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Micky Maus und die Comics

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Das Bundesgesetz über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung, also das Schmutz-und-Schund-Gesetz, soll eine Ergänzung erhalten, durch die auch das öffentliche „Feilbieten und der Verkauf" bestimmter „Comics“ an Jugendliche verboten werden soll. Der entsprechende neue § 13 a, der als Regierungsvorlage im zuständigen Nationalratsausschuß zur Beratung gelangt, hat bereits eine öffentliche Diskussion ausgelöst. Man läuft Sturm gegen den geplanten, allerdings zum Teil mißverstandenen Paragraphen. Nicht etwa deshalb, weil man grundsätzlich jede Einschränkung der Pressefreiheit in einem demokratischen Staat ablehnt, sondern weil eine Zeitschrift von dem Gesetz betroffen werden könnte, deren „hoher künstlerischer Wert“ ein solches Schicksal nicht verdiene: die „Mtcky Maus" mit den wirklich reizenden Tierbildern von (oder nach?) Walt Disney. Und man wettert dagegen, daß Disneys Phantasiegestalten etwa sittenverderbend sein sollten, daß die drei kleinen Schweinchen, der Böse Wolf, Donald Duck und der fliegende Elefant charakterschädigend sein könnten.

Die Diskussion, auch wenn ihre Voraussetzungen unrichtigen Interpretationen entspringen, bietet Gelegenheit zu einigen Feststellungen. Bei der „Comics“-Seuche handelt es sich nämlich gar nicht darum, ob die Gier des Bösen Wolfes oder die Listen der Neffen Donald Ducks, ob Raubpläne und Verfolgungen und alles das, was den abenteuerlichen Sinn der Jugend anregen könnte, als böses Beispiel zu verwerfen wäre.

Die Kinderseele ist anscheinend schon so beschaffen, daß sie derartige Belastungen ohne ernstere Schädigungen erträgt. Schließlich hat es auch im ersten Weltkrieg — und später — Schundhefte übelster Sorte gegeben, wie etwa die „Nat-Pinkerton"- oder die „Lord-Percy- Stuart“-Serien, die von vielen verschlungen wurden, ohne daß diese deshalb irgendwie versagt hätten; man begegnet ihnen heute als Aerzte, Rechtsanwälte, Hofräte oder Professoren.

Es Soll hier keine Lanze für Schundhefte gebrochen werden. Ob die verwandten Erzeugnisse vor 40 Jahren besser waren, könnte nur durch einen Vergleich festgestellt werden. Ich bin .überzeugt, es war derselbe Mist. Aber wie damals die Kinder derartige Mängel nur selten beachteten, so scheinen auch heute wenige Buben und Mädel davon Notiz zu nehmen. Es geschieht halt so viel, was die Hauptsache zu sein scheint.

Der Verkauf dieser Hefte ist jedoch für Jugendliche in Oesterreich ohnedies bereits verboten. Sie müssen sie nur bei den 16jährigen, die sie ja kaufen dürfen, teurer bezahlen. Man hat also geschäftstüchtigen Burschen eine bequeme Einnahmequelle verschafft (auch das soll offen gesagt werden), womit bei den „Comics“ ebenso zu rechnen wäre.

Gegen die „Comics“ ist freilich sehr viel einzuwenden. Mehr noch als gegen die Schundhefte. Wer beobachten kann, wie die Kinder sich auf die Hefte stürzen, wie sie hastig die Bildstreifen überfliegen, die wenigen Worte lesen, die den einzelnen Figuren vor den Mund oder über den Kopf geschrieben sind, der staunt über diesen sonderbaren Fanatismus. Aber auch er ist zu erklären: Das Erlebnis des Lesens wird seit Jahren durch die viel bequemere Art des „sprechenden Bilderbuchs“ verdrängt, das Bedürfnis blieb jedoch bestehen. Wo und wie es nun durch die mühelose Art des Betrachtens von „Comics" gestillt werden kann, kommt ein Wahrer Feuereifer über die Kinder. Die „Comics“ ersetzen nicht nur das Buch, dessen Lektüre mühsam und zeitraubend ist, sie sind auch eine Art Film, sogar mehr als dieser; denn während der Film auch an den interessantesten Stellen davonläuft, kann man hier die Gescheh-

nisse genau betrachten, man hat sie sozusagen in der Hand. Folgen der „visuellen Entwicklung“ oder visuelle Entwicklung als Folge?

