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Intellekt kontra Stoff

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KRÄHENFANG. Von Jürgen Bartsch. Verlar R. Piper, München. IAO Selten. Preis 14.80 DM.

Ein modernistischer Roman, ein sehr deutscher Roman, ein Roman, der ein bißchen darauf spekuliert, durch eine gewisse hochtrabende Manieriertheit der Form, durch bisweilen ans Unverständliche grenzende Kompliziertheit das Prädikat „wertvoll“ einzuheimsen. Weitverbreitet ist heute die Auffassung — sie erstreckt sich auf ziemlich alle Gebiete der Kunst —, das, was man nicht oder nur schwer versteht, sei erst die wahre Kunst, die sich den begrenzten Geistesgefllden der meisten Menschen weitgehend entzieht. Dabei muß man zwischen anspruchsvollem Stil als echtem Kunstmittel (eine dem Format des Künstlers adäquate Ausdrucksweise) und aufgesetzter Geschraubtheit des Schreibens (in krasser Diskrepanz zur Persönlichkeit des Autors) sehr genau unterscheiden. Das ist keinesfalls leicht. Was einem Lawrence Durrell gemäß ist, kann ein Jürgen Bartsch bestenfalls ahnen: Das Austauschen der Erlebnisebenen, das Ineinanderschieben von Realität und Gedachtem, das Pendeln zwischen Erfahrung, Möglichkeit und Traum, zwischen dem Jetzt und dem Gestern, kurz die perfekte Kunst, den Menschen als Ganzes in seiner unendlichen Vielschichtigkeit dem banalen „Image“ eines Produktes chronologischer Gedanken- und Handlungsfolgen zu entziehen. Das

kann, wie gesagt, ein faszinierendes Erlebnis sein oder aber völlig danebengehen.

Im vorliegenden Fall wäre ein Verzicht auf eine scheinbar anspruchsvolle äußere Form der inneren Dramatik des Stoffes gerechter geworden. In der Geschichte von Jens wohnt elementare Kraft. Er ist auf dem Weg zur Frau seines Zellengenossen Alfred; Stimmungen, Ängste und Ahnungen durchkreuzen die Wirklichkeit seines Abenteuers. Er kommt zur Frau, Male, Sinnbild der Urkraft erdhaften Lebens, der Beständigkeit und Zuflucht. Bevor ihn ein magischer Zwang neuerlich zu ihr zieht und für immer an sie kettet, ist ihr Mann Alfred auf gespenstische Weise umgekommen. Hat sie ihn umgebracht oder tatenlos zugesehen, wie er verunglückte? Hier ist Kraft des Mystischen, Spannung im Aufeinanderstoßen von Mensch und Mensch, von Mensch und Natur, von Mensch und Umständen. Dieser Stoff trägt seine Aussage, seine Wirkung, seinen Gehalt in sich, das Aufpfropfen unzulänglicher Stilmittel drückt und verfremdet. Ein über-ambitionierter Autor läuft hier wieder einmal seinem Stoff auf und davon, steht nicht im Einklang mit seinem Anliegen. So werden nur ganz selten jene Dimensionen sichtbar, an denen das Buch vorbeigegangen ist.

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