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Mythenheld Superman.

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Einen aufsehenerregenden Beitrag zur Trivialliteratur bietet das Museum des 20. Jahrhunderts mit seiner Schau „Comic strips: Geschichte, Struktur, Wirkung und Verbreitung der Bildergeschichte“. Comics aller Länder und Zeiten wurden von der Berliner Akademie der Künste zu einer Monumentalschau zusammengestellt, die Phänomene und soziologische Zusammenhänge dieser von der Wissenschaft bisher nur am Rande erfaßten Gattung aufdecken will. Hauptakteure der Szenen sind die Super-dame Barbarella, die tödliche Lady Modesty Blaise, Sexbomben wie Pravda und Jodelle, die revoltierenden Muskelprotze Bat- und Hawk-man, Dschungel-Akim und deren Colt, Lasso und Granaten schwingende Verwandtschaft. Die Phantasie treibt ihre kühnsten, utopischen Blüten, überschlägt sich in wilden Kapriolen: Mighty Thor legt Wolkenkratzer um, Iron Man spielt Monstrenkiller im Weltraum, Superheroen schreiten als Tilger des Bösen durch die Welt. Und gleich nebenan schüttet die sentimentale Hausfrau Juliet Jones dem Bilderstory-Fan ihr US-Herz in die Hand ... Und für die, die mehr dem Historischen zuneigen, reitet Prinz Eisenherz mit Robin Hood Attacken, um gefangene Prinzessinnen zu befreien. Eine bizarre Talmiwelt, in der des Durchschnittsbürgers schlichteste Denkmanöver alle Maßstäbe setzen und der Kampf zwischen Gut und Böse mit unvermeidbarem Happy-End sich als der beste Verkaufsschlager erweist.

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Einen aufsehenerregenden Beitrag zur Trivialliteratur bietet das Museum des 20. Jahrhunderts mit seiner Schau „Comic strips: Geschichte, Struktur, Wirkung und Verbreitung der Bildergeschichte“. Comics aller Länder und Zeiten wurden von der Berliner Akademie der Künste zu einer Monumentalschau zusammengestellt, die Phänomene und soziologische Zusammenhänge dieser von der Wissenschaft bisher nur am Rande erfaßten Gattung aufdecken will. Hauptakteure der Szenen sind die Super-dame Barbarella, die tödliche Lady Modesty Blaise, Sexbomben wie Pravda und Jodelle, die revoltierenden Muskelprotze Bat- und Hawk-man, Dschungel-Akim und deren Colt, Lasso und Granaten schwingende Verwandtschaft. Die Phantasie treibt ihre kühnsten, utopischen Blüten, überschlägt sich in wilden Kapriolen: Mighty Thor legt Wolkenkratzer um, Iron Man spielt Monstrenkiller im Weltraum, Superheroen schreiten als Tilger des Bösen durch die Welt. Und gleich nebenan schüttet die sentimentale Hausfrau Juliet Jones dem Bilderstory-Fan ihr US-Herz in die Hand ... Und für die, die mehr dem Historischen zuneigen, reitet Prinz Eisenherz mit Robin Hood Attacken, um gefangene Prinzessinnen zu befreien. Eine bizarre Talmiwelt, in der des Durchschnittsbürgers schlichteste Denkmanöver alle Maßstäbe setzen und der Kampf zwischen Gut und Böse mit unvermeidbarem Happy-End sich als der beste Verkaufsschlager erweist.

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Es sollte zu denken geben: 12 Millionen Hefte mit Comics werden monatlich allein in der Bundesrepublik und in West-Berlin abgesetzt. „Blondie“ etwa, der erfolgreichste Hundestrips von King Features Syndicate, wird werktags von 1148 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwa 56 Millionen Exemplaren gebracht. Da man pro Zei-tungsexemplar mit drei Lesern rechnet, kann man eine Leseauflage- von 167 Millionen annehmen. In Österreich erreicht Blondie, über eine Tageszeitung verbreitet, rund 317.000 Leser, in der Bundesrepublik über neun Zeitungen etwa zwei Millionen, die man verdreifachen muß, um auf die tatsächliche Leseauflage zu kommen. „Gesättigt“ ist der Markt mit etwa 80 Prozent in Schweden, wo rund 6,3 Millionen von 8 Millionen Einwohnern Blondie lesen...