Die große Gefahr bei den „Comics“ liegt darin, daß sie so gut wie keine Denkarbeit erfordern und deren winzigen Rest auch noch schabionisieren. Die Kinder verlernen nicht nur das selbständige Denken, sie verlernen auch das denkende Lesen.

In der Leserzuschrift an eine Wiener Zeitung bezeichnet eine Frau Rosemarie Dalheimer, die sich als ausgebildete Pädagogin und Mutter vorstellt, die „Micky-Maus"-Hefte — im Gegensatz zu den Walt-Disney-Filmen — als maßlos primitiv und geisttötend. „Ein Kind“, heißt es in der Zuschrift, „das sich öfter mit dieser Lektüre beschäftigt, wird bald keinen normalen Aufsatz mehr schreiben können. Wie sollen unsere Kinder einen richtigen Stil erlernen, wenn man ihnen solche Fragmente einer Literatur vorsetzt? Für die ohnehin schon mangelhafte Konzentrationsfähigkeit unserer Kinder ist es Gift, wenn sie ihre Betrachtungen dauernd zwischen Bild und Schrift zerreißen müssen.“

Damit ist das Wesentliche gesagt. Fünf Schilling kostet ein „Micky-Maus"-Heft (das kein Kunstwerk, sondern eih KūnstfaBfikatS!Ižt),8 fünf Minuten bloß 'benötigt manches Kih'cfTüm die Bildstreifen samt „Text" zu verschlingen. Aus dem Briefkasten, dea diese Hefte seit einiger Zeit führen, geht hervor, daß es selbst 16jährige „treue Anhänger der Micky-Maus- Klubs“ gibt. Ueber die kritische Urteilskraft von solchen Halbwüchsigen kann man sich leicht ein Bild machen. Bei manchen Kindern kommt es so weit, daß sie neben den „Comics“ jedes Buch, jede umfangreichere Lektüre als „uninteressant" zurückweisen, obwohl es sich dabei nur um die Scheu vor einer geistigen Leistung handelt. Vernünftige Eltern können, sofern sie Zeit und Mühe nicht scheuen, ihre Kinder an richtige, echte Lektüre gewöhnen. Man wird Konzessionen machen müssen, aber selbst „Indianergeschichten" sind den besten „Comics" vorzuziehen. Es läßt sich nicht vermeiden, daß es in Jugendbüchern, sofern sie gelesen werden sollen, etwas bunt zugeht. Selbst „Der junge Lord" muß vor verbrecherischen Anschlägen bewahrt werden, und in „Oliver Twist“ wimmelt es von verruchten Gaunern und Mordgesellen. Gegenüber diesen Milieu- und Charakterschilderungen enthalten die meisten „Comics“ — neben „Micky Maus“ etwa „Fix und Foxi“ oder „Prinz Eisenherz“ — harmloseste Schwarzweißmalerei; alle arbeiten nach dem bei Kindern so beliebten Rezept des Kampfes von Gut gegen Böse.

In der gegenwärtigen Debatte um die „Comics“-Seuche wurde die Behauptung aufgestellt, auch Wilhelm Busch hätte „Comics“ fabriziert. Ueber den Unterschied ist wohl kein Wort zu verlieren, denn es ist schon eine nicht unbeachtliche Denkarbeit erforderlich, um in die Philosophie des gezeichneten und geschriebenen Humors von Wilhelm Busch einzudringen. Ueber die Themen kann man freilich manchmal verschiedener Meinung sein.

Es ist aber gar nicht so, wie eingangs erwähnt, daß die Gesetzesnovelle ein generelles Verbot der „Comics“ beabsichtigt. Teilverbote sind allerdings — abgesehen von dem Grundsatz der Pressefreiheit — kaum von durchgreifender Wirkung; auf die Möglichkeit des „Zwischenhandels“ wurde schon hingewiesen. Kinder und Jugendliche, die ihr Gehirn einfach nicht anstrengen und auf die kärgliche Kost der „Comics“ nicht verzichten wollen, werden sich diese stets zu verschaffen wissen. Jedenfalls ist eine strengere Anleitung der Kinder zu echter Lektüre durch Eltern und Lehrpersonen jeder gesetzlichen Maßnahme vorzuziehen. Schließlich trifft die Erzieher ja auch die Hauptverantwortung.

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