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Lustspiel und schwarze Literatur

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Das europäische Theaterpublikum kennt die Dramen des Oesterreichers Fritz Hochwälder, seitdem sein „Heiliges Experiment” zahlreiche Aufführungen und Diskussionen zwischen Paris und Berlin ausgelöst hat. Nun hat sich Hochwälder an ein besonders heikles Experiment gewagt, das im deutschsprachigen Bühnenraum in unserer Zeit selten genug gelingt: an eine Komödie. Das Akademietheater hat unter der Regie Günther Haenels die Uraufführung übernommen; „Der Unschuldige” ist ein hochangesehener Kleinstadtbürger, der durch ein an seinem Garten gefundenes Skelett in den Verdacht gerät, ein Mörder zu sein. Da er ein Zombinkel, Haustyrann und Polterer ist, glauben schließlich auch seine Frau und seine Tochter an die vermeintliche Untat, nicht ohne freundliche Beihilfe eines Nachbarn (Heinz Moog), der eine dreißigjährige Zurücksetzung rächen möchte. Ein übereifriger junger Untersuchungsrichter, der sich gerne seine Sporen bei diesem interessanten Fall verdienen möchte (prächtig Helmut Janatsch), drängt den „Unschuldigen” zuerst in die Verzweiflung, dann in einen inneren Läuterungsprozeß hinein: Wer ist wirklich „unschuldig” auf dieser Erde, hat sich nicht einmal oder oft an seinen Mitmenschen vergangen? Attila Hörbiger gestaltet die innere Höllenfahrt des rabiaten, jähzornigen Spießers, bis er, zerknirscht, an den friedsamen Gestaden der Selbsterkenntnis landet, vollsaftig und plastisch. Neben ihm spielen seine Frau (Dagny Servaes) und seine Tochter (Inge Brücklmeier) eine etwas klägliche Figur, in undankbaren Rollen. Dankbarer sind die Lustspielfiguren des Onkel Julius (Otto Schmöle) und des alten Gärtners (Hans Thimig). Herzlicher Beifall.

Zwei beme.ktnswerte Begebenheiten im Keller: Jean Paul Sartres „Fliegen” am Parkringtheater und Hans Erich Nossacks „Hauptprobe” im Kaleidoskop. Die Inszenierungen (Parkring: Kurt Julius Schwarz: Kaleidoskop: Jörg B u 111 e r) sind von annähernd gleicher, hinreichender Qualität, die Besetzungen bieten in beiden Fällen respektable Leistungen (wobei das Ensemble der „Hauptprobe” profilierter, geschliffener auftritt), beide Autoren gehen mit der Welt und ihren Lenkern scharf ins Gericht. Sartre auf seine intellektuelle, dialektische, eindeutig atheistische Art, der dien Tragödie nur Vorwand ist, Exempel, Lehrkanzel pathetisch vorgebrachter philosophischer Diskurse; Nossack auf höchst doppelsinniger, mehrschichtiger Ebene, in der das Spiel, die satirische Komödiantik und das dramatische Ereignis, wiewohl es uns recht verklausuliert entgegentritt, entschiedenen Vorrang haben.

Beide Stücke sind, an der frühen Sterblichkeit unserer gegenwärtigen Theaterproduktion gemessen, älteren Datums. Sartres antikes Verkleidungsdrama aus der Sagenwelt der Atriden, in dem aller Blutdurst des Orest dazu bemüht wird, um die absolute menschliche Handlungsfreiheit zu proklamieren (und um den Preis der künftigen Nachbarschaft mit den quälenden Erinnyen seinem Schöpfer jegliche Abhängigkeit aufzukündigen), ist merklich fünfzehn Jahre alt und sehr eindeutig der Literatur der Resistance und Nachkriegsdepression verhaftet — nur ihr Nimbus einer sehr streitbaren SLepsis ist verflogen wie die Fliegen im Herbst. Nossacks kritische lyrische Ballade von einer abgründigen Märchenwelt, in der ein Maskenspiel die Not der Kreaturen bloßlegt — und sie dann hilflos liegen läßt in ihrem Jammertal verworrener, von da unten her unlösbarer Komplexe —, wirkt immerhin kraft ihrer Suggestion und einer oft schönen, meist düsteren, zeitlosen Poesie.

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