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Mittler zwischen Werk und Publikum

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Im Rahmen der 5. Münchner Rien-nale für Neues Musiktheater mit der Uraufführung der Oper „Marco Polo” des chinesischen Komponisten Tan Dun fand ein Symposium über „Neue Musik und Musikkritik” statt. Die Opernproduktion zog fast den gesamten Kreis der Rezensenten für zeitgenössische Musik aus dem deutschsprachigen Raum in die bayerische Landeshauptstadt und war eines der Themen der Tagung. Es hagelte geradezu eine Vielfalt an Meinungen und Standpunkten über „ Marco Polo”, die sich zwischen „sehr interessant und aufregend” und „unverständlich und daher langweilig” bewegten.

Unter den Diskutanten befanden sich bekannte Vertreter des „kritischen Gewerbes” wie Reinhard Oehl-schlägel (Deutschlandfunk), Gerhard Koch (FAZ), Leo-Karl Gerhartz (Hessischer Rundfunk), Peter Hagmann (Neue Züricher Zeitung), Peter Raier (Münchner Merkur), Karl Harb (Salzburger Nachrichten), Reate Kay-ser (Münchner tz) und Helmut Rohm (Rayerischer Rundfunk).

Hans-Klaus Jungheinrich (Frankfurter Rundschau), einer der wohl bekanntesten Kritiker Neuer Musik, schilderte mit dem Satz, „jeder Kritiker ist sein eigener Programmatiker”, treffend die. Situation seiner Zunft. Der Unterschied in der Rerichterstat-tung der Werke lebender Komponisten und „der zehnten Fidelio-Pro-duktion” im Bahmen ihrer Auffüh-rungsgeschichte liegt vor allem in der Auslese dessen, was wirklich interessant und neu ist. Denn der Sektor der Neuen Musik ist derzeit so lebendig und produktiv wie in unserem ganzen Jahrhundert noch nicht. Der Rezensent Neuer Musik schreibt mit jeder Kritik Musikgeschichte. Er ist der erste Mittler zwischen Werk und Publikum.

Noch vor wenigen Jahren konnten neue Stücke und Tendenzen nur in „homöopathischen Dosen” in den Medien Platz finden. Nicht nur die vielen Festival-Gründungen oder das vermehrte Einfließen von Auftragswerken in Traditionsveranstaltungen wie die Salzburger Festspiele zeugen vom Redürfnis nach mehr Neuer Musik. Zuletzt führte die Überlegung, die renommierten „Donaueschinger Musiktage” in eine Riennale umzuwandeln, zu einem kräftigen Aufschrei in den Medien.

Das Münchner Symposium war aber weder eine Werbeveranstaltung noch eine Autorenbeweihräuche-rung. Auf sehr persönlicher Ebene berichteten die Kritiker über ihre individuelle Methodik des Herangehens an neue Musikstücke, vom Studium der Partitur und dem Interview mit dem Komponisten, yom Reurteilen von Orchestrierungen, Stimmenverteilungen und vielem anderem mehr.

Die Stellungnahmen von Peter Hagmann und Gerhard Koch blieben als besonders authentische Reiträge in Erinnerung: Hagmann bezog sich auf die „interkulturelle” Oper Tan Duns, die das Thema „Marco Polo”, sozusagen von Osten nach Westen gerichtet, betrachtet. Es sei ihm unmöglich, über das Werk eines Chinesen in Rezug zu seiner fernöstlichen Tradition zu berichten. Daher werde er seine persönliche Refindlichkeit als Rezi-pient „zwischen der bekannten und der fremden Klangtradition” beschreiben. Gerhard Koch verwies auf die oft gesellschaftskritischen Inhalte Neuer Musik. Vor diesem Hintergrund ist es ihm als Rezensent wichtig, stets Aspekte der Musikkritik mit jenen der Kulturkritik zu vereinen.

Die Rerichterstattung über Neue Musik setzt große Neugierde und hohe Leistungsbereitschaft des Kritikers voraus. Schon im ersten Moment eines Hörerlebnisses, Wesentliches zu erfassen und sofort zu verbalisieren, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Zumeist gibt es keine Möglichkeiten des Vergleichens, keine Aufführungs-geschichte eines Werkes. Der Kritiker kann sich nur auf seine Hörerfahrung berufen. Als positive Entwicklung beurteilte man, daß die in diesem Jahrhundert so wichtig gewordene Interpreten-Kritik sich zu einer vertieften Werkkritik rückentwickelt.

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