ernest Hello, Simone Weil und Peter Wust das christliche Gewissen aufgerüttelt hat und der auch bei uns durch seine Zeitdiagnosen in der Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ bekannt geworden ist, behandelt im vorliegenden Werk jene Zeiterscheinüngen, die alle bewußt lebenden Christen mit großer Sorge erfüllen. Der Verfasser kennt zwar einige Autoren, die Anzeichen einer geistigen Neuorientierung entdeckt zu haben glauben, und obwohl er diese Ansichten nicht als vollkommen unbegründet abweisen will, so fällt doch seine Zeitdiagnose recht negativ aus. Mit uns sucht er nach einer Lösung, und er findet sie im christlichen Mysterium, nicht aber in dem Sinn, als wäre es der einzige Ausweg, den man nur aus Verzweiflung einschlägt, sondern weil das Mysterium eine Wirklichkeit in unserer widerspruchsvollen Zeit ist, ebenso wirklich wie Angst und Tod, und weil es gerade als solches eine sinnvolle Erklärung für unser zerrissenes Denken und Fühlen enthält. Selten wird uns ein Buch geschenkt, das so allseitig informiert ist und doch so lebendig bleibt. Für die heutigen Christen erläutert es die Bedeutung und die ewig wirksame Wirklichkeit der Mysterienfeier, wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten, aber es schreckt auch nicht vor der Problematik gewisser Begleiterscheinungen des Herz-Jesu-Kultes zurück, und mit Bedachtsamkeit sucht es einigen Zusammenhängen zwischen Erotik und Mystik auf die Spur zu kommen, um dann das Wesentliche vom Zeitbedingten abzusondern. Der Verfasser nennt sich einen alten Mann, aber sein Geist und auch sein Darstellungsstil sind jung, lebendig und frisch. Er setzt sich vor allem mit den großen geistigen Strömungen, wie Materialismus, Kommunismus und Existentialismus, auseinander und analysiert besonders das heutige negative Lebensgefühl — die Angst und das nihilistische Todesbewußtsein — in einer so ergreifenden und zwingenden Weise, daß er nicht nur die christlichen Leser jeder Konfession aus der „dicken schläfrigen Stubenluft in die scharfe Luft des lebendigen Gottes“ herausscheucht, sondern auch Außenstehende zum Nachdenken zwingen wird. Während wir die Kunst des Verfassers bewundern, mit der er die heutige Situation an Hand von bedeutenden Schriftstellern und Romanciers — z. B. Thomas Mann, Julien Green, Holthusen, Thielike, Weinstock, Manuel Rojas — stellt, ist es doch vor allem seine wundervoll ansteckende Ueberzeugung, die uns mitreißt. Einmal schreibt er: „Das richtige Buch ist jenes, das den Leser ans richtige Geheimnis nahebringt — jenes Geheimnis, das einen anfällt, wenn die Vernunft die menschliche Gesamtwirklichkeit in ihren Lichtkegel bringt.“ Gerade ein solches Buch hat Karl Pfleger uns geschenkt, und viele werden ihm dafür dankbar Sein.

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