Das heißt, Comics, ein Teil der Trivialliteratur und gerade deshalb von der Literaturwissenschaft meist noch nicht in ihrer Bedeutung erkannt, sind zu einem in ihrer Wirkung noch gar nicht abschätzbaren Massenbeeinflussungsmittel aufgerückt. Die kommunistischen Staaten haben dies längst erkannt. Es kann nicht gleichgültig sein, für welche Trends (etwa von Gewalt, Vergeltung) und Ziele sie unterschwellig werben, welche Politik (Nationalismus, Revanchismus) sie populär machen. Der Überblick im Schweizergarten, zeigt, wie harmlos es begann: 1895/96 zum Beispiel mit Sonntagsbeilagen in amerikanischen Zeitungen, wo nach dem Vorbild politischer Karikaturen im 18. Jahrhundert Bildromane in Fortsetzungen auftauchten. „Yellow Kid“ zeigt noch, wie es dem Hundefänger ergeht, dem man auf die Schliche kommt. Und der „Wahre Jakob“ erzählt schon 1890 in Kleinbildern, was dem braven Deutschen das Sozialistengesetz bescherte. Starke Männer sind schon 1900 gefragt: Stemmer und Ringer tummeln sich auf den Titelblättern der „Pictures, Prizes, Jokes“ für einen Halfpenny. Ihren ersten Höhepunkt erreichen Comics im Zeitungskrieg der US-Konzerne Hearst und Pulitzer. Kommerz dominierte. „Katzenjammer Kids“ waren stilbildend, forcierten das komische Element. Es sollten Geschichten über Kinder sein, aber nicht für Kinder.

1910 kam neben der Tiergeschichte die Familienstory als neuer Typus auf. Der bürgerliche Alltag der zwanziger Jahre, meist mit einer jugendlichen Heldin im Mittelpunkt, die manchmal auch ironisiert wurde, lockt neue Leserscharen an. Die europäischen Comics dieser Zeit sind allerdings von der Perfektion der amerikanischen weit entfernt. Humorlose Abenteuergeschichten mit bewußtem Aggressionscharakter werden dann in den dreißiger und vierziger Jahren großer Schlager. Harold Forsters „Tarzan“ erzielt Millionenumsätze. Der mittelalterliche Ritter, Großstadt-Dektektive und die Piloten des dritten Jahrtausends beherrschen das Feld. Humor in Comics wird während des Weltkrieges immer seltener. Die größte Neuerung tauchte in den fünfziger Jahren auf: Angst und Schrecken, schwarzer Humor, Gruselkabinettstories werden zum größten Ereignis, Supermänner plustern sich zu unmenschlichen Monstren auf, Ungeheuer aus dem Weltall dringen auf uns ein, die Raumfahrterfolge führen in neue Phanta-sielandschaften, nach Utopia. Gerade die Übertechnisierung bietet wieder Anlaß zu humorvolleren Akzenten. Dennoch: Gigantomanie und Schreckensbild bleiben die eigentlichen Visionen dieses Jahrzehnts. Man schwelgt in interplanetarischen Eroberungszügen, Schlachten mit Phantasiebomben, aus denen der US-Held body-building-gestählt und siegreich heimkehrt. Er hat die Welt gesäubert von allem Unrat (den Gegnern), die Rasse gerettet. Schlußbild der Supercomics: Die Regierung dankt Superman. Machtposition und Terror der Gegner wurden durch Gewalt vernichtet, neue Machtpositionen gefestigt. Der Bürger jubelt Superman zu.

Comics haben sich enorm rasch ausgebreitet. Literatur und bildende Kunst bemächtigten sich der Technik: Artmann verwies auf die Möglichkeiten einer Umsetzung in die Literatur in seinem Buch „Das Suchen nach dem gestrigen Tag“, im Roman kultivierte Elfriede Jelinek neben anderen Autoren diese Mode. Die jungen Österreicher Peter Matejka und Wilhelm Pevny versuchten, mit neuartigen abstrakten Comics die Verhaltensformen und Reaktionen auf Gewalt zu systematisieren. Und Roy Lichtenstein hat mit ihnen die Pop-Apologie und Verherrlichung des amerikanischen Kitsches geschaffen. Vier Merkmale sind für Comics typisch: Integration von Wort und Bild, wobei das Bild dominiert; das Erzählen einer Geschichte, einer Story, in mehreren Bildern; periodisches Erscheinen; feststehende Figuren.

Das Triviale, das Konsumklischee, die Mode diktieren dabei Themen und Stil der Comics. Monotonie des Alltags wird durch Ausweichen in irgendeine Form des Utopischen überwunden. Man bewundert sein Idol, stillt seine Gelüste nach Aggression, läßt sich zu Sentimentalität hinreißen. Je einfacher die Parole, je billiger die Propagandamodelle, desto größer der Erfolg einer Bilderstory. Die Illusion triumphiert.

Der Leser identifiziert sich mit Übermenschen, er verläßt den banalen Alltag mit seinen spezifischen Schwierigkeiten und schwingt sich auf in eine dynamische Existenz, in der man mit einfachsten Mitteln, wie primitiver Körperkraft, das Leben zu meistern vermag. Es herrscht absolutes, uneingeschränktes Heldentum, dem keine Grenzen gesetzt sind, dem alles möglich ist, dem auch das Unwahrscheinlichste gelingt. „Diese Helden sind moderne Mythen, moderne Ikonen, aufgerichtet auf einer Schutthalde ideologischer Restbestände: ein papierener Traum, unheimlich in seiner phrasenhaften Leere und als Phrase gefährlich in seiner Verführung.“ Dazu Allan Kaprow: „Dies ist die amerikanische Szene, in der wir leben“.

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