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Comics - mit Strichen Gesellschaftskritik

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„Der Bildidiotismus triumphiert!“, „Eine sittliche Gefahr für unsere Kinder“, „Der Giftstrahl der Comic-Books“ — Urteile wie diese waren noch vor wenigen Jahren üblich. In der Zwischenzeit haben es Soziologen, Pädagogen und Psychologen, Kunstkritiker sowie Medienforscher übernommen, Comic strips vorurteilsfrei und leidenschaftslos zu untersuchen. Die Mär von den Bildgeschichten als bedauerlicher Appendix der Literatur („Blasenleiden der Literatur“, „Trivialliteratur“) wich dem Verständnis, daß es sich bei Comics“ um ein eigenständiges Medium handelt; ein komplexes Medium allerdings, dessen Charakterstikum (analog zum Film) die dynamisierte Einheit von Wort und Bild ausmacht.

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„Der Bildidiotismus triumphiert!“, „Eine sittliche Gefahr für unsere Kinder“, „Der Giftstrahl der Comic-Books“ — Urteile wie diese waren noch vor wenigen Jahren üblich. In der Zwischenzeit haben es Soziologen, Pädagogen und Psychologen, Kunstkritiker sowie Medienforscher übernommen, Comic strips vorurteilsfrei und leidenschaftslos zu untersuchen. Die Mär von den Bildgeschichten als bedauerlicher Appendix der Literatur („Blasenleiden der Literatur“, „Trivialliteratur“) wich dem Verständnis, daß es sich bei Comics“ um ein eigenständiges Medium handelt; ein komplexes Medium allerdings, dessen Charakterstikum (analog zum Film) die dynamisierte Einheit von Wort und Bild ausmacht.

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Wie erklärt es sich aber, daß die Bildgeschichten, die immerhin seit 80 Jahren fester Bestandteil zahlreicher Zeitungen und Gegenstand einer eigenen Industrie sind, erst so spät eine Wissenschaftliche Behandlung erfahren?

Die vielfach unternommenen Anstrengungen, Vorläufer der Comics in altägyptischen Tempelmalereien oder steinzeitlichen Höhlenmalereien oder mittelalterlichen Fresken suchen zu wollen, sind Unfug; sie sind ein Beispiel für die krankhafte Sucht, einem relativ jungen Medium einen möglichst lückenlosen Traditionszusammenhang und somit auch eine besondere Legitimation zu verleihen. Realistischer ist die Annahme, daß die Comics aus den engagierten politischen Karikaturen des 19. Jahrhunderts (vor allem in England) entstanden sind. Diese Bildfolgen wurden mit der Zeit zu Fortsetzungsgeschichten erweitert, in denen politisehe Agitation prägnant und allge-meinverstädlich unter das Volk gebracht wurde.

Als dann Rudolph Dirks im Jahre 1897 seine „Katzenjammer Kids“ schuf, war der Comicstrip in seiner heutigen Form geboren.

Kurz nach ihrem ersten Auftauchen wurden die Comics aber bereits einem Prozeß der Kommerzialisierung unterworfen. Die Massenproduktion von Comics-Heften und -Büchern trat neben den forcierten Einsatz von Bildfolgen in Zeitungen.

Damit waren aber die Comics gar nicht mehr so komisch (wenn auch die Bezeichnung erhalten blieb), denn in den abenteuerlichen Bild-heftchen wurde die Aktion zum Selbstzweck. Kitsch und Abenteuerromantik, Horror und Brutalität, neuerdings auch Sex und Perversion, feiern fröhliche Urständ. Was diese Art von Produkten betrifft, so ist der Ausdruck Primitivliteratur durchaus zutreffend, und Groschenhefte wie diese haben ein ganzes Medium ob ihrer verdummenden Wirkung und der Gefahr sprachlicher Verkümmerung in Verruf gebracht.

Äußerungen dieser Art gehen jedoch am Kern der Sache vorbei, denn neben literarischen Abfallprodukten finden sich in zunehmendem Maße Produkte, die brillante Leistungen dieses Mediums ausweisen.

Insbesondere in den angelsächsischen Ländern hat sich die Tradition der Bildgeschichte als politische Glosse erhalten.

