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Auferstehung der Seele

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Das Wie und das Was einer literarischen Kundgebung, Form also und Genalt stehen notwendig zueinander in spannungsvollem Widerstreit. Wir kennet Lyrik, Prosa, Bühnenliteratur, solche vor tnanieristischem Geblüt zumal, die irr Artifiziellen Vollkommenheit erreicht, siel jedoch im Spielerischen erschöpfend (da: ils Revolte gegen die Tyrannis unlebendig gewordener Lehrmeinungen gemünzi sein kann) zu keiner nennenswerten Aus sage gelangt. Demgegenüber stehen Werke durch und durch Anliegen und Aussage deren Schöpfer ihre Kraft durch die Bändigung des Gehalts steigern und verzehren, ohne der Form übermäßige Bedeutung zuzumessen. Luise Rinsers neuer Romar gehört, wie der Großteil ihrer Pros« überhaupt, zur zweiten Kategorie.

Sie zeichnet, von der Warte eines Mannes gesehen, der Zeit zur Besinnung hat, rund zwei Jahrzehnte des Schicksals einer Familie in der Gegenwart auf, damil den Hintergrund gebend für die Geschieht« einer wahrhaft höllischen Ejie. Wir erleben, und das ist großartig gesehen unc beklemmend evoziert, die dämonisch« Seelenlandschaft eines in sich versunkenen Egozentrikers, des Gatten, der seine Um-

welt terrorisiert und in allen, die ihm näher begegnen, Böses erweckt. Ihm gegenüber befindet sich, fassungslos zunächst, staunend, verwirrt und zutiefst verwundet, die Frau, die Gattin, die ein halbes Leben lang an seiner Seite ausharrt.

Soweit ist das Problem weder neu noch, sei es durch die Auswahl der agierenden Personen und ihrer Charaktere oder durch besondere gesellschaftliche oder Zeitumstände, aufschlußreich. Hunderte, ja tausende Romane gibt es, in denen das Unheil, die Qual mißglückter Ehen geschildert wird und der Genuß, den das Zufügen von Leid bereiten kann. Also wäre man versucht, das Buch zum Stapel der übrigen zu legen, die man ohne weiteres missen kann, wenn.. . wenn nicht schon in den ersten Sätzen ein Geheimnis aufleuchtete, dem nachzuforschen man alsbald beginnt, und das einen von Seite zu Seite mit höherer Spannung erfüllt.

Um welches Geheimnis geht es? Man ahnt, man spürt es, man läuft in die Irre mit mancherlei Vermutungen, man kombiniert und analysiert, ohne ihm (dem Geheimnis) oder ihr (der Autorin) zunächst auf die Schliche zu kommen. Man findet Menschen, die gleichsam hinter Glas-

scheiben leben wie „hinter verschlossenen Türen“, wobei einem Sartre einfällt, man gräbt und denkt tiefer und findet sie an der „Absurdität des Daseins“ leiden, wobei man an Sätze aus Joseph Conrads Spätwerk denkt und an Albert Camus' heroische Revolte. Doch schon der nächste Schritt, der nächste Satz des Romans deuten anderswohin, die Kompaßnadel schlägt fortwährend in anderer Richtung aus. Zugleich steigt im Leser die Begierde, die Rätsel zu lösen, sosehr, daß er kaum dazukommt, sich über lange erklärende Gespräche der Gestalten zu mokieren, die er lieber als Handlung oder innere Vorgänge erlebt hätte, oder über bloßliegende Teile des Gerüsts der Romankonstruktion, die nicht vom Glutatem einer Dichtung eingeschmolzen sind, oder auch über die mangelhafte Motivierung von Geschehnissen und Randcharakteren.

So bietet sich das Buch voll äußerster Sprödigkeit dar, ein über weite Passagen hin unkünstlerisches Werk, da und dort mit Sätzen voller Routine wie mit hastigen groben Stichen zusammengehalten, dann und wann gar mit etwas Ungeschick weitergeführt. In die Gestalt des Mannes, der als Erzähler fungiert, findet man Züge unverkennbar weiblicher Schau impliziert, während die weiblichen Hauptgestalten manchen maskulinen Ausdruck mittragen müssen. Doch kaum wollen sich derlei Einwände zu Empörung und Aufruhr steigern, setzt ein, was einem den Atem verschlägt: eine christliche Aussage von derart elementarer Wucht, wie sie im deutschen Sprachraum seit langem nicht mehr erlebt wurde.

Plötzlich, in retrospektiver Sicht, rückt all die Sprödigkeit des Buches an ihren richtigen Platz, als unbedeutend, oder besser, geradezu (in diesem besonderen Fall) als Voraussetzung zur Steigerung der Aussage, als Glut- und Aschenteile am Rand eines hellodernden Feuerstoßes. Alles, was mit oft unerhörter Gescheitheit von den handelnden Figuren gedacht und getan wurde, alles, was als Bollwerk und Wall aufgebaut wurde gegen das Einströmen göttlicher Gnade, erweist sich zuletzt als Ohnmacht, als brüchig gegenüber dem Sturm der Liebe, den die verborgen und zutiefst gläubige Heldin entfesselt. Man hat den Eindruck, als hätte Luise

Rinser, die in Rom lebt, seit Jahrzehnten (nicht zuletzt durch ihre bekannte Auseinandersetzung mit Therese von Konnersreuth) ihre Waffen geschärft, um diesen Roman „Die vollkommene Freude“ zustande zu bringen.

Die vollkommene Freude ist hier zugleich die vollkommene Hingabe an den Liebesbefehl des Herrn, in aller Schlichtheit zuletzt, in biblischer Einfachheit und Redlichkeit. Dies ist die gewaltige Leistung der Autorin: In der Schilderung einer schaurigen Ehe gleichsam die Pforten der Hölle durchschritten zu haben. Dies geschah und geschieht so häufig heute, daß es längst zur Mode wurde, zur ausgefahrenen Spur mit der Endstation Bequemlichkeit. Doch Luise Rinser bleibt nicht in der Hölle, sie entringt sich dem Trägheitsgesetz, sie schnellt förmlich empor wie eine Stahlfeder, durch den Glauben getrieben, der eine Kategorie ist jenseits von Kunst und Wissenschaft. Sie läßt, während Marie-Catherine, die geistige Hauptgestalt des Romans, wie sie es ersehnte, an einem Ostermorgen aus dieser Welt genommen wird, die Seelen „auferstehen am dritten Tag“ zu einer Harmonie, höher denn alle irdische Vernunft, paradox also und absurd, insgesamt gültiges Gleichnis schaffend zu unserer irdischen Situation. Ein Werk, das wir im rechten Augenblick zu österlicher Zeit empfangen haben.

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