1949 schuf der amerikanische Zeichner Walt Kelly sein Pogofeno-keeland, das — ähnlich wie Faulk-ners Yoknapatawpha Country — ein allegorisches Amerika darstellt. Die skurrilen Abenteuer seiner Bewohner, die in einer Atmosphäre von normalem Irrsinn leben, haben immer wieder hochaktuelle Bezüge; die Akteure sind ebenso up to date wie ihre realen Vorbilder in Washington.

Pogo ist politisch-soziale Satire in Perfektion. Sowohl brillante Zeichnungen wie auch „eine an James Joyce geschulte Sprache“ verleihen dem Strip höchstes intellektuelles Niveau.

Beißende Kritik findet sich auch oft in den Zeichnungen von Mort Walkers Beetle Bailey, der — wie auch zum Beispiel Pogo — aus diesem Grund schon oft für längere Zeit aus den comic-sections amerikanischer Zeitungen verbannt wurde.

Nach dem besten zeitgenössischen Schriftsteller befragt, nannte John Steinbeck einmal AI Capp, den Schöpfer und Zeichner des Li'l Ab-ner. Ebenso wie bei den Vorgenannten handelt es sich bei diesem Strip um politische Satire par excellence, die sich (leider) ebenso wie viele andere politische Comics vor allem wegen ihrer hochaktuellen innenpolitischen Bezüge nicht zur Übersetzung eignen.

Anders die Peanuts (seit 1950 von Charles M. Schulz), die ihren Erfolg hauptsächlich ihrem intellektuellen Wortwitz verdanken. Das Unvermögen des Charlie Brown, sich in die Rollenerwartung der Gesellschaft zu integrieren, wird von Schulz meisterhaft dargestellt. Wo andere mühsam Kierkegaard, Tillich oder Barth zitieren müssen, sagt er mit ein paar Strichen und Worten prägnant, worum es geht.

Die Peanuts — darüber gibt es keinen Zweifel — sind mehr als bloße

Unterhaltung und schon gar keine Kinderlektüre. Sie sind ein Spiegel, den ein Psychologe einer Gesellschaft vorhält.

In diesem Zusammenhang dürfen auch Comics wie „The Perishers“ oder „The Small Society“ nicht unerwähnt bleiben.

Eine ganz andere Tendenz haben die „Adventures of Phoebe Zeit-Geist“ von Frank Springer und O'Donoghue. Sie erschienen erstmals im Jahre 1949 und sind in der Zwischenzeit zum Paradebeispiel des intellektuellen Comics schlechthin avanciert. Themen, Techniken, Verhaltensmuster und Gestaltungsmittel konventioneller Action-Comics werden von Phoebe ad absurdum geführt. Autor und Zeichner stellen die heile Durchschnittswelt der Hollywoodfilme, Kaugummi und Popcorn auf den Kopf. In der Atmosphäre einer „entfesselten Katastrophenphantasie“ tummeln sich irre Wissenschaftler, Sadisten, perverse Industrielle und impotente Supermän-ner. Die Antiheldin dieses Anti-comics ist das nackte Opfer des von den Massenmedien (sie!) verfremdeten Zeitgeistes, die gezwungen wird, ein permanentes Martyrium physischer wie psychischer Qualen zu erleiden. Einem neuzeitlichen Sisyphos gleich, muß Phoebe all das erleiden, wovor Mr. Amerika sich fürchtet: Nazipeitschen und Kommunistenfolterungen, Voodoo-Männer, okkulte Vereine, nekrophile Sekten.

Phoebe Zeit-Geist ist beileibe kein Comic im landläufigen Sinn, sondern eine köstliche Persiflage als logische

Folge der Frustration, die durch die herkömmlichen Groschenhefte vermittelt wird.

Im Gegensatz zu Phoebe ist der französische Comic Asterix (seit 1959 von Goscinny und Uderzo) ein gutes Beispiel für moderne europäische Comics einerseits sowie für die

Medienverwandtschaft Film und Comics anderseits.

Der Tenor der Geschichten, der Kampf der verschmitzten Gallier (= Franzosen) gegen die Herrschaft des römischen (= amerikanischen) Imperiums ist eigentlich immer der gleiche (Wenn man sich die Ereignisse rund um die schweren Differenzen de Gaulle—NATO ins Gedächtnis ruft, wird verständlich, daß sich Asterix im Sog gaullistischer Jubelstimmung bald einen Namen machen konnte.)

In liebenswürdig, wenn auch unterschwellig chauvinistischer Manier, wird über alles, was un-gallisch ist, hergezogen; Römer, Briten, Normannen, Ägypter, Phönizier, Ost- und Westgoten (= Ost- und Westdeutsche) sowie auch die biederen Helve-tier sind die hilflosen Opfer des unbeugsamen Willens zur gallischen Selbstbestätigung.

Blendende Zeichnungen und strek-kenweise köstliche Dialoge machen die Lektüre zum Vergnügen und erklären somit auch den Erfolg der streitbaren Gallier außerhalb ihres Heimatlandes.

Asterix ist nicht zuletzt auch perfekt gezeichnete Slapstick-Komik; der „Torten-ins-Gesicht-Klatschen“-Effekt wird virtuos praktiziert und variiert; daneben findet sich aber auch schlichte Ironie, sanfte Verspottung, subtile Parodie, gepaart mit Groteske, Sarkasmus und ätzendem Witz.

Ob nieveauvoll oder anspruchslos — die Flut der bunten Blasengeschichten nimmt zu. Ihre Existenz wurde zu lange totgeschwiegen, ihre

Realität zu lange mit einem bedauernden Achselzucken zur Kenntnis genommen.

Wenn man bedenkt, daß Kinder wie auch Erwachsene in zunehmendem Maße zu Comics greifen, daß ein einziger Lieschen-Müller-Strip wie ,iBlondie“ allein in zirka 1150 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 56 Millionen erscheint, daß der Brutto Jahresumsatz der „Peanuts“ für das Jahr 1971 von Newsweek auf 150 Millionen Dollar geschätzt wird, daß die Zahl der erwachsenen Comics-Konsumenten in den USA mit mehr als 90 Prozent angegeben wird, dann wird es verständlich, daß immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkungen des Comics-Konsums durchgeführt werden.

Für die Neue Linke ist die soziale Funktion der Comics, latente faschistische Tendenzen zu fördern, die Lust an der Gewalt zu verherrlichen, die Welt als Chaos darzustellen, das nur durch polizeistaatliche Methoden regiert werden könne, rassische Diskriminierung zu fördern, Führergestalten zu heroisieren und Intellektuellenfeindlichkeit zu suggerieren. Die Comics wurden als Manipulationsinstrument unserer bürgerlich spätkapitalistischen Gesellschaft zum Buhmann linker Intellektueller; die Helden der Bildgeschichten als Marionetten eines verrotteten Systems entlarvt.

Da sich jedoch die Aufklärungskampagne gegen die so bürgerlichen Comics äußerst beschwerlich gestaltet, griffen die progressiven Aufklärer selbst zur Feder und versuchten über den Umweg von „Polit-Comics“ ihre politischen Bedürfnisse zu artikulieren. So entstanden Mitte der sechziger Jahre eine Reihe von Untergrundprodukten, die, gleichsam als gemeinsames Markenzeichen, allesamt der marktgängigen Symbiose von Pornographie und politischer Agitation huldigen.

Phallus, Busen und Popo wurden zu Superwaffen im Kampf gegen das verhaßte Establishment. Marx und Mao avancierten zu Polit-Supermän-nern; ihr reicher Zitatenschatz füllt noch heute die Sprechblasen der untergründigen Bilderbücher.

Aber auch diese, als Anti-Comics konzipierten Produkte, konnten ihren Standard nicht halten. Offensichtlich waren ihre Schöpfer mehr an ihre Auflagen als an politischer

„Einst werde man über das, was man eben noch ignorierte, aufs subtilste klugscheißen“ (H. C. Artmann).

Aufklärung interessiert. Jedenfalls leben auch diese Produkte heute von Klischees und von vorgegebenen Ak-tiosmustern. Der Versuch, die angeblich so bürgerlichen Massencomics mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, ist jedenfalls bislang danebengegangen.